Essen. Zehn Geschäfte wurden mit viel Steuergeld auf die Limbecker Straße in Essen gelockt. Bald sind es nur noch drei, die geblieben sind. Eine Bilanz.
„Wir schließen! Räumungsverkauf“: Die Schilder hat Fernando Caniglia schon seit einigen Wochen im Schaufenster seines Ladens auf der Limbecker Straße hängen. Dabei ist es ist noch keine zwei Jahre her, dass der Italiener sein Bekleidungsgeschäft L`italiano in der Hausnummer 42 eröffnete.
Die Stadt hatte den Geschäftsmann damals mit Fördermitteln auf die Limbecker Straße gelockt, als dessen Mietvertrag in der Lindengalerie ausgelaufen war. Er zahlte anderthalb Jahre lang bis Ende 2023 eine deutlich reduzierte Miete, einen großen Teil gaben Stadt und Land aus Steuergeldern dazu.
Auf Caniglia ruhten damals große Hoffnungen, dass er mithelfen könnte, die niedergehende Einkaufsstraße wieder nach oben zu bringen. Schließlich hatten sich in der Vergangenheit immer mehr wertige Läden von dort verabschiedet. Bevor Caniglia seine Werbung im Mai 2022 über der Ladentür anschraubte, verkaufte dort „Lecker Lecker“ aus Kartons heraus günstige Süßwaren.
Doch nun packt bald auch Fernando Caniglia zusammen. Wahrscheinlich Ende des Monats endet der Verkauf auf der Limbecker Straße. Er ist auf der Suche nach einem neuen Laden in der Innenstadt. „Ich wäre auf der Limbecker geblieben“, sagt Caniglia überraschenderweise. Seine zwischenzeitliche Sorge, dass er nicht genügend kaufkräftiges Publikum auf der Einkaufsstraße finden würde, hat sich offenbar so nicht bewahrheitet. „Das braucht eben eine gewisse Anlaufzeit.“ Auch das Ende des Förderprogramms sei nicht der Grund für seinen Abschied. Mit seinem Vermieter hatte er sich bereits auf eine Verlängerung des Mietvertrages verständigt.
Allerdings, so schildert es Caniglia, kam es mit dem Eigentümer - einem ausländischen Fonds - Anfang des Jahres zum Bruch. Beide Seiten hätten sich nach einem Wasserschaden im Laden nicht über die Schadensregulierung einigen können. Und so zieht Caniglia nicht ohne Groll von dannen und hinterlässt wohl einen neuen Leerstand auf der Limbecker Straße.
Auch Lindt zieht sich auf der Limbecker zurück
Einige Ladentüren weiter dürfte nahezu zeitgleich auch Lindt die Segel streichen. Angekündigt hat es der Edelchocolatier längst, nur der Zeitpunkt ist noch offen. Um Ostern herum soll es so weit sein. Wie Caniglia hatte auch das Schweizer Unternehmen zwischenzeitlich von dem Innenstadt-Förderprogramm profitiert. Das hieß: Sie zahlten in dieser Phase nur 20 Prozent der vorherigen Miete, 50 Prozent davon übernahmen Stadt und Land, 30 Prozent musste der Vermieter Mietnachlass geben.
Dieses Innenstadt-Förderprogramm, das das Land ins Leben gerufen hatte, lief zunächst von 2021 bis Ende 2023 und sollte die Folgen der Corona-Pandemie abmildern. Die Stadt Essen legte dabei den Schwerpunkt auf die Limbecker Straße, weil dort die Leerstände dramatische Ausmaße angenommen hatten.
Von elf geförderten Läden auf der Limbecker sind drei geblieben
Wie sich rückblickend zeigt, war das Förderprogramm allenfalls ein Strohfeuer. Mit den günstigen Mieten lockte die Stadt in den etwas mehr als zwei Jahren zehn Konzepte auf die Straße. Wenn nun L´italiano und Lindt schließen, sind es nur noch drei, die auf der Meile geblieben sind: der Outlet-Store „The Outleter“, der Dekoladen „Mea Living“ und der Secondhand-Shop „Think Twice“. Gegangen sind bereits: Mykraut, Strike, I am Love, Pretty Flowers und der Diakonie-Laden.*
Die Gründe dafür waren sehr unterschiedlich: Sie reichten unter anderem von unausgereiften Konzepten, über unpassende Ladenflächen, zu hohe Mieten nach Auslaufen des Förderprogramms bis dahin, dass das Produkt nicht zum eher preissensiblen Publikum auf der Limbecker Straße passte.
