Essen. Jean-Pierre Streich betreibt in Essens City einen Shop in der Limbecker Straße – deren Niedergang sei dramatisch. Der 49-Jährige hat eine Vision.

Wenn Jean-Pierre Streich aus dem Fenster in der ersten Etage schaut, dann blickt er auf verblasste Fensterscheiben, bröckelnde Dächer und Fassaden. Im Haus gegenüber wirbt ein bekannter Essener Makler um neue Mieter. Das rote Schild hängt dort schon seit mindestens zwei Jahren. Auch der Blick hinunter auf die Limbecker Straße bietet kaum Besseres. Dort stehen Läden leer, verdrecken Schaufensterscheiben.

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Die Einkaufsstraße in der Essener Innenstadt ist nicht erst seit gestern ein Sorgenkind. Doch Jean-Pierre Streichs Beobachtung klingt bei allen Bemühungen, sie wieder nach oben zu bringen, ernüchternd: „Der Niedergang in den vergangenen zwei Jahren ist dramatisch.“ H&M, Zara, Görtz, Böhmer – bekannte Namen – alle weg. Blumenampeln gegen den Niedergang aufzuhängen, sagt Streich, „ist nicht der Weg. Es muss etwas Tiefgreifendes passieren.“

Der 49-Jährige ist mit seinem Laden „The Outleter“ vor fast genau zwei Jahren ins Haus Nummer 55 gezogen. Auf 700 Quadratmetern verkauft er dort Outlet-Kleidung, also Ware, die als Rückläufer aus dem Online-Handel oder Filialen bekannter Marken kommt. Natürlich zu einem viel günstigeren Preis. Darunter sind bekannte Labels und Konzepte wie Tom Tailor, S.Oliver, Outfittery oder About You.

Wie aus der Limbecker Straße eine Outlet-Meile werden könnte

Erst vor kurzem hat Streich seinen Mietvertrag um zwei Jahre verlängert, obwohl die Geschäfte seit Corona und vor allem seit dem Ukraine-Krieg nicht gerade florieren. Aber Streich hält durch. Außer in seinem Laden verkauft er die Ware auch als Großhandel in Drittländer. Das ist momentan sein Kerngeschäft und ernährt die Filiale mit.

Als am Montag dieser Woche Oberbürgermeister Thomas Kufen ein neues Leitbild für die Innenstadt der Öffentlichkeit präsentierte - das viel Theorie und aber wenig Konkretes enthält – sitzt Jean-Pierre Streich im Sozialraum über seinem Laden und umreißt sehr konkret und leidenschaftlich seine Idee für die Rettung zumindest eines Teils der City – der Limbecker Straße.

Jean-Pierre Streich steht mit seiner Frau Anna in seinem Laden „The Outleter“. Seit zwei Jahren verkaufen sie günstige Markenware auf der Limbecker Straße in Essen.
Jean-Pierre Streich steht mit seiner Frau Anna in seinem Laden „The Outleter“. Seit zwei Jahren verkaufen sie günstige Markenware auf der Limbecker Straße in Essen. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Der 49-Jährige wirbt dafür, den Abschnitt vom Schwarzen Horn bis zum Limbecker Platz neu zudenken und die Limbecker Straße zur Outlet-Meile zu machen. Das gehe freilich nicht auf einen Schlag, aber nach und nach sollten leerstehende Läden in Outlet-Stores umgewandelt werden, meint Streich. Ein Klein-Roermond mitten in der Essener Innenstadt?

Nun, an das kurz hinter der holländischen Grenze gelegene Center käme die Limbecker Straße schon allein wegen der Größe nicht heran. Und Luxus-Labels dürften auch nicht gerade nach Essen drängen. Aber es bliebe das sogenannte Mittelpreis-Segment als Zugfaktor, was auch nicht zu vernachlässigen sei, so Streich.

Sein Laden allein bewirkt dabei zu wenig. Aber eine ganze Outlet-Meile, glaubt Streich, könnte Besucher in die Innenstadt locken, die sie zuletzt mehr und mehr verloren hat: jung, modebewusst, preissensibel und dennoch ausgabefreudig – neudeutsch smart.

Neue Gesellschaft würde Anmietung und Betrieb der Outlet-Meile übernehmen

Seine Vision für die Limbecker Straße hat er auf mehrere Seiten PDF gepinnt. Im Zentrum steht eine Gesellschaft mit dem Arbeitstitel Essen Outlet GmbH. Er würde das Unternehmen zusammen mit Partnern gründen und darüber die Läden anmieten und bespielen. Genügend Ware für den Start habe er. Streich denkt dabei nicht klein: 3000 bis 4000 Quadratmeter Verkaufsfläche bräuchte er, um sein Konzept auszuspielen: Outlet-Shops beispielsweise für Denim, Bergsport, Damen-, Kinder-, Herren-Mode. Keine Läden nach Marken sortiert wie in Roermond, sondern nach Themenwelten. Gepaart sein könnte das Ganze mit passender Gastronomie: Burger zu Jeansmoden, Leberkäs’ und Brezen zu Wanderklamotten.

