Essen-Werden. „Ich freue mich wahnsinnig über diese schöne Idee.“ Tatjana Wächter strahlt. Die 25-Jährige ist ein lebensbejahender, ein lebenshungriger Mensch. Ihre blauen Augen blitzen, wenn sie über Dinge und Menschen spricht, die ihr am Herz liegen: Die Querflöte, Fußball spielen, ihre Dozenten und Kommilitonen, ihren Bruder. „Ich weiß, dass viele mit mir leiden und für mich beten.“
Tatjana Wächter ist krank. Ein schwarzer Hautkrebs hat ihr Leben auf den Kopf gestellt. Wie lang es noch dauern wird, kann niemand mit Gewissheit sagen. Ihre Ärzte machen ihr keine Hoffnung auf weitere Jahre. 20 Monate, diese Zeitspanne scheint realistisch angesichts vergleichbarer Patientenschicksale. „Noch einen Sommer“, postete die Studentin in ihrem Internet-Blog als sie auf der Palliativ-Station des Huyssenstifts angekommen war. „Wie sehr ich mir noch einen Sommer wünsche.“
In ihrer kasachischen Heimat möchte sie ihn verbringen, an den Orten ihrer Kindheit, in den Parks und Gärten der Stadt Pawlodar am großen Strom, dem Irtysch. Heiß und sonnig ist es hier zur Jahresmitte. „Mal blumig, mal staubig, nie regnet es länger als zwei Tage am Stück“, weiß Tatjana Wächter. Sie weiß auch, wie sehr ihre Mitstudenten Anteil an ihrem Schicksal nehmen. Schon während ihrer zahlreichen Krankenhausaufenthalte seit der Krebs-Diagnose 2009 bekam sie regelmäßig Besuch. Musik am Krankenbett, darüber freuten sich auch andere Patienten. Am Mittwoch nun spielen Folkwang-Studierende ein Benefiz-Konzert für die Querflötistin. Und ihren, vielleicht letzten, Wunsch.
Tatjana Wächter ist recht guter Dinge am Vorabend ihres Ehrentags. Gerade aus dem Huyssenstift entlassen, kann sie einige Tage zu Hause verbringen. „Recht erbaulich“, so beschreibt sie ihre aktuelle Gefühlslage. Schon am Donnerstag geht es weiter nach Bad Oeynhausen, wo sich eine der wenigen Reha-Abteilungen für junge Erwachsene mit Krebs befindet. „Die Leute dort sind zwischen 18 und 35. Da liege ich genau in der Mitte“, sagt die junge Frau und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Die Anstrengungen lässt sie sich nicht anmerken. Aufgesetzt wirkt diese Haltung nicht, sie scheint ganz einfach ihrem Wesen, ihrer Lebenseinstellung zu entsprechen. Da ist eine ganz natürliche Stärke präsent, ein Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen. Früh auf eigenen Beinen stehen, das wollte sie spätestens, als sie mit gerade einmal 18 Jahren ihre Eltern nach Deutschland begleitete. In die zehnte Klasse zurückversetzt lernt sie die neue Sprache, absolvierte Abitur- und Aufnahmeprüfung am Klemensborn parallel. „Ich habe mir nicht viel ausgerechnet“, gesteht sie. „und ich habe es bei dieser einen Prüfung belassen.“ Umso größer die Freude, dass es wirklich geklappt hatte mit dem Lehramtsstudium. Da sei sie erst einmal ausgiebig durch ihre Wohnung gehüpft. „Als ich die Uni zum ersten Mal gesehen hatte, wollte ich nur hier hin.“
Den lästigen „Leberfleck“ ließ sie vom Hautarzt entfernen. Zwar stellte sich rasch heraus, dass es sich um einen Tumor handelte. Aber die vier Wochen Fußballverbot nach der Operation kamen Tatjana Wächter schon als schlimmste Konsequenz des Eingriffs vor. Tatsächlich bestehen allgemein gute Heilungschancen. Wenn der Krebs keine Metastasen bildet, das Lymphsystem frei bleibt, kann nach drei Jahren alles überstanden sein. Tatjana Wächter war dies nicht vergönnt. Die Krankheit befiel ihre Wirbelsäule. Für ein orthopädisches Problem hielt sie ihre Beschwerden. Nun verstärken Schrauben und Metallplatten ihr Rückgrat. „Auto“ nennt sie ihre Gehhilfe. „Entschuldigung, auf Kopfsteinpflaster rattert sie so laut“, sagt sie.
Tatjana Wächter freut sich auf das Konzert, auf die Besucher. Sie hofft, dass Pfleger und Mediziner von der „Palli“ in Essen dabei sein können. Mit der Musikauswahl ihrer Kommilitonen zeigt sie sich recht zufrieden. „Ich freue mich sehr auf die Menschen. Nur mit dem Mozart muss ich mich noch anfreunden.“ Und zum Finale gibt es eine Eigenkomposition eines Studenten. „Ein witziges Stück. Gott sei dank, ich will ja nicht, dass das Ganze zu einer Massenheulerei ausartet.“
Lebensdurst-Ich“, unter diesem Motto spielen und singen Tatjana Wächters Studienfreunde und Dozenten am Mittwoch, 9. November, ab 19.30 Uhr Kompositionen von Bach, Scarlatti, Chopin, Saint-Saëns, Piazolla und eben auch Mozart. Veranstaltungsort ist der Neue Saal im Westflügel der Folkwang-Universität auf dem Campus am Klemensborn. Der Eintritt ist frei. Alle Spenden sind für die krebskranke Studentin bestimmt.