Essen. Nach der Attacke am Lokal „Il Pomodoro“ in Essen-Rüttenscheid spricht Bürgermeister Rolf Fliß erstmals selbst. Zuspruch von Vizekanzler Habeck.
Der Angriff auf den Essener Bürgermeister Rolf Fliß (Grüne) hat Solidaritätsbekundungen aus dem gesamten Land ausgelöst. Per SMS haben sich unter anderem seine grünen Parteikollegen Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sowie Mona Neubaur, stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin, gemeldet. Auch viele Bürgermeisterkollegen aus ganz Deutschland haben Kontakt zu ihm aufgenommen, berichtet Fliß.
Der 65-Jährige war am Donnerstag, 2. Mai, in Begleitung des grünen Bundestagsabgeordneten Kai Gehring (46) in Rüttenscheid unterwegs. Nach einem zunächst freundlichen Gespräch mit Bürgern, denen sie auf dem Gehweg begegneten, waren beide Politiker beleidigt worden. Rolf Fliß wurde dabei nach eigener Aussage heftig ins Gesicht geschlagen. Unserer Redaktion gegenüber berichtet er erstmals, wie er den Vorfall erlebt hat.
Essener Bürgermeister Rolf Fliß wurde beleidigt und geschlagen
Fliß und Gehring, die beide in Rüttenscheid leben, hatten sich nach dem Treffen der grünen Stadtteilgruppe im Irish Pub (Girardet-Haus) gemeinsam entlang der Rüttenscheider Straße auf den Heimweg gemacht. Gehring war an dem Abend als Referent eingeladen gewesen. Auf dem Gehweg in Höhe des Restaurants „Il Pomodoro“ seien sie von einer Gruppe angesprochen worden. „Nichts Ungewöhnliches, das habe ich in meiner politischen Laufbahn tausendmal erlebt“, sagt Fliß.
Leute aus der Gruppe hätten ihn mit „Hallo Rolf“ angesprochen und: „Da ist ja auch der Bundestagsabgeordnete, hallo Herr Gehring“. „Sie wussten genau, wen sie vor sich hatten“, so Fliß. Auch das sei nicht ungewöhnlich, weil er ja seit langem seinen Wahlkreis in Rüttenscheid habe und dort bekannt sei. „Ich kannte die Leute allerdings nicht. Es war eine gemischte, wechselnde Gruppe, Männer und Frauen, vielleicht fünf bis sieben Menschen. Es war ein Kommen und ein Gehen.“
Vor „Il Pomodoro“: Zur mutmaßlichen Herkunft der Beteiligten äußert sich Rolf Fliß nicht
Zur mutmaßlichen Herkunft der Leute könne er nichts sagen, Informationen der Behörden, dass es sich um arabisch aussehende Menschen gehandelt habe, könne er weder bestätigen noch dementieren, nur soviel: „Sie haben Deutsch gesprochen.“ Sie hätten noch gefragt, ob die Politiker für ein Selfie zur Verfügung stehen würden, was dann auch gemacht worden sei. Dann kippte die Situation: „Wie aus dem Nichts, völlig ansatzlos“ sei es plötzlich zu üblen Beleidigungen gekommen, „gegen die Grünen“. Es habe keinerlei Streit oder auch nur eine politische Diskussion vorher gegeben.
Dann habe er plötzlich einen harten Schlag ins Gesicht bekommen, so Fliß. „Sehr heftig, volle Kanne, gut hörbar für die Umstehenden“. Während sich Fliß und Gehring in das Restaurant geflüchtet hätten, habe sich die Gruppe entfernt. Im Restaurant bekam der Grünen-Politiker einen Eisbeutel, um sein Gesicht zu kühlen. „Ich habe selbst den Notruf gewählt, die Polizei war schnell vor Ort.“ Auch ein Rettungswagen traf ein, der aber nicht benötigt wurde.
Auch wenn die Schmerzen bis auf leichten Kopfschmerz zwei Tage später schon nachgelassen haben, zeigt sich Fliß dennoch betroffen. Dass eine solche Situation so eskalieren könne, darauf sei er nicht gefasst gewesen. „Ich war komplett arglos.“ Konsequenzen für seinen Umgang mit den Bürgern werde er aus dem Erlebten nicht ziehen. „Ich bin bürgernah und offen und werde das auch bleiben, ich werde weiter mit Rad und zu Fuß in Rüttenscheid unterwegs sein.“
Essener Bürgermeister bekommt viele Solidaritätsbekundungen
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Er und sein Parteikollege Kai Gehring hätten Anzeige erstattet, der Staatsschutz ermittele „in alle Richtungen und mit hohem Personalaufwand“. Fliß hofft, dass der oder die Täter schnell ermittelt und dingfest gemacht werden.
Oberbürgermeister Thomas Kufen, Polizeipräsident Andreas Stüve sowie die Fraktionsvorsitzenden der Parteien haben ebenfalls ihre Solidarität bekundet. „Das ist großartig und macht Mut. Das alles ist auf keinen Fall Anlass, jetzt die Flinte ins Korn zu werfen. Für mich ist das ein Einzelereignis, wenn auch ein sehr unschönes“, sagt Fliß, der zwei Tage nach der Attacke wieder seinen Aufgaben als Bürgermeister nachkommt. Samstagvormittag war er bei einem Jugendfeuerwehr-Termin.
Rolf Fliß gehört zu den grünen „Urgesteinen“ in Essen und ist seit den 1980er Jahren in der Kommunalpolitik aktiv. Er gilt innerhalb der Grünen als überzeugter Protagonist einer Zusammenarbeit mit der CDU und war in mehreren Ratskonstellationen mit kurzen Unterbrechungen dritter Bürgermeister der Stadt Essen und stellvertretender Vorsitzender des Stadtrates - Ämter, die er auch derzeit innehat.
Essener Bürgermeister Rolf Fliß engagiert sich seit Jahrzehnten
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Bei der letzten Kommunalwahl errang der 65-Jährige das Direktmandat im Wahlkreis Rüttenscheid-Süd. Er ist Sprecher für Internationales und Städtepartnerschaften und engagiert sich seit Jahrzehnten für den Radverkehr und einen besseren ÖPNV. Fliß ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, arbeitet als Freiberufler in der Tourismusförderung. Er gehört fast drei Dutzend Gremien, Ausschüssen und Beiräten an. Viele sagen, er sei de facto Berufspolitiker.
Kai Gehring ist seit 2005 Mitglied des Bundestags und gilt als einer der profilierten Mitglieder der Bundestagsfraktion der Grünen. Der 46-Jährige hat sich einen Namen als Bildungsexperte gemacht und ist Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Zeitweise war Gehring Vorsitzender des Kreisverbands Essen der Grünen.
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