Essen. 50 Essener Kinder und Jugendliche leben derzeit nicht zu Hause, sondern im geschützten Alltag der Psychiatrie der LVR-Klinik. Ihr Tagesablauf.
Betten mit Fixiergurten sucht man in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LVR-Uniklinik Essen vergeblich, ebenso Zwangsjacken und verschlossene Türen. Grundsätzlich können die Patientinnen und Patienten, die auf den beiden Stationen der LVR-Universitätsklinik Essen untergebracht sind, jederzeit gehen. „Sie sind freiwillig hier“, sagt Marc Teckentrup, der die pflegerische Leitung übernimmt. Er hat einen Einblick in den Alltag der Kinder und Jugendlichen ermöglicht.
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Insgesamt hält die Kinder- und Jugendpsychatrie der LVR-Klinik 50 stationäre Plätze bereit. Auf den beiden Stationen KJP 2 und 5 sind aktuell alle 20 Plätze belegt, die Warteliste ist lang. Die Stationen richten sich an 13- bis 18-Jährige, die mit Essstörungen oder emotionaler Instabilität zu kämpfen haben. Andere Patienten durchlaufen vor Ort einen Entzug.
Die Kinder und Jugendlichen bleiben im Schnitt sechs bis zwölf Wochen in Behandlung. Gegen Ende ihres Aufenthalts wechseln sie häufig in eine tagesklinische Behandlung und kommen dann lediglich von acht bis 17 Uhr in die Klinik. So sollen sie möglichst sanft in ihr Leben außerhalb der Klinik zurückfinden und die erlernte Struktur möglichst beibehalten.
Essener Kinder- und Jugendpsychiatrie: Den Patienten Struktur geben
Denn der strukturierte Alltag spielt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine entscheidende Rolle: „Durch Alltagsstruktur kann sich ein festes Gerüst entwickeln, in dem sich Jugendliche sicher und geborgen fühlen“, sagt Teckentrup. Vielen Patienten ist diese Struktur vor ihrem Aufenthalt in der Psychiatrie abhanden gekommen, vor Ort soll das Gerüst wiederhergestellt werden: Die Jugendlichen stehen morgens gemeinsam auf, frühstücken und erledigen Haushaltsaufgaben wie fegen, Blumen gießen oder einkaufen. Dann ist Unterricht angesagt, zwei bis drei Stunden pro Tag werden die Anwesenden von der Ruhrlandschule beschult.
Diese schließt sich mit den jeweiligen Schulen der Patienten kurz und bringt in Erfahrung, welcher Lernstoff unverzichtbar ist. Hinzu kommen Fach- und Einzeltherapien, Gespräche mit den Pflegern und Freizeit.
Bücher, Fernseher, Spielekonsolen: Freizeitaktivitäten gibt es in der Essener Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Menge
An zeitfüllenden Aktivitäten hat das LVR-Klinikum an der Wickenburgstraße eine Menge zu bieten: Im Tagesraum, der den Patienten als Gemeinschaftsraum dient, steht eine Reihe Kinder- und Jugendbücher bereit, darüber hinaus ein Fernseher und Spielekonsolen.
Auf dem Gang finden laut Teckentrup regelmäßig Tischtennis- und Tischkickerturniere statt. Im großen Garten locken ein Trampolin, Schaukeln, ein Boxsack sowie eine Kletterwand, an der die Kinder und Jugendlichen unter Aufsicht klettern dürfen. Am obersten Punkt der Wand, direkt unter der Decke, sind Namen zu lesen, manche mit Smilies versehen. „Hier verewigen sich einige Jugendliche“, so der Pfleger.
Essener LVR-Uniklinik verschreibt sich der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen
Obwohl der Himmel wolkenverhangen ist und der Regen gerade eben erst aufgehört hat, wirkt der Garten einladend. Der Gang sowie die verschiedenen Räume auf Station sind gemütlich und hell, einige der Fenster fast bodentief. Ihre Zimmer dürfen die Patienten nach Belieben dekorieren und wohnlicher gestalten. Einige Wände und Türen des Gemeinschaftsbereichs schmücken bunte Malereien.
Auf den Stationen findet sich von Harry-Potter-Romanen bis hin zu Bastelutensilien vieles. Klischees wie eine düstere Atmosphäre oder mental weggetretene Patienten, die in den Köpfen vieler beim Gedanken an Psychiatrie dominieren, sind jedoch weit und breit nicht zu sehen.
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„Wir sind ein offenes Haus, hier geht es nicht zu wie in düsteren Filmen“, sagt Teckentrup. Die LVR-Universitätsklinik hat sich – neben ihren drei Säulen Behandlung, Forschung und Lehre – deshalb auch die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen auf die Fahnen geschrieben und ihre Türen und zahlreiche Stationen zu ihrem 50. Jubiläum am 10. April für Besucher geöffnet. Zudem veranstaltet die Klinik bis Mitte September die Gesprächsreihe „Eine Reise in die Psyche“, bei der Themen wie Angst, Sucht oder Essstörungen vor Fachpublikum und Interessierten besprochen werden.
Essener Kinder- und Jugendpsychiatrie: „Geschützte Station“ statt „Geschlossene“
Wenn es geschlossene Türen gebe, wie etwa auf Station KP1, so zum Schutz der Patienten. „Wir sagen geschützte Station dazu“, erklärt Marc Teckentrup. „Es ist immer ein Mensch in der Nähe, der helfen kann.“ Auf dieser geschützten Station befinden sich Patienten laut dem pflegerischen Leiter jedoch möglichst kurz. Sie gelte der Krisenintervention. „Jeder Patient kommt so schnell wie möglich ins offene Setting.“
Und dort gilt neben Therapie der strukturierte Alltag als oberstes Gebot. Jeden Abend kommen die Patienten und Pfleger zusammen und erzählen sich, was am Tag gut lief. „Wir halten es dann bewusst positiv. Die Kinder und Jugendlichen werden gefragt: Was war heute abseits der Tatsache, dass sie sich in psychiatrischer Behandlung befinden, positiv?“ Viele Abende enden dann mit gemeinsamem Fernsehen.
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