Borbeck. .
Das Dutzend ist voll. Das Geburtshaus Essen wird in diesen Tagen zwölf Jahre alt. Doch es gibt noch einen weiteren Grund zum Feiern: Familienfreundliche und individuelle Geburtshilfe liegt in der Gunst werdender Mütter hoch im Kurs – Tendenz steigend.
Das Domizil am Reuenberg ist auch für Ortsfremde kaum zu verfehlen. Schon von Ferne grüßt der Klapperstorch, und das riesige Logo auf der Fassade – ein stilisierter Babybauch – ist selbsterklärend. Geschäftsführerin Andrea Allen ist gerade im Stress. Telefonierend winkt sie mir durch die Scheibe ihres Büros zu, aber ihr Lächeln verrät: „Moment, ich komme gleich“.
Ich nutze die Gelegenheit, mich etwas genauer umzusehen. Ein kleiner Tisch zum Spielen, von Kinderhand in Unordnung gebracht. Auf einer Anrichte steht ein Abdruck vom Babybauch - in Gips erstarrte Glückseligkeit. Unter der Treppe, die hinauf zu den Geburtszimmern führt, knautscht ein großer Teddy in einer Kiste. An einer Wand pinnen etliche Fotos von Babys und handgeschriebene Grüße ihrer stolzen Eltern. Nett und einladend sieht das alles aus. Eine kunterbunte Galerie des Lebens.
Eine Kreidetafel weist den jüngsten Neuankömmling aus. Am 31. Mai rutschte Klara, 2925 Gramm leicht und 49 cm groß, in die Welt. Um 4.37 Uhr tat sie ihren ersten Schrei und bescherte den Hebammen des Geburtshauses eine weitere Nachtschicht. Eine davon heißt Katja Stöhr. Seit zehn Jahren begleitet sie werdende Mütter und hat wie ihre beiden Kolleginnen Elli Conrads und Brigitte Kasperidus alle Hände voll zu tun. Immerhin verzeichnete allein das Geburtshaus in Borbeck 50 Geburten im vergangenen Jahr. Rechnet man die Einsätze in den Kliniken und die Hausgeburten hinzu, betreut das Trio rund 150 Mütter.
„Doch das ist noch längst nicht alles“, erklärt mir Andrea Allen und drückt mir das 28 Seiten starke Programmheft in die Hand: Schwangerschaftsvorsorge, Gymnastik, Bauchtanz zur Rückbildung, Yogakurse, Babymassage und Stillgruppe. Da kommt einiges zusammen.
Das Wichtigste jedoch ist und bleibt natürlich die Niederkunft, die im Geburtshaus in großer Ruhe und sehr entspannter Atmosphäre geschieht. Unlängst präsentierte das Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland das Ergebnis einer aktuellen Umfrage und stellt darin den Geburtshäusern ausgezeichnete Noten aus. „Ich hatte das Gefühl, während der Geburt ich selbst sein zu können“, gaben knapp 87 Prozent der befragten Klientinnen an. Die Rücklaufquote des mehrseitigen Fragebogens lag bei fast 80 Prozent. Ein Traumwert, der jedem Statistiker den blanken Neid ins Gesicht treibt, aber auch die große Verbundenheit der Mütter zum Geburtshaus dokumentiert.
Nahezu alle Frauen, die dort ihr Kind zur Welt brachten, wissen den sensiblen und ganzheitlichen Umgang in der Betreuung zu schätzen. „Der große Unterschied zu einer Entbindung im Krankenhaus ist sicherlich das persönliche, enge Verhältnis zwischen Hebamme und werdender Mutter“, sagt Andrea Allen. „Die Hebamme unterstützt, greift jedoch nicht ständig ein. Die Frau macht die Geburt.“ Dabei steht die Sicherheit für Mutter und Kind an oberster Stelle, wie Karin Alscher von der Koordinationsstelle für Qualitätsmanagement im Netzwerk der Geburtshäuser in ihrem Resümee betont. Im Geburtshaus Essen sind stets zwei Hebammen vor Ort.
Am Samstag nun feiern Andrea Allen und ihr Team zum zwölften Mal ihr Sommerfest. Rund 800 Gäste werden erwartet, die das Haus zwischen 11 und 18 Uhr besuchen werden. Alle sind willkommen, „auch diejenigen, die sich erst einmal informieren wollen“, sagt Andrea Allen. Sie selbst gebar ihr erstes Kind in der Klinik, das zweite kam im Geburtshaus zur Welt. Sie kam also aus persönlicher Sicht vergleichen und so werdende Mütter ideal beraten. Im April erreichte sie eine ungewöhnliche E-Mail: Eine Mutter, die schon drei Schwangerschaften mit dem Geburtshaus erlebte, doch nun mittlerweile auf Zypern wohnt, steht kurz vor der Entbindung. Sie lud eine der Hebammen zum kostenlosen, zweiwöchigen Aufenthalt auf die Mittelmeer-Insel ein. Andrea Allen: „Wahrnehmen konnten wir dieses Angebot zwar nicht, aber eine schönere Bestätigung unserer guten Arbeit kann es doch nicht geben, oder?“