Essen. . Gemeinsamer Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten wirft Fragen nach Ressourcen, Pädagogik und Elternwillen auf. „Wir brauchen einen deutlichen Stellenzuschlag, eine Doppelbesetzung in den integrativen Lerngruppen und eine Fortbildungsinitiative für die Beschäftigten“, fordert GEW-Landeschefin Dorothea Schäfer.
Die weiterführenden Schulen, die mit dem Beginn des Schuljahres erstmals Behinderte in so genannte „integrative Klassen“ aufgenommen haben, möchten dies dauerhaft tun.
Einen entsprechenden Beschluss verabschiedete am Dienstag die Lehrerkonferenz der Gesamtschule Bockmühle (Altendorf), ehe dort die Schulkonferenz im Januar endgültig entscheidet. An der Bockmühle sind erstmals jeweils fünf Behinderte in zwei Schulklassen integriert worden. Am Krupp-Gymnasium in Frohnhausen gibt es bereits einen entsprechenden Beschluss der Schulkonferenz, „wir machen auf jeden Fall weiter, das ist der richtige Weg“, sagt Berthold Urch, Leiter des Krupp-Gymnasiums. Und an der Helene-Lange-Realschule (Steele) wird im Januar über den Fortgang des Projekts „Inklusion“ entschieden.
Ginge es nach der Politik und den Verbänden, müssten die Schulgremien mit Begeisterung „Ja“ sagen. Doch es gibt bei Vorreitern der Inklusionsbewegung Sorgen um die angemessene Ausstattung.
Abbau aller Förderschulen?
Zudem lautet die Frage: Bedeutet Inklusion, so wie es der Essener Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm und das Bündnis „Eine Schule für alle“ fordern, wirklich einen Abbau aller Förderschulen? Ohne Ausnahme? Auch Integrationsbefürworter Klaus Prepens, Leiter der Gesamtschule Bockmühle, will sich und seiner Schule die Option offenhalten, extrem verhaltensgestörte Kinder auf eine Förderschule verweisen zu können. Auf Landesebene pocht die CDU darauf, dass Eltern auch eine Förderschule für ihr Kind wählen können. Es droht ein Eiertanz zwischen Elternwillen, Pädagogik und Ressourcen. Mit Geld allein ist es nicht getan: Bereits jetzt fehlen im Bereich der Bezirksregierung Düsseldorf 15 Fachkräfte für Förderschulen – beziehungsweise für Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen.
Die Sorge um ausreichende Ressourcen treibt auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) um: „Wir brauchen einen deutlichen Stellenzuschlag, eine Doppelbesetzung in den integrativen Lerngruppen und eine Fortbildungsinitiative für die Beschäftigten“, so die GEW-Landeschefin Dorothea Schäfer.
An der Gesamtschule Bockmühle gibt es für jedes behinderte Kind einen Zehntellehrer. Macht bei fünf Kindern immerhin eine halbe Stelle. Ist das genug Entlastung für den „beschwerlichen, erfreulichen, ermüdenden und erfüllenden Familienalltag in einem 1700-Personen-Haushalt“? So beschrieb Schulleiter Prepens die Gesamtschule im Problemstadtteil, als die Schule jüngst als für vorbildliche Arbeit von der Ministerpräsidentin geehrt wurde.
Sonderpädagogen als willkommene Unterstützung
Selbst an diesem Lernort fragen sich viele Pädagogen: Haben wir nicht genug schwierige Schüler aus kaputten Familien, sozial schwach und mit erheblichen Defiziten? Sind wir mit 1500 Schülern aus 49 Nationen nicht gefordert genug? Dazu jetzt noch Kinder mit Autismus, Sprachstörungen, Sehschwächen, Hörgerät und Verhaltensstörung?
Prepens meint „Ja!“ Denn: „Die Kolleginnen und Kollegen in den Integrationsklassen, empfinden die Arbeit dort als sehr positiv.“ Was vor allem an der geringeren Schülerzahl liegt: 22 Kinder sind in den Integrationsklassen, davon gelten fünf offiziell als behindert.
Die Sonderpädagogen sind willkommene Unterstützung. Prepens hofft, dass sie bald zum festen Personal gehören. Dagegen wehren sich viele Förderschullehrer. „Die Lehrer schätzen die Rückbindung an Kollegen, Kompetenz und Ausstattung einer Förderschule“, sagt Susanne Röder. Die Leiterin der Förderschule am Steeler Tor (Stadtkern) plädiert daher für den Erhalt.
Ihre Schule ist auch „Kompetenzzentrum“, das heißt, die Lehrer betreuen auch Kinder an 20 Grundschulen, einer Haupt- und einer Gesamtschule. Der Clou: Kinder werden dort gefördert und unterstützt – also bevor sie offiziell den Stempel „behindert“ bekommen. Die Inklusion beginnt, ehe das vorher mit dem Aktenvermerk „behindert“ diagnostizierte Kind wieder mühsam integriert wird. Doch das Projekt bleibt ein Pilotprojekt, das 2013 endet: Der Aufwand ist zu hoch.