Essen. . Heide Steppke aus Steele hat erfolgreich ihre Reifeprüfung bestanden - mit 71 Jahren. Und weiter geht's: Jetzt will sie Geschichte studieren. Ihre Gene sind gut - der Vater wurde 99 Jahre alt, die Mutter 98.

Die Zeichen deuten darauf hin, dass Heide Steppke (71) aus Steele noch viele gute Jahre vor sich haben wird. „Mein Vater ist 99 Jahre alt geworden, meine Mutter 98. Selbst, wenn mir jeweils nur die Hälfte bliebe – was soll man denn anfangen mit der Zeit?“

Was soll man machen, wenn der Beruf erledigt ist, die Kinder aus dem Haus sind und die eigenen Eltern nicht mehr da? Im Altenheim, dort wo Heide Steppke ihren Vater und ihre Mutter auf ihrem letzten Weg begleitet hat, da lernte die Seniorin jemanden kennen, der ihr riet: „Mach’ doch dein Abitur nach.“

Also meldete sie sich im Nikolaus-Groß-Abendgymnasium im Südostviertel an, ging dreieinhalb Jahre nochmal zur Schule, immer halbtags, Leistungskurse Deutsch und Geschichte, dazu Bio, Religion, Englisch, Mathe. „Mathe fiel mir am schwersten“, sagt Heide Steppke, „das ging einfach nicht in meinem Kopf rein.“

Dabei hat sie Jahrzehnte lang bei einer Bank gearbeitet. Mit Erfolg, wohlgemerkt.

Krankheit warf sie aus der Bahn

Die Krankheit warf Heide Steppke aus der Bahn, da ging sie gerade in die elfte Klasse, es war in Peine, Niedersachsen. Tuberkolose war verbreitet damals, man nannte es auch Schwindsucht. “Du kriegst die Motten“, sagten die Leute, und das war nicht als Witz gemeint. „Jedenfalls war ich zwei Jahre raus, und hinterher war vom Abitur keine Rede mehr. Das war damals eben so.“ Dabei wollte sie so gern studieren und dann Apothekerin werden.

Stattdessen lernte sie Zahnarzthelferin, doch TBC kam zurück, es folgte ein halbes Jahr Lungenheilanstalt. Danach musste sie erst mal raus, die Welt sehen: „Als Au Pair war ich zwei Jahre in Belgien und in Frankreich.“ Sie kam zurück, und die Mutter sagte: „Du gehst zu einer Bank.“ Ein angesehener Beruf. Was Solides.

Heide Steppke lernte dort sehr viele Leute kennen, die eigentlich mal was ganz anderes vorhatten im Leben. „Wenn einer wirklich seinen Traumberuf ausüben kann“, sagt sie heute, „dann ist das ein ganz großes Glück.“

Interesse fürs Mittelalter führt zum Geschichtsstudium

Sie arbeitete sich hoch vom Sekretariat, Spezialgebiet französische Übersetzungen, bis in die Kredit-Sachbearbeitung, es folgten Stationen in Düsseldorf, Köln, schließlich Essen. „Doch dass ich das Abitur nicht hatte, hat mich immer gestört. Darüber hab’ ich immer gejammert.“ Die vielen VHS-Kurse, die sie zwischenzeitlich besuchte, schafften da keine Abhilfe.

Sie heiratete, gründete eine Familie, und als der eigene Sohn mit 16 kurzzeitig mal die Schule schmeißen wollte, da blieb sie entschlossen: „Kommt überhaupt nicht in Frage.“ Der Sohn hat heute Abitur. Heide Steppke jetzt auch, Notenschnitt 2,2.

Jetzt will sie Geschichte studieren, das Mittelalter hat es ihr angetan. Latein und Geschichte, das waren am Nikolaus-Groß-Abendgymnasium ihre Lieblingsfächer. „Es waren wundervolle Jahre hier. Nur zu Hause zu sitzen und den Haushalt zu machen, ist mir wirklich zu langweilig.“