Den Steuerzahler hat das Ganze jedoch viel Geld gekostet. Stadt und Land gaben für die Anmietungen der Läden über 827.000 Euro aus – zehn Prozent der Summe musste die Stadt Essen aus dem eigenen Haushalt zahlen. Neben den Mietern haben die Steuergelder vor allem einer Gruppe geholfen: den Vermietern. Denn sie kassierten immerhin noch 70 Prozent der hohen Altmieten, die am freien Markt so wohl kaum mehr zu erzielen gewesen wären.
FDP-Mann Spilker: „Aus wirtschaftlicher Sicht nicht gerechnet“
FDP-Mann Thomas Spilker gehört zu den wenigen Ratsmitgliedern, die die Umsetzung des Förderprogramms in Essen durchaus kritisch begleitet haben. Mit Blick auf die Bilanz sagt er: „Das tut schon sehr weh. Aus wirtschaftlicher Sicht hat sich das sicher nicht gerechnet.“ Allerdings sei jeder Leerstand weniger ein Gewinn. Am Förderprogramm will er daher generell nichts aussetzen. „Die Idee ist gut, aber die Umsetzung müsste besser sein“, fordert er in Richtung Essen Marketing Gesellschaft (EMG), die im Auftrag der Stadt die Umsetzung organisiert und begleitet. Zwei Punkte hat Spilker dabei: Gerade Neueinsteiger müssten weitergehend betreut werden und die Suche nach geeigneten Konzepten müsse aktiver sein. „Nur mit Staatsknete zu locken und hoffen, dass sich schon die Richtigen melden, reicht nicht.“
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Der Geschäftsführer des Essener Einzelhandelsverbandes, Marc Heistermann, gehörte von Beginn an zu den Befürwortern des Innenstadt-Programms, sah eine große Chance darin, frische Konzepte in die City zu bringen, die sich die hohen Mieten ansonsten hätten nicht leisten können. Heute sagt er: Die Bilanz könne für den einen oder anderen vielleicht „ernüchternd aussehen“, aber wer etwas ausprobiere, gehe immer auch ein Risiko ein. „Ich habe das Förderprogramm vor allem als Möglichkeit gesehen, verschiedenen Konzepten eine Chance zu geben. Und wir wissen nicht, wie die Limbecker Straße heute aussehen würde, wenn es das Programm nicht gegeben hätte“, so Heistermann.
Auch aus Sicht der Stadt Essen war es „richtig“, die Fördermittel zu nutzen. Eine Sprecherin erklärte: „Die Gesamtsituation auf der Limbecker wurde mit der Nutzung und Umsetzung der Förderung stabilisiert.“ Der Gefahr, dass sich der Niedergang dort beschleunigen könnte, sei so „entgegengetreten worden“.
Neue Fördergelder für Essen
Mittlerweile hat das Land NRW das Innenstadt-Förderprogramm neu aufgelegt. Die Stadt Essen bekommt daraus 1,2 Millionen Euro bis Ende 2026. Rund 800.000 Euro davon sollen weiterhin in die Anmietung leerstehender Läden fließen. Diesmal aber nicht mehr nur auf der Limbecker Straße, sondern in allen 1-A-Lagen, also auch der Kettwiger Straße.
Dass es auch ohne Fördermittel gelingt, neue Mieter anzusiedeln, zeigt das jüngste Beispiel Cinnamood*. Die Kette verkauft Zimtschnecken und eröffnet demnächst ein Geschäft auf der Limbecker Straße. Das Stück kostet zwischen 3,90 Euro und 4,90 Euro.
*In einer früheren Variante des Textes hieß es, dass das Brettspiellager und Cinnamood Teil des Förderprogramms waren bzw. sind. Das haben wir geändert.
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