Essen. Büro statt Backstube: Von modernen Meistern, die nicht mehr zum Backen kommen. Und von kleinen Betrieben, die ums Überleben kämpfen. Wie das Handwerk sich dem Markt anpasst.

Jeder isst sie wohl täglich, eine Scheibe Brot oder vielleicht ein Brötchen. Mit oder ohne Körner. Oder lieber süß. Die Auswahl ist enorm gewachsen. Die Zahl der Filialen steigt, die der Bäcker hingegen ist erheblich geschrumpft. Unser täglich Brot kommt längst nicht mehr nur aus der kleinen Backstube im Stadtteil. Denn von denen gibt es nicht mehr viele. Stattdessen bieten Tankstellen Gebäck an, Discounter drängen in den Markt. Und aus manch kleinem Bäcker wurde ein Großunternehmen auf der grünen Wiese.

22 backende Betriebe gibt es laut Bäcker-Innung Rhein-Ruhr in Essen. „Vor rund zehn Jahren waren es noch etwa 70“, sagt Frank Köster, Geschäftsführer der Bäcker-Innung. Der Druck in der Branche sei sehr groß. Die Produktion habe daher in vielen Bereichen angepasst werden müssen.

Schockfrosten und Tiefkühl-Teiglinge nicht unüblich

So werden Brötchen oft in Filialen gebacken statt in der Backstube. Schockfrosten gehöre mitunter auch bei Betrieben dazu, die selbst herstellen. Und wahrscheinlich auch zugekaufte Tiefkühl-Teiglinge, sagt Köster. Wie Berliner, die nur mit Marmelade befüllt werden müssen.

Johannes Küpper stellt täglich 1500 Brötchen (29 Cent) in der Backstube her, die sein Großvater 1908 eröffnet hat. Seit 1928 ist sie am Klemensborn, ein paar Tische sind hinzugekommen. Anstelle des Backofens, für den der Bäcker hat tonnenweise Kohle schippen müssen, ist ein Elektro-Ofen gerückt. Und zu Grau- und Steinofenbrot haben sich seit den 80ern Körnerbrote gesellt.

Bessere Chancen im Essener Süden

Ausroll- und Teigmaschine erleichtern das Arbeitsleben. Das beginnt morgens um ein Uhr mit dem Brötchenteig. Drei Meister stehen in der Backstube. Filialen in Kettwig und Bredeney und Lieferungen an Hotels und Kioske sichern den Betrieb, sagt Küpper. „Im Süden sind die Überlebenschancen besser“, glaubt er, der mit 13 Jahren in die Lehre ging und immer noch sagt, dass er Spaß an seinem Beruf habe.

Laugengebäck, Plunder, Brötchen und Butterstuten stellen sie her. Nur müssen sie nicht mehr alles selbst formen. Croissants werden gefrostet, bei Bedarf gebacken. Anders ist es bei Donuts: Die Herstellung sei zu kompliziert. Weil sie aber beliebt seien, kaufe Küpper diese hinzu. Und backt auch Brot fast ohne Mehl, weil der Kunde das wünsche: Das Eiweißbrot liege im Trend. Den müsse man mitmachen. Früher gab es morgens Brötchen, gegen elf kamen die Brote, ab mittags Kuchen. Wegen des Nachtbackverbots haben die Bäcker bis 1996 auch erst ab vier Uhr arbeiten können.

Zu wenige wollen noch Bäcker werden

„Heute will der Kunde alles sehen, wenn er morgens in den Laden kommt.“ Bei den Auszubildenden habe sich ein Ungleichgewicht entwickelt, sagt Küpper, der stellvertretender Lehrlingswart bei der Innung ist. Immer weniger wollen Bäcker werden, immer mehr Brot verkaufen. Küpper weiß von den Nachwuchssorgen der Kollegen. Sein Sohn wollte Schreiner werden, steht nun als Meister mit in der Backstube.

„Der Beruf ist nicht einfach“, sagt Küpper. Mathe und Chemie spielten hinein. Das Handwerk bedeute mehr, als Teig aus der Maschine zu holen. Ein guter Hauptschulabschluss sei Voraussetzung, sagt Küpper, der besorgt auf die Zahlen blickt: So gebe es zwei Lehrlinge im zweiten Lehrjahr.

