Essen-Rüttenscheid. Maria (29) und Saskia (27) knibbeln und kratzen sich dauerhaft die Haut auf. Jetzt gründen sie eine Selbsthilfegruppe, die sich in Essen trifft.

Schon als Saskia (27) ein Kind war, bearbeitete sie ihre Haut. Sie kratzte Windpocken und Mückenstiche auf, knibbelte an ihrer Nagelhaut herum. In der Pubertät wurde es schlimmer. