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In immer mehr Bibliotheken stehen immer mehr alte Bücher. Für neue fehlt das Geld. Viele Bürger wollen nicht hilflos zugucken und ihre Bibliothek vor Ort retten. Experten winken ab. Lediglich der Staat könne das Überleben der Bibliotheken sichern.
„Wer seiner Stadtbücherei was Gutes tun will, kann ja ausgelesene Bücher kostenfrei dort abgeben. Ich tu das seit Jahren. So wird mein Bücherregal von Fehlkäufen befreit und ich tu meiner Gemeinde was Gutes“, schrieb ein DerWesten-Leser unter dem Text „Kultur 2010: Bibliotheken fehlt Geld für Bücher“. Denn immer mehr Bibliotheken im Ruhrgebiet haben immer mehr alte Bücher im Regal und müssen kräftig sparen. Eine Umfrage des Verbands der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen ergab kürzlich, dass fast jede zweite kommunale Bücherei (46 Prozent) ihren Anschaffungs-Etat für neue Bücher und Medien kürzen muss.
Der Leiter der Essener Stadtbibliothek, Klaus-Peter Böttger, kann nachvollziehen, dass Bürger versuchen wollen, wenigstens ihre Bücherei vor Ort zu retten. Dennoch ist er von dem Vorschlag, Bücher vom heimischen Regal in die Bibliothek zu schleppen, eher mäßig begeistert: „Leider decken sich Buchspenden nicht immer mit den Ansprüchen der Bibliothek.“ Die Besucher erwarteten einen aktuellen Medienbestand: Einen Reiseführer von 1992 oder eine uralte Phil-Collins-CD, wo doch gerade seine neue Scheibe erschienen sei, könne die Stadtbibliothek einfach nicht gebrauchen. „Denn wir stellen fest: Wenn wir keine aktuelle Literatur vorhalten oder neue Bestseller nicht haben, gehen die Ausleihzahlen zurück“, sagt auch Rolf Thiele, der Vorsitzende des Verbands der Bibliotheken in NRW.
Etliche Stadtteilbibliotheken sind bereits geschlossen
Dass Politiker Bibliotheken in ihren Reden immer wieder als „unverzichtbare Bildungseinrichtungen“ preisen, zu denen alle Zugang hätten, ändert nichts an der Tatsache, dass Öffnungszeiten stetig reduziert werden und etliche Stadtteilbibliotheken bereits geschlossen wurden. Jüngstes Beispiel ist die Stadtteil-Bücherei in Bottrop-Eigen. „Öffentliche Bibliotheken werden immer unterfinanziert sein und nie kostendeckend arbeiten können“, sagt der Leiter der Essener Stadtbibliothek, Klaus-Peter Böttger. „Aber es ist eine politische Verpflichtung, die Bücherei sicherzustellen.“
Rolf Thiele ist der gleichen Ansicht und bringt ein neues Finanzierungssystem sowie ein Bibliotheksgesetz ins Spiel. „Das größte Problem für öffentliche Bibliotheken sind die kommunalen Finanzen. Die Städte haben viele Pflichtaufgaben und nur ganz wenig Spielraum, um ihre freiwilligen Aufgaben zu finanzieren.“ Über ein Bibliotheksgesetz könnten Bibliotheken für die Städte zur Pflichtaufgabe gemacht werden. „Das muss aber das Land vorantreiben“, sagt Thiele, „und sollte es Büchereien tatsächlich zur städtischen Pflichtaufgabe erklären, müsste es sich - nach dem Verursacherprinzip – auch an den Kosten beteiligen.“
Bibliotheksgesetze haben bislang eher symbolischen Charakter
In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen gibt es bereits Bibliotheksgesetze, die allerdings eher symbolischen Charakter haben. Zwar sind Bibliotheken dort als „Bildungseinrichtungen“ definiert, aber nicht zur kommunalen Pflichtaufgabe erklärt worden. In Nordrhein-Westfalen will das zuständige Kulturministerium zunächst mit der Politik diskutieren, was in einem Bibliotheksgesetz stehen könne und ob es etwas bringe.
Allerdings sagt Beate Möllers, Referentin für Bibliotheken im Kulturministerium, auch: „Was die finanzielle Situation der Bibliotheken angeht, so wird das Land nicht grundsätzlich helfen können. Für die finanzielle Grundausstattung muss der Träger, also in der Regel die Kommune, sorgen.“ Damit würde ein Bibliotheksgesetz in NRW, wenn es denn überhaupt eines geben wird, ebenfalls wohl kaum über den symbolischen Charakter hinausgehen.
Zudem befürchten selbst diejenigen, die Bibliotheken zur kommunalen Pflichtaufgabe machen wollen, dass damit eine Spirale in Gang gesetzt wird. Warum sollten denn nur Bibliotheken in den Genuss langfristiger finanzieller Sicherheit kommen? Was ist mit Volkshochschulen, Musikschulen oder Sportvereinen?
Möglichkeiten zum Überleben
Der Bedarf für Büchereien ist groß. Laut Verband werden die NRW-Bibliotheken pro Jahr 27 Millionen Mal besucht, dabei werden 77 Millionen Medien entliehen. Damit gehören die Büchereien zu den am häufigsten genutzten kulturellen Einrichtungen. Doch wie lange noch? Wenn der Staat kein Geld mehr übrig hat, sieht es schlecht aus für Bibliotheken. Altbundeskanzler Helmut Schmidt nannte sie einst „geistige Tankstellen“.
Die Landesregierung versucht nach eigenen Angaben, den Bibliotheken wenigstens mit einigen Angeboten unter die Arme zu greifen. So organisiere und finanziere man Fortbildungen, die das Personal für den Umgang mit neuen Informationstechnologien qualifizierten. Außerdem fördere man den Einsatz moderner Technik. „Die ermöglicht es zum Beispiel, dass Leser ihre Ausleihen selbst verbuchen können“, sagt Beate Möllers aus dem Kulturministerium. „Damit wird Personal von Routinearbeiten entlastet und steht für andere Aufgaben in der Bibliothek zur Verfügung.“
Immerhin ein Hoffnungsschimmer für die klammen Bibliotheken wären Stiftungen vermögender Bürger sowie Bürgerstiftungen. „Wenn aus deren Erlös neue Medien für die Bibliothek erworben werden, wären Stiftungen schöne Einrichtungen und würden sicherlich helfen, auch das Ansehen der kommunalen Bibliothek steigern“, sagt Harald Pilzer, Leiter der Stadtbibliothek Bielefeld. Der Vorteil von Bürgerstiftungen ist, dass mehrere Personen zusammen das Mindestkapital von 50.000 Euro aufbringen und auch weitere Spenden entgegen nehmen könnten. Zuständig für die Zulassung einer Stiftung ist die Bezirksregierung. Dort gibt es auch weitere Informationen zu einer Stiftungsgründung.
Buchpatenschaften können einer Bücherei zumindest über einen kurzfristigen Engpass helfen. Dabei legen Bibliotheken in Buchhandlungen eine Liste mit Buchtiteln aus, die sie gern für ihre Nutzer kaufen würden, für die der Etat aber nicht ausreicht. In diesem Fall kaufen dann Bürger dieses Buch und überlassen es anschließend der Bücherei. „Den eigentlichen Anschaffungsetat“, wie das Ministerium korrekt bemerkt, „kann man damit aber nicht ersetzen.“