Essen. Im „Deutschen Lernatlas“ der Bertelsmann-Stiftung kommt Essen nicht sonderlich gut weg. Entsprechend harte Kritik kommt von den Betroffenen. Vor allem im Bereich sozialen Engagements hat Essen Nachholbedarf, so sind nur wenige ehrenamtlich im Bereich Kirche und Jugend tätig.

Die Bertelsmann-Stiftung hat den „Deutschen Lernatlas“ veröffentlicht. Er untersucht die Lernbedingungen im Bundesgebiet – nicht nur schulische, sondern auch das lebenslange Lernen, zum Beispiel durch soziales Engagement.

Insgesamt kommt Essen nur auf Platz 11 von 13. Am besten seien die Lernbedingungen deutscher Großstädte in München, Dresden und Stuttgart. Von den NRW-Städten kommen Köln und Düsseldorf am besten weg, Essen liegt fast gleichauf mit Dortmund. Was der „Lernatlas“ über Essen sagt – und wie Experten vor Ort das kommentieren.

In Essen werden die öffentlichen Büchereien zwar gut genutzt (Rang 4 von 13 bundesweit), aber: Die allgemeine Neigung zum Bücherlesen ist relativ gering (Rang 10 von 13).

Die Stadtbibliothek (Zentralbibliothek Gildehof und 16 Stadtteilbibliotheken) wird in diesem Jahr das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte präsentieren: Das kündigt Klaus-Peter Böttger an, der Chef der Stadtbibliothek. Insgesamt wird es rund 4 Millionen Entleihungen gegeben haben, zwei Drittel davon sind Bücher, der Rest Hörbücher, CDs und DVDs.

Ob Essener eine „relativ geringe Neigung“ zum Bücherlesen haben, hält Böttger für reine Spekulation: „Ich kann nur erkennen, dass die Nachfrage ungebrochen groß ist.“ Und das bei einem vergleichsweise kleinen Etat – die Essener Bücherei hatte in diesem Jahr ein Budget von rund 500 000 Euro für Neuanschaffungen. In Hamburg zum Beispiel stünden mehr als drei Millionen Euro zur Verfügung, berichtet Böttger.

Engagement in Sportvereinen oder Parteien relativ hoch

Essener Bürger üben wenig soziales Engagement aus (Rang 10 von 13). Das Engagement in Sportvereinen oder Parteien ist relativ hoch (Rang 3 bzw. 5 von 13). Das Engagement in Kirchen oder in der Jugendarbeit ist eher gering (Rang 10 und 11). Die Ehrenamt-Agentur, seit 2003 in Bredeney angesiedelt, hat seit ihrem Bestehen „rund 3000 Bürger ins Ehrenamt gebracht“, berichtet Geschäftsführerin Janina Krüger. Jährlich veranstalte man drei Börsen, wo Institutionen und Interessenten zusammenkommen. „Mehr als drei Börsen geht nicht, da kommen die Einrichtungen an ihre Grenzen“, sagt Janina Krüger.

Wolfgang Hirsch, Leiter der “Kontaktstelle Ehrenamt“ der evangelischen Kirche, verweist auf rund 200 ehrenamtlich Beschäftigte allein in den ev. Gemeinden Schonnebeck und Bredeney. Im Kulturhauptstadtjahr hätten sich 90 Ehrenamtliche gefunden, die Aufsicht in der Marktkirche in der City geführt hätten, damit die Kirche täglich länger öffnen konnte. Unter den Aufsichtspersonen waren übrigens auch geistig Behinderte – das Integrations-Projekt erregte bundesweites Interesse.

Trotz Folkwang - Essener gehen selten ins Museum

Die Essener gehen relativ selten ins Museum (Rang 11 von 13). Schul- und Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) hält den „Lernatlas“ für einen “interessanten Aufschlag“, wünscht sich aber „stärkere Abstimmung mit den Kommunen“: Die Stadt Essen hat in diesem Jahr ihrerseits erstmals einen umfassenden Bildungsbericht veröffentlicht. Renzel weist darauf hin, dass ein Großteil der Erhebungsdaten des „Lernatlas’“ aus dem Jahr 2009 stammen – in jenem Jahr hatte das Folkwang-Museum geschlossen, weil es noch nicht fertig gebaut war.

Das „schulische Lernen“ gelingt in Essen einigermaßen gut. Die „Lesekompetenz Englisch“ (Rang 5) ist besser als die „naturwissenschaftliche Kompetenz“ (Rang 8). Schuldezernent Renzel weist hier auf den Schönheitsfehler der Studie hin, dass das gesamte „Lernatlas“-Kapitel „Schulisches Lernen“ ohne Essener Daten auskommt – sondern: „Man verwendet hier den Landesdurchschnitt. Das heißt, die Zuverlässigkeit dieser Daten ist nahe null.“ Auch im Kapitel „Berufliches Lernen“ handle es sich bei einem Viertel der Indikatoren um regionale, nicht aber um städtische Daten. Das heißt, Werte aus Duisburg, Oberhausen, Mülheim und den Kreisen Kleve und Wesel werden im „Lernatlas“ als reine Essener Daten ausgegeben. Zwar weist die Bertelsmann-Stiftung darauf hin, dass „nicht alle spezifischen Gegebenheiten berücksichtigt werden“ und der Atlas „lediglich eine erste Orientierung zur Einschätzugn der Bedingungen vor Ort“ anbietet, doch Renzel kritisiert: „Es wird suggeriert, dass für ausgewiesene Kommunen valide Daten vorliegen.“ Letztendlich kommt der Dezernent zu der Einschätzung, dass der „Lernatlas“ „nicht die Wirklichkeit in unseren Städten abbildet“.