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So viel Verkaufsfläche, wie sich Streich vorstellt, ist momentan allerdings nur in wenigen Geschäftshäusern frei. Im Grunde kämen dafür nur die ehemaligen Läden von Sportscheck, Böhmer, H&M und Zara in Frage. Im nächsten Schritt würde Streich mit der Essen Outlet GmbH auch kleine Flächen anmieten und sie gemeinsam mit den Vermietern häuserübergreifend zu Großflächen entwickeln. So könnte dann eine ganze Outlet-Straße entstehen.

Apropos Vermieter: Ob Streichs Idee überhaupt eine Chance hätte, hinge freilich entscheidend von ihnen ab. Anders als in einem Outlet-Center auf der grünen Wiese, müssten diese von dem Konzept überzeugt werden. Er habe bereits erste Kontakte geknüpft, sagt Streich. Die Reaktionen seien ermutigend gewesen.

Streich ahnt, dass sein Konzept an dieser Stelle schwierig wird, weil es viele in ein Boot bringen muss. „Aber was ist die Alternative für Vermieter? Keine Marke beschäftigt sich zur Zeit mit der Eröffnung neuer Läden“, sagt er.

Essener Geschäftsmann sucht vor allem eines: Investoren für seine Outlet-Idee

Streich, der vor kurzem mit seiner Familie aus Düsseldorf nach Essen gezogen ist, kennt den Einzelhandel und die Modebranche gut. Er hat in der Vergangenheit für Lidl, Peek & Cloppenburg, Tom Tailor und Fynch-Hatton gearbeitet, bis er sich mit „The Outleter“ selbstständig machte. Was ihn treibt, ist der Ehrgeiz, aus seinem heutigen Geschäft, etwas Großes zu machen.

Ob es ihm gelingen würde, viele Vermieter für sein Projekt zu gewinnen, ist aber nur eine Seite. Was dem 49-Jährigen entscheidend fehlt, ist das Geld. Er schätzt, dass er für den ersten Schritt eine hohe sechsstellige, vielleicht sogar siebenstellige Summe bräuchte.

Deshalb sucht er Partner, Investoren, die ihn unterstützen: „Es sollte doch gelingen, Menschen zusammenzubringen, denen die Innenstadt am Herzen liegt.“ Ein weitreichendes Netzwerk hat der Geschäftsmann bislang nicht. Seine Pläne hat er deshalb sowohl der Essen Marketing Gesellschaft (EMG) wie auch Oberbürgermeister Thomas Kufen persönlich vorgestellt; in der Hoffnung, sie könnten ihm Türen öffnen. Die Gespräche liegen nun schon Monate zurück, weitergekommen ist Jean-Pierre Streich bis heute nicht.

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Dabei klingen die Worte seitens der EMG zunächst durchaus wohlwollend. Auf Nachfrage erklärte Svenja Krämer, Innenstadt-Managerin bei der EMG: „Die Idee, mehr Outlet auf die Limbecker Straße zu bringen, halten wir für gut.“ Das seien Einzelhandelskonzepte, die auf der Straße gut funktionieren. Jüngstes Beispiel: Die EMG hatte die Verlagerung des Modehauses Sinn dorthin vermittelt, das im ehemaligen Görtz-Geschäft nun eigene Outlet-Ware verkauft.

Essen Marketing hat Zweifel zur Umsetzbarkeit

Dennoch gibt es aufseiten der EMG auch Zweifel, ob Streichs große Outlet-Nummer auf der Limbecker gelingen könnte. Krämer führt zum einen die Vermieterproblematik an, zum anderen fehle es Streich an einem „ausgearbeiteten Geschäftsmodell“, meint sie. Dennoch habe die EMG ihm einen Kontakt zu einem „möglichen lokalen Top-Investor“ eröffnet. Mehr, als ein Gespräch mit einem Mittelsmann, sei da bislang jedoch nicht gelaufen, meint Jean-Pierre Streich.

EMG wie Stadt glauben offenbar, dass ein Outlet-Center in der ehemaligen Theaterpassage besser aufgehoben sei. Dazu habe es auch Gespräche mit Streich gegeben. Allerdings sieht dieser dort nicht den ersten Schritt für seine Idee. „Vielleicht wäre das eine Fortsetzung, wenn es auf der Limbecker läuft. In der Theaterpassage könnte ich mir sogar Premium-Segmente vorstellen.“

Streich will nicht aufgeben, hofft, da seine Vision einer neuen Limbecker Straße nun öffentlich geworden ist, dass sich Mitstreiter finden. „Ich glaube an das Konzept ganz fest!“

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