Essen. . Mit dem Übergang in die fünfte Klasse entscheidet sich für viele Grundschüler ihre Bildungskarriere. Deshalb plädieren Bildungsexperten für einen stärkeren Blick auf die Grundschulzeit - und für Strukturen, die bessere Leistungen ermöglichen.

Dass der Sohnemann später einmal Mediziner wird, Ingenieur oder Lehrer, das wünschen sich natürlich viele Eltern. Von einer Zukunft des Filius als Hilfsarbeiter im Palettenlager hingegen dürfte kaum einer träumen. Das mag sicher überspitzt klingen, aber die Eltern von gut 4600 Jungen und Mädchen in Essen werden im kommenden Schuljahr die entscheidenden Weichen für die spätere Bildungskarriere ihrer Kinder stellen. Mit dem Halbjahreszeugnis in Klasse 4 bewirbt sich der Nachwuchs an den weiterführenden Schulen. Eine Entscheidung, die zu über 90 Prozent den künftigen Bildungsabschluss festlegt.

Nicht einmal sieben Prozent dieser 4600 Grundschüler werden es später schaffen, die Schule zu wechseln. Für jeden zweiten dürfte es dabei ohnehin nur abwärts gehen. „Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass Eltern endlich die Bedeutung von Grundschule, die Bedeutung des Zeugnisses im ersten Halbjahr der Klasse 4 erkennen“, sagt deshalb Thomas Kempf von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die die Stadt beim Bildungsbericht fachlich unterstützt (die NRZ berichtete). Ziel müsse es sein, die Kinder an den Grundschulen zu besseren Leistungen zu führen, um in der Folge zu besseren Abschlüssen zu kommen: „Dafür müssen die richtigen Strukturen geschaffen werden“, hat Kempf der Stadt ins Stammbuch geschrieben.

Schuliche Karriere wird früh zementiert

In der Tat besteht hier dringender Handlungsbedarf. Die schulischen Karrieren scheinen nach dem Übergang in Klasse 5 nahezu zementiert. Um mal die Hauptschulen als Beispiel anzuführen: Von rund 590 Zehntklässlern haben am Ende des Schuljahrs 2010 gerade einmal 21 den Sprung ans Gymnasium geschafft. Am Ende der Erprobungsstufe in Klasse 6 war es genau ein Schüler, der an die „Penne“ wechselte, immerhin 20 nahmen die Realschulen auf. Andererseits endete für 34 Hauptschüler die schulische Laufbahn an einer Förderschule. Nicht gerade das ideale Bildungsziel. Da macht es schon eher Mut, dass zwölf Förderschüler den umgekehrten Weg schafften.

Es sieht am oberen Ende der Schulleiter nicht besser aus: 241 Jungen und Mädchen mussten vor dem Abitur das Gymnasium verlassen, die große Masse in den Klassen 5 bis 10. Umgekehrt nahmen die Gymnasien ganze 14 Jungen und Mädchen in Unter- oder Mittelstufe auf. Die „Aufsteiger“ kamen erst in Klasse 11: 243 waren es im Jahr 2010. Wie sich das „Turbo“-Abitur auf diese Zahlen auswirkt, wird die Statistik erst im nächsten Jahr ausweisen, Experten befürchten einen Einbruch: „Der Aufstieg wird nicht leichter.“ Bleibt noch der Aufstieg über die Berufskollegs: 1125 Jungen und Mädchen, gerade einmal 3,66 Prozent, versuchten hier den Weg zur (Fach-)Hochschulreife.

Viel stärker und viel früher die Eltern einbeziehen

Umso wichtiger erscheint vor diesem Hintergrund die Grundschul-Zeit. „Wir müssen viel früher und viel stärker die Eltern einbeziehen“, sagt deshalb Bildungsdezernent Peter Renzel. Jede Mutter, jeder Vater wolle für sein Kind eine gute Bildung, das gelte auch für nichtdeutsche Eltern. Möglichst viele Karrieren anschieben, lautet das Ziel, oder wie es ein Grundschullehrer ausdrückt: „Kein Mensch wird sich später für die Zeugnisse interessieren. Nur das Halbjahrszeugnis in Klasse 4 – das wird alles entscheiden.“