Essen-Fischlaken. Bekannt ist der Essener Axel Kruse als Autor spannender Science-Fiction-Romane. Jetzt hat er seine Familiengeschichte recherchiert.

24 Bücher hat Axel Kruse mittlerweile geschrieben – und es werden immer mehr. „Wenn der Stress zunimmt, ist das Entspannung pur“, sagt der in Essen-Fischlaken beheimatete Steuerberater mit einem verschmitzten Lächeln. Schon in seiner Kindheit habe er die Abenteuerromane von Karl May verschlungen und sich auch selbst viele wilde Geschichten ausgedacht. Als Erwachsener lässt Axel Kruse seine Protagonisten auf der Erde durch die Zeit reisen und entwirft Utopien auf fernen Planeten. In seinem neuesten Buch jedoch geht es nicht um Science-Fiction, sondern um die eigene Familie – und um Vergangenheitsbewältigung.

„Mein Großvater, mein Vater und ich“ lautet der Titel des kürzlich im Kettwiger Hummelshain Verlag in der Reihe „Zeitzeugen“ erschienenen Buches. Alle drei Personen sind auf dem Cover abgebildet. Der Großvater trägt eine Uniform.

Die SS-Mitgliedschaft war kein Geheimnis, andere Dinge schon

„Früher hatte ich kleine Spielzeugfiguren, auch Soldaten darunter. Mein Vater nahm öfters so eine Figur zur Hand und sagte: ‘Das ist der Opa’.“ Das habe sich ihm als Kind sehr eingeprägt, erzählt Axel Kruse. Genauso wie der Satz: „Der saß in der Schreibstube, der hat nie was gemacht.“ Dies bezog sich auf die Tätigkeit von Willi Kruse, der in den 1930er Jahren im Statistisch-wissenschaftlichen Institut des Reichsführers SS in Berlin arbeitete. „Mein Opa war direkt Heinrich Himmler unterstellt.“

Jedes Jahr schreibt Axel Kruse mehrere Science-Fiction-Romane.
Jedes Jahr schreibt Axel Kruse mehrere Science-Fiction-Romane. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Es sei nie ein Geheimnis in der Familie gewesen, dass der Großvater in der SS war. Die Tragweite dessen, für was der eigene Opa dennoch verantwortlich gewesen sein könnte in der Zeit des NS-Regimes, sei ihm erst viel später bewusst geworden. Es habe immer in ihm gegrummelt, das aufzuarbeiten. Doch die Beziehung zum Opa sei schwierig gewesen, diesen direkt zu fragen, schien nicht möglich.

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Die Samstagnachmittage fanden bei den Großeltern statt

Diesem Projekt, anhand der Autobiografie von Willi Kruse, dessen Lebensweg nachzuzeichnen, seine Lebenseinstellung und politisches Denken vor und nach dem Krieg zu hinterfragen, habe er sich deshalb erst vor zehn Jahren wirklich gestellt. „War mein Großvater ein Täter?“, ist die Frage, die über allem schwebt für Axel Kruse. Viel Recherchearbeit und noch mehr Gespräche mit seinem Vater Hans-Joachim Kruse und weiteren Angehörigen habe es gebraucht, auch Pausen und Distanz, um daraus letztlich ein ganz persönliches Buch entstehen zu lassen.

Er war der Patriarch der engeren Familie. Niemand wagte aufzumucken.
Axel Kruse über seinen Opa Willi

„Wenn ich an meinen Großvater denke, so denke ich an ihn mit gemischten Gefühlen“, sagt der 60-Jährige. Einerseits seien da die Kindheitserinnerungen, etwa die Samstagnachmittage, die stets im großelterlichen Haushalt verbracht wurden und für die Kinder durchaus ein schönes Vergnügen mit reichlich Fernsehen waren. Andererseits bekam Axel Kruse auch schon in jungen Jahren zu spüren, welchen Charakter der Opa hatte. „Er war der Patriarch der engeren Familie. Sein Wort war Gesetz, niemand wagte aufzumucken.“

Auch die Großmutter hielt mit der Meinung nicht hinterm Berg

Eine Szene sei ihm im Gedächtnis geblieben. Als seine Schwester und er einmal im Fernsehen „Dalli Dalli“ mit Hans Rosenthal schauten, sei seine Großmutter hereingekommen und habe ziemlich erregt gesagt: „Was guckt ihr denn da, das ist doch ein Jud.“ Nach dem mehrmaligen Lesen der Autobiografie seines Opas bleibe für ihn festzuhalten, so Axel Kruse, „dass mein Großvater wohl mehr verschwiegen hat, als er geschrieben hat.“

Preisgekrönte Literatur

Der Essener Autor Axel Kruse erblickte im Jahr 1963 das Licht der Welt. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und eine Enkeltochter. Er ist als selbständiger Steuerberater in Mülheim tätig.

Er wurde im Jahr 2014 mit dem Deutschen Science-Fiction-Literaturpreis für die beste deutschsprachige Erzählung (im vorliegenden Fall eine Novelle) ausgezeichnet. Im Jahr 2016 wurde sein Roman „Glühsterne“ beim Kurd-Lasswitz-Literaturpreis mit dem vierten Platz für den besten deutschsprachigen Science-Fiction-Roman ausgezeichnet. U.a. in Kettwig spielen die Trilogie „Zeitreisen gehen anders“ sowie „Lvdowigvs von Lüttelnau“ .

Das neue Buch „Mein Großvater, mein Vater und ich“ hat 192 Seiten mit Abbildungen. Es ist zum Preis von 16 Euro im Buchhandel und beim Verlag Hummelshain erhältlich (ISBN 978-3-910971-141).

Während sich der erste Teil des Buches mit den Recherchen zum Leben des Großvaters befasst, Dokumente und Zeitzeugen zu Wort kommen lässt, hat Axel Kruse im zweiten Teil seinen Vater zu Wort kommen lassen, mit dem er lange Gespräche führte . „Er war ganz anders, uns als Vater viel näher. Er hat mir als Kind selbst viel vorgelesen, mich für Literatur begeistert. Was ich wiederum an meine Kinder versucht habe weiterzugeben.“

Lange Gespräche mit dem Vater über die Zeit nach dem Krieg

Die Sicht des Sohnes auf den Vater, der voll und ganz hinter dem NS-Regime stand und auch nach dem Krieg mit seinen Ansichten nicht hinterm Berg hielt, war für Axel Kruse noch mal sehr spannend. „Mein Vater hat das Buchprojekt sehr unterstützt. Die Veröffentlichung hat er leider nicht mehr miterlebt.“

Er habe sich vieles von der Seele geschrieben, sagt der Essener Autor. Befreit habe es ihn hingegen nicht wirklich. „Es ist immer noch sehr emotional für mich. Das ist alles noch sehr nah dran.“ Er sei jedoch froh, das Projekt durchgezogen zu haben. „Ganz viele Dinge verstehe ich jetzt einfach besser.“

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