Sie tat, was der DFB verboten hatte: Lore Barnhusen spielte Fußball, 1956 als Nationalspielerin und beim FC Kickers Essen.
Der Ball kommt von links. Lore Karlowski flankt. Lotti Beckmann trifft. 1:0 gegen Holland im Mathias-Stinnes-Stadion. Es ist der 23. September 1956 und Frauenfußball vom DFB verboten. Das scherte den Westdeutschen Damen-Fußball-Verband wenig. Der Verein hatte sich in Essen gegründet. Auf dem Platz, der nicht zum DFB gehörte, trafen die Spielerinnen aufeinander.
Lore Karlowski heißt heute Barnhusen und lebt in Gladbeck. Damals trägt sie die 4 auf dem Rücken und den Bundesadler auf der Brust. Es wird das Spiel ihres Lebens – und ihr letztes. Sie gewinnen 2:1.
Als sie ins Stadion einlaufen, überwältigen die Menschenmassen das junge Mädchen. Mit 16 ist sie die jüngste Nationalspielerin. 18.000 sind nach Karnap gekommen. „Was ist hier los“, denkt sie. Einige weinen vor dem Anpfiff, erinnert sich die 71-Jährige. Viele Mitspielerinnen sieht sie im Stadion zum ersten Mal. Es ist eine Elf, die aus Frauenvereinen zusammengewürfelt wurde. Lore Barnhusen spielt bei den FC Kickers in Essen, wo plötzlich einer beim Training vom Spielfeldrand aus Nationalspielerinnen sucht: „Du, du, du“. Sie ist dabei: „Ich muss gut gewesen sein.“
"Wir hatten Spaß"
Als Kind spielt sie in der Gelsenkirchener Zechensiedlung: Straße gegen Straße. Oft gegen verheiratete Männer. In der Schule sind die Jungen am Ball. „Wir Mädchen standen abseits.“ Rollt das Leder zur kleinen Lore, schießt sie zurück. Schützenfeste oder Turnverein reizen sie nicht. Dann erzählt ihr Cousin von der Damen-Mannschaft in Essen.
Es ist 1953. Lore Barnhusen läuft in Gelsenkirchen los, denn ein Fahrrad hat sie nicht. Sie fährt Straßenbahn, steigt mehrmals um und ist nach fast zwei Stunden in der Gastwirtschaft neben der Gruga. Die gibt es heute nicht mehr, sagt die 71-Jährige, die großer Schalke-Fan ist. Vor drei Jahren ist sie hergekommen, hat eine Tour durch Essen gemacht – und nichts wiedererkannt.
1953 meldet Lore Barnhusen sich im Verein an. Dienstags und donnerstags packt sie ihre kleine weiße Fußballtasche. Sie trainieren dort, wo gerade keine Männer auf dem Platz sind. „Wir waren blutjung.“ Aus dem Verbot machen sie sich nichts. „Wir durften nicht, aber wir hatten Spaß“, sagt Lore Barnhusen. „Das Feuer war da.“ Mit dem Bus fahren sie zu Spielen nach Krefeld oder Holland. Steht die Polizei vor dem Stadion, dreht der Busfahrer eine Runde, bis die Beamten weg sind.
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Platzwunden und dicke Knöcheln
Lore Barnhusen spielt im Mittelfeld oder stürmt linksaußen. In Fußballschuhen mit Stahlkappe, Männerschuhe. Dafür hat sie Taschengeld gespart. Sie sammelt Kartoffeln auf dem Feld, zieht Rüben. „Für die Nachbarin habe ich Kohlen eingeschüppt.“ Den Rest legt ihre Mutter drauf, die sich sorgt: „Mach’ dir die Füße nicht kaputt.“ Die Tochter kommt oft mit Platzwunden an den Schienbeinen oder dicken Knöcheln nach Hause und weint manchmal. Dennoch ist es, „als ob ich dafür geboren bin.“ Beruflich wird Lore Barnhusen Näherin. Später führt sie als Model Kleider vor. Ihren Mann aber, den lernt sie auf dem Fußballplatz kennen.
Zur WM 2010 hat sie von ihrem jüngsten Sohn ein Trikot bekommen. Fast so eines, wie sie 1956 trug. „Dass das so boomt“, sagt Lore Barnhusen. Sie meint den Frauenfußball, aber auch ihr Telefon, das ständig klingelt. Zeitungen und Radiosender aus ganz Deutschland rufen an. Lore Barnhusen ist gerade von der Kur zurück, hat nicht mal Zeit für den Friseur, sagt sie schmunzelnd. Für die Spiele der Frauen schon. Wütend macht sie bei der WM nur, dass sich vom DFB keiner für das jahrelange Verbot entschuldigt. „Stattdessen profilieren sich alle.“ Bei den Vereinen kommt aber nichts an. Braucht der Vfl Gladbeck Trikots, „dann ist Lore da“, sagt ihr Mann Ewald.
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"Fußball ist alles"
Gespielt hat sie seit 1956 nie wieder. Nach dem Sieg läuft sie zu Fuß nach Hause, so wie sie gekommen ist. Pünktlich zum Training packt sie wieder die kleine weiße Tasche. Nur gibt es den FC Kickers nicht mehr. Lore Barnhusen erfährt, dass der Gründer des Damen-Verbandes sich mit den Einnahmen aus dem Spiel abgesetzt und der Essener Verein sich aufgelöst habe. „Ich wusste nicht, dass es andere gab. Wirklich traurig“, sagt sie über ihre kurze Karriere.
Heute ermuntert sie Mädchen: „Geht in einen Verein, spielt Fußball.“ Denn da sei von Kopf bis Fuß alles in Bewegung, sagt Lore Barnhusen mit leuchtenden Augen: „Wat Schöneres gibt es nicht – Fußball ist alles.“
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