Essen. Ein Thermometer hat sie bereits im Kühlschrank, Lebensmittel stehen bei ihr in der Küche nicht geöffnet rum und die Hände wäscht sie sich immer im Badezimmer: Trotzdem muss auch Agnes Rummelshausen damit rechnen, dass die neuen EU-Hygienevorschriften ihrer Tätigkeit als Tagesmutter ein Ende setzen.
Gleich fünf Eltern bewarben sich bei Agnes Rummelshausen um einen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind, als die Schönebeckerin im Dezember vergangenen Jahres erstmals ein Tageskind aufnahm. Nun könnten die neuen Hygienevorschriften der EU dafür sorgen, dass das einjährige Kind, das Agnes Rummelshausen inzwischen betreut, nicht weiter zu ihr kommen darf. Inwieweit die EU-Regelung in Deutschland umgesetzt wird, ist noch unklar. Fest steht: Es wird sich etwas ändern – was bei den Tagesmüttern für Verunsicherung sorgt.
Die Vorschriften sind angelehnt an die für Großküchen: kein Nagellack, weder stark duftendes Parfüm noch Deo oder Seife in der Küche, kein Ring oder Armband noch Ohrringe bei der Essenszubereitung. Tiere dürfen nicht in der Küche gefüttert werden, ach, die Küche gar nicht mehr betreten.
Handtücher sollen wenn möglich nur einmal gebraucht werden, das Händewaschen in der Küche ist passé – es sei denn, es gibt zwei getrennte Becken, eins fürs Händewaschen, das andere für die Lebensmittelzubereitung. Zudem sollen künftig Waschmaschinen keinen Platz mehr in der Küche haben. Wie viele der Neuerungen in einen 20-seitigen Leitfaden einfließen, den die Landesregierung derzeit in Anlehnung an die EU-Vorschrift erarbeitet, bleibt abzuwarten.
Entwurf erlaubt keine Holzdielen mehr
Einige der Vorgaben, die in einem ersten Entwurf des Papiers nachzulesen sind, befürworten Betroffene gar. „Wir haben ja bereits ein Thermometer im Kühlschrank und kaufen immer frisch ein. Offene Lebensmittel stehen in unserer Küche nicht und die Hände wasche ich mir im Bad“, sagt Agnes Rummelshausen. Dafür könnte es Ärger geben um den Küchenboden. „Wir haben Holzdielen, das wäre nach dem Entwurf nicht mehr erlaubt.“
Ein weiterer Streitpunkt dürfte das Katzenkind sein, das seit Weihnachten bei der Familie lebt. „Hier ist alles offen gestaltet, es gibt keine Küchentür.“ Damit kann Katze Tiger jederzeit in die Küche – was verboten wäre. „Wir achten aber darauf, dass sie nicht überall raufklettert und Futter bekommt sie in der Küche auch nicht. Das wäre uns zu unhygienisch. Schließlich leben wir selbst auch hier – nicht nur das Tageskind.“
Ob es aber reicht, dass die Mutter des Tageskindes erklärt, dass sie mit Holzboden und Katzenhaltung einverstanden ist, lässt sich nicht absehen. „Wenn die Vorschriften kommen wie geplant, kann ich nicht weiter als Tagesmutter arbeiten. Denn ich kann es meiner zweijährigen Tochter nicht antun, die Katze abzugeben. Und es kommt auch nicht in Frage, dass wir den Küchenboden rausreißen.“
Rechtsanspruch ab 2013
Dabei braucht die Stadt ihre Tagesmütter. Ab 2013 haben die Eltern Unter-Dreijähriger einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung. „Darauf sind wir gut vorbereitet“, sagt Christina Bäuerle, Leiterin des Essener Jugendamtes. „Laut unserer Bedarfsplanung müssen wir ab 2012 in Essen 1288 Tagespflegeplätze für Unter-Dreijährige vorhalten.“ Dieses Soll erfülle man.
Ob aber Tagesmütter den Job aufgeben müssen, weil sie neuere Vorschriften nicht erfüllen, bleib abzuwarten. Ebenso ist unklar, wie man die Einhaltung der neuen Vorschriften seitens der Stadt Essen nachhalten will.
Ohnedies sieht Bäuerle möglichen Neuerungen gelassen entgegen. „Hygiene war für uns in der Tagespflege schon immer ein großes Thema.“ Schulungen müssten alle Tagesmütter und -väter durchlaufen. So auch die ausgebildete Erzieherin Agnes Rummelshausen. Man könnte dies, nach einer mehrjährigen Ausbildung zur Erzieherin, für paradox halten – „aber ich habe in den Kursen schon einiges gelernt, mit dem ich im Erzieherinnen-Beruf nicht so viel zu tun hatte“, sagt die Mutter einer Tochter. Sinnvoll sei es zudem für Tagesmütter und -väter, die eher unkonventionelle Vorstellungen von Hygiene hätten, ergänzt Bäuerle.
Kassenbon für ein Bund Möhren vom Markt
Abwägen müsse man in jedem Falle, wie viel Regelwerk sinnvoll sei, sagt Björn Enno Hermans, Geschäftsführer beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), der im Auftrag des Jugendamtes Tagesmütter und -väter vermittelt. „Es ist nicht verkehrt, wenn man die Temperatur im Kühlschrank misst oder auf angebrochene Verpackungen das Datum schreibt. Schließlich haben Tageseltern viel Verantwortung.“
Doch schaut man ein Stückchen weiter – gerät schon wieder eine Vorschrift in den Blick, die nicht ganz so sinnvoll erscheint. Nachweisen sollen Tageseltern, wo sie regelmäßig Lebensmittel kaufen. Was auf dem Markt spannend werden könnte. Ein Kassenbon für einen Bund Möhren? Machbar. Bloß: Wie will man das Gemüse beschriften?