Essen. . Markus Kotowski erzählt von seiner 24 Jahre währenden Alkoholsucht. Die Geschichte handelt vom Anfang, vom Tiefpunkt: Damals wollte er sich töten, leerte 16 Flaschen Wein binnen 48 Stunden und setzte in einem wachen Moment den rettenden Notruf ab. Heute sitzt er selbst am Suchtnotruf-Telefon der Einrichtung “Die Fähre“.
Mit 14 Jahren begann Markus Kotowskis Trinker-Karriere. „Damals war ich im Musikzug, da gehörte es dazu, bei den Proben Bier zu trinken.“ Dreimal wöchentlich also gab es Bier, „nach Auftritten bei Schützenfesten und bei Geburtstagen sowieso“. Nein, sagt Kotowski, begeistert seien seine Eltern davon nicht gewesen, „aber sie haben es akzeptiert“. So steigerten sich die Mengen. Mit 16, vielleicht 17 Jahren sei Wodka hinzu gekommen und Jägermeister. „Schließlich konnte ich mich in der Schule nur noch konzentrieren, wenn ich einen Alkoholspiegel hatte.“
Markus Kotowski erzählt von seiner 24 Jahre währenden Alkoholsucht nicht zum ersten Mal. Die Geschichte handelt vom Anfang, vom Tiefpunkt, von der Wende, die erst kam, als es ums Überleben ging. Damals wollte er sich töten, leerte 16 Flaschen Wein binnen 48 Stunden und setzte in einem wachen Moment den rettenden Notruf ab.
Der 44-Jährige weiß also, wovon er redet, wenn er heute am Suchtnotruf-Telefon der Einrichtung „Die Fähre“ Suchtkranke und deren Angehörige berät. Zwei Entzüge und einen Rückfall hat er hinter sich, wurde als akut suizidgefährdet in der geschlossenen Psychiatrie behandelt, kennt sich aus mit Selbsthilfegruppen und den nie endenden Herausforderungen, die das Trockensein mit sich bringt.
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Es sind zumeist Menschen wie Kotowski, aber auch Angehörige Suchtkranker und Ehrenamtliche, die im Beruf mit Drogen- und Alkoholmissbrauch in Kontakt kamen, die den 24-Stunden-Dienst des Suchtnotrufs aufrecht halten. „Wir bieten immer wieder Kurse an, um diese Ehrenamtlichen zu qualifizieren“, sagt Nicolin Vook-Chaban von der GBS-Suchthilfe, denn es erfordere Fachwissen um das Hilfe-System in Essen. Menschliche Qualitäten, um Ratsuchenden beistehen zu können, brauche man natürlich auch.
Zuhören und Helfen
Vorurteilsfrei zuhören, gemeinsam mit verzweifelten Menschen einen Weg suchen aus dem Suchtkreislauf, das sind die Aufgaben am heißen Draht der Einrichtung. Kommunikationstechniken stehen bei den Schulungen auf dem Plan. Erläutert wird, welche Suchtmittel es gibt und wer der jeweilige Ansprechpartner ist.
Eine Aufgabe, die Harald Jacob als sinngebend für sein Leben einstuft. „Ich war 20 Jahre lang Alkoholiker“, sagt er. Die Diagnose Leberzirrhose schließlich machte ihm derart Angst, dass er den Absprung schaffte. „Ich stand damals schon auf der Transplantationsliste“, sagt Jacob. Heute erzählt er vor Schulklassen von seiner Sucht, dem über Jahre abgerissenen Kontakt zu seiner Familie. Als „authentisch“ würden die Jugendlichen die Schilderungen Betroffener einstufen, „viele sagen, wir nehmen daraus etwas mit.“ Für Harald Jacob ein Ansporn, die Suchthilfe bekannter zu machen, „mittlerweile bin ich sogar erster Vorsitzender“, und die von Ehrenamtlichen geforderten Dienststunden (24 Stunden monatlich) überschreitet er bei weitem.
Ob Kotowski und Jacob keine Angst haben, rückfällig zu werden? „Wenn wir den ganzen Tag allein zu Hause säßen“, sagt Kotowski, „wäre die Gefahr größer.“ Einen ständigen Anlaufpunkt und rund um die Uhr einen Ansprechpartner zu haben, sei entscheidend. „Wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt oder es mir nicht so gut geht, rufe ich an oder komme her.“
Dann ist Jacob Ratsuchender, nicht Helfer. Was vielleicht noch ein Motiv der Herren für das ehrenamtliche Engagement sein mag: Sie helfen – und bekommen Hilfe. Weitere Ehrenamtliche sucht Nicolin Vook-Chaban für den nächsten Qualifizierungskurs in der Fähre.