Essen. Schulden, Schläge, Straßenstrich: Frauen bringen Alltagssorgen, aber auch Kochrezepte mit ins Café Schließfach. Und manchmal den Nachwuchs.
Nach acht Jahren Ehe, vier Umzügen und vier Räumungsklagen, ist sie endlich zur Ruhe gekommen. Hat endlich die 120 000 Euro Schulden abbezahlt. Katalogsüchtig sei sie gewesen. Vor allem aber habe ihr Mann „Taschengeld haben wollen“. Mit ihrer Heirat habe sie nicht so das große Glück gehabt, die 60-Jährige will gar nicht darüber reden. Erzählt dann doch, wie er sie auf den Strich schickte. Auch nach der Trennung schaffte sie weiter an, um die Schulden zu bezahlen. Immer wenn sie die Umschläge mit offenen Rechnungen darin aus dem Briefkasten zog, ging es ihr schlecht. Ihre Ängste hat sie in sich reingefressen. Die Lösung waren Pizza, Pralinen und Pferdebahn. Dort wartete sie auf Freier.
Dabei wollte sie Frisörin werden, hat die Lehre aber abgebrochen, hat in der Papierfabrik und im Metallwerk als Aushilfe angepackt. Heute ist sie arbeitslos, mit 60 gebe ihr niemand mehr eine Chance, sagt sie. Aber sie habe auch so viel geschafft, nur die 30 Pfund werde sie nicht los, erzählt sie in der Runde im Café Schließfach. Ein Treff unter anderem für wohnungslose und drogenkonsumierende Mädchen und Frauen, wo sie seit sieben Jahren hinkommt.
"Kolossale Hilfe"
Neben ihr sitzt eine Rentnerin, die noch länger dabei ist. Für das kostenlose Mittagessen ist sie dankbar, sagt sie. Mit der kleinen Rente, da müsse sie schon aufpassen und gucken, wie sie klarkomme. Vor kurzem hat sie im Kleiderladen, wie sie die gespendeten Anziehsachen nennen, einen schönen Pullover gefunden, für 50 Cent. Das sei eine „kolossale Hilfe“. Die bekommt sie sonst von niemanden, denn sie ist alleinstehend, hat keine Kinder.
Die innere Vereinsamung treibt auch die 39-Jährige am Tisch ins Café. „Hier habe ich Stricken gelernt“, erzählt sie. Zu Hause lebt sie mit ihrem Kind. Das sei 19, schlafe lange aus und hänge ständig vor dem Computer. Die Mutter zeigt sich resigniert: „Nützt eh nix.“
"Ich war froh, eingesperrt zu werden"
Sie hatte in dem Alter den Hauptschulabschluss, fing ihre Lehre zur Floristin an, wurde schwanger. Später hat sie „hier und da“ gearbeitet. Zuletzt als Reinigungskraft auf einer Intensivstation. Mit dem Bandscheibenvorfall kam die Kündigung, erzählt sie. Jetzt müsse sie wieder zum Bewerbungstraining. „Ich kann das doch“, protestiert sie. Immerhin schicke das Amt sie zum vierten Mal dort hin. Sie würde lieber arbeiten gehen, in der Hauswirtschaft, vielleicht in einer Einrichtung mit psychisch Kranken, wünscht sie sich. Bis sie einen Job findet, geht sie weiterhin jeden Tag zum Treff: „Ich bin gern hier.“ Sie redet am liebsten ein bisschen mit den anderen, die sich oft seit Jahren kennen.
Seit 1997 kommt Susanne Spindler. „Ich war drogensüchtig und obdachlos“, erzählt sie. Zum Glück sei sie beim Kauf von Koks verhaftet worden. „Ich war froh, eingesperrt zu werden.“ Zweieinhalb Jahre habe ihr das eingebracht, gefährliche Körperverletzung kam hinzu. „Ich war eine Schlägerbraut“, sagt die 40-Jährige. „Seit mein Kleiner da ist, habe ich mich aber total verändert.“ Als sie zuletzt im Gefängnis saß, weil sie mehrfach beim Schwarzfahren ertappt worden war, erfuhr sie, dass sie schwanger ist.
"Er hat mich stundenlang verprügelt."
Ihr Sohn ist nun neun Monate alt. Es ist ihr erstes Kind, das bei ihr aufwächst. Ihre älteste Tochter habe sie zur Adoption frei gegeben, weil sie keinen Wohnsitz hatte. Die anderen drei Töchter habe ihr Vater ins Heim stecken lassen, als sie fünf, drei und anderthalb Jahre alt gewesen sind. Aus Sorge, weil ihre Ehe nicht gut gewesen sei.
Susanne Spindler landete im Krankenhaus, flüchtete barfuß, nur im T-Shirt und mit „dickem Gesicht“ ins Café. „Er hat mich stundenlang verprügelt.“ Als dann ihre Töchter weg waren, konnte sie nicht mehr, ging zum Bahnhof und wollte eigentlich Hasch kaufen. Sie bekam Härteres. „So bin ich drauf gekommen.“ Als die Polizei sie schließlich erwischte, wog sie noch 45 Kilo, zog in der Haft ihre Therapie selbst durch, erzählt sie.
Seit 2004 sei Schluss mit den Drogen. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten und Sohn zusammen. Zu drei ihrer Töchter hat sie Kontakt und das Gefühl, sie verstehen, warum ihre Mutter sie abgegeben hat. Beruflich habe sie erstmal drei Jahre Ruhe, bis ihr Sohn in den Kindergarten geht. Was sie dann machen möchte, weiß sie nicht genau. Schulabschluss oder Ausbildung hat sie nicht. Eine Putzstelle könnte sie sich vorstellen. Ob sie sonst einen Wunsch für die Zukunft hat? Ihre Augen blitzen auf. Susanne Spindler schaut hoch: „Ich hab’ doch alles erreicht.“