Brötchen gehören zur Lebensqualität

Stefan Holtkamp hätte gern einen zweiten Auszubildenden. Und glaubt, dass der Mythos des frühen Aufstehens zu hoch stilisiert werde. „Wechselschicht ist schlimmer“, sagt der Bäckermeister aus Holsterhausen. Seine Backstube backt seit 1869, von der vier Filialen, Sterne-Gastronomie und Hotels beliefert werden (Brötchen 29 Cent). Früher sei das Mehllager im Wohnzimmer gewesen, heute lagern im Keller zehn Tonnen Mehl, das automatisch vermischt werde, sagt der Meister.

Seine Strategie für den Betrieb: „Unsere Produkte gibt es nur bei uns“. Heißt: Sie kaufen nichts hinzu, verzichten auf Waren, die sie nicht selbst herstellen können, sagt Holtkamp. Der glaubt, dass es zur Lebensqualität gehöre, in ein Brötchen zu beißen, hinter dem Menschen in der Produktion stehen.

Bäcker 2012 - Marketing für Bäckermeister 

Was sich an ihrem Berufsbild verändert habe: „Die Menschen sind satt, wir müssen sie reizen.“ Welcher Bäcker hat schon vor 20 oder 30 Jahren Werbe-Strategien aufgefahren? Und zudem hätten sie schlechte Voraussetzungen: „Die Kunden müssen schon zu uns kommen.“ Daher gehört Marketing zu den Aufgaben eines Bäckermeisters, der als Chef heute vielmehr Büromensch ist und in der Regel nicht mehr zum Backen kommt.

Die Backstube Küpper ist einer der letzten Essener Betriebe, in denen der Inhaber selbst in der Backstube steht.
Die Backstube Küpper ist einer der letzten Essener Betriebe, in denen der Inhaber selbst in der Backstube steht. © WAZ FotoPool

Den engen, stickigen und überhitzten Arbeitsplatz, den vermisse er nicht, sagt Bäckermeister Klaus Peter (49). Von Backstuben-Romantik könne keine Rede sein. Er übernahm mit seinem Bruder die Bäckerei des Vaters, wechselte 1998 an den Standort im Gewerbepark Bamlerstraße, in den sie fünf Millionen DM investierten. Auf 2500 qm produzieren 50 Mitarbeiter, davon 40 Bäcker. Die Brötchen forme die Maschine, die Brote der Mensch, sagt Peter.

Kreative Konzepte

60 000 Brötchen (28 Cent) liefern sie täglich an die 46 Filialen, 45 000 allein an die 36 in Essen. Damit seien sie längst nicht fertig, sagt Peter, der nach Freisenbruch oder Steele schaut. Die große Schwierigkeit der Bäcker nennt er die Beliebigkeit der Produkte, die überall verfügbar seien. Daher hat der Bäckermeister sein „Marketing-Ding“ entdeckt, das man kommunizieren müsse. Er spendet für die gute Sache im Stadtteil, lässt zu den Aktionen Handzettel verteilen und Mitteilungen verschicken. Weiteres Konzept: der Vortagsladen in Altenessen.

Auch Bernd Siebers hat vor kurzem den Laden „Gutes von gestern“ eröffnet. Aus einer seiner zehn Filialen wird er wohl einer Backstation von Lidl weichen müssen. Dabei hat er 100 000 Euro in den Ausbau gesteckt. 2,5 Millionen Euro flossen 2007 in den Neubau an der Econova-Allee, wo sich Maschinen und Mensch die Produktion teilen. Angefangen hat der „Borbäcker“ im Familienbetrieb an der Marktstraße, bei dem die Backstube der ehemalige Pferdestall der Großeltern war. „Wir sind heute zufrieden, aber nicht am Ende“, sagt Siebers. Er denkt ans Standbein Hochzeitstorten.

Größerer Betrieb als Garantie

3000 Brote und 18 000 Brötchen (29 Cent) backen die Mitarbeiter täglich: 25 Bäcker und Konditoren, sechs Azubis und Aushilfen, die spülen und putzen. Sie hätten mit der Größe eine Garantie geschaffen, sagt der Meister. Denn ein größerer Betrieb habe mehr Möglichkeiten, rationeller herzustellen. „Sonst wären wir vielleicht nicht mehr am Markt.“

Den kennt der Oberinnungsmeister gut und fürchtet, dass mit den Billigbackwaren vom Handwerk etwas verloren geht. „Heute ist alles als Tiefkühl-Teigling zu bekommen.“ Sein Wunsch ist, dass der Kunde die Wertigkeit des Handwerks erkenne. Das habe durchaus Chancen, sich mit individuellen Rezepten zu behaupten.