Essen. „Essens älteste Abiturientin“ geht nun zur Uni. Heide Steppke (72) studiert im ersten Semester Französisch und Geschichte. Das brachte ihr sogar einen Auftritt bei Günther Jauch ein. Als “bildungsbeflissene Oma“, wie sie von einem Kritiker der FAZ genannt wurde, möchte Steppke aber nicht bezeichnet werden.

Im Sommer hat sie ihr Abi am Nikolaus-Groß-Abendgymnasium gemacht, mit einem Notendurchschnitt von 2,2. Die WAZ schrieb damals: „Essens älteste Abiturientin“. Jetzt, vor wenigen Wochen, war sie bei Günther Jauch im Fernsehen, es ging um das Thema Bildung, und wie das manchmal so ist: Das Echo auf ihren Auftritt war gewaltig, aber gekränkt hat sie nur eine einzige Resonanz, und die kam ausgerechnet – von der FAZ. Als „bildungsbeflissene Oma“ wurde sie da ziemlich flegelhaft von einem Kritiker bezeichnet, der die Sendung für die Online-Ausgabe der renommierten Zeitung besprochen hatte. „Das fand ich herabwürdigend“, sagt Heide Steppke.

Schon nach dem ersten Artikel im Juli in der WAZ klingelte häufig das Telefon, das Radio war dran und andere Zeitungen, alle fragten nach Interviews. Ende November meldete sich dann die Redaktion von Günther Jauch. Ein Mittwoch war es, Heide Steppke weiß es noch genau: „Die wollten, dass ich direkt zusage.“ Nach ein paar Stunden Bedenkzeit sagte sie dann: „Gut, ich mach’s.“ Prompt stand am nächsten Tag ein Dreh-Team auf der Matte, filmte Heide Steppke auf dem Uni-Campus. Sonntags ging es dann nach Berlin, zur Sendung. „Ich durfte eine Freundin mitbringen, wir wurden durch die Stadt kutschiert, man wurde regelrecht verwöhnt.“

Tuberkulose beendete ihre Schullaufbahn

Bei ihrem Auftritt, berichtet Heide Steppke, sei sie dann „ganz ruhig“ gewesen, „die Atmosphäre im Studio war viel gelassener, als ich dachte.“ Später, nach Drehschluss, habe es noch einen Umtrunk mit Jauch und allen Gästen gegeben: Der Moderator habe einen etwas „verkniffenen Eindruck“ gemacht, erzählt die Seniorin, „seine Töchter hätten ihm wohl direkt gesagt, die Sendung sei nicht so gut, das Thema verfehlt gewesen.“

Aber wie will man das Thema Bildung auch in einer einzigen Fernsehsendung abhandeln? Sie war direkt zu Beginn dran gewesen, Jauch hatte sie und eine 14-jährige Schülerin als „Bildungs-Gewinnerin“ vorgestellt. Die Schülerin hat schon zwei Klassen übersprungen und aus Spaß Goethes „Faust“ auswendig gelernt. Heide Steppke hat in drei Jahren das Abitur nachgeholt, weil es immer ein Herzenswunsch von ihr gewesen war. Damals in ihrer Jugend hatte eine Tuberkulose ihre Schullaufbahn abrupt beendet. Kur statt Abi. Nach der Rückkehr blieb nur eine Lehre. Jahrzehnte arbeitete sie dann bei einer Bank – obwohl Mathe gar nicht ihre Stärke ist.

Jetzt hat sie mit Französisch und Geschichte an der Uni Duisburg-Essen angefangen, den regulären „Zwei-Fach-Bachelor“-Studiengang, Regelzeit sechs Semester – allerdings als Teilzeit-Studium, auch das gibt es.

„Es bleibt sehr wenig Zeit für andere Sachen“

Und Heide Steppke sagt genau das, was auch 22-Jährige über ihr Studium sagen: „Es ist unglaublich viel zu lernen. Es bleibt sehr wenig Zeit für andere Sachen.“ Das, bekennt Heide Steppke, habe sie so nicht erwartet. Doch es mache ihr Spaß, „man erweitert noch mal ganz neu seinen Horizont“, und selbst die Enge in den Hörsälen macht ihr nichts aus. „Das ist auch nicht mehr so schlimm wie am Anfang.“ Täglich von montags bis donnerstags fährt sie von Steele aus zum Campus, zweimal wöchentlich hat sie Seminare bis halb acht am Abend; in den Abendstunden und am Wochenende liest sie viel, lernt und wiederholt – denn Lernen, hat Heide Steppke auch zu Günther Jauch gesagt, „Lernen fiel mir immer leicht. Ich habe immer gern gelernt.“

Es gibt nur eine Sache, bei der sie merkt, dass sie sich von jenen unterscheidet, die im Hörsaal neben ihr sitzen und 50 Jahre jünger sind. Es ist der Umgang mit den digitalen Lernmaterialien: So gut wie sämtliche Schriften muss man sich heute aus dem PC ziehen, die Dozenten stellen alles online bereit. „Der Umgang damit fällt mir schwer. Das kostet oft Zeit und Nerven.“

Aber das soll Heide Steppke nicht abhalten. „Wenn ich das erste Semester schaffe“, sagt sie, „schaffe ich auch den Rest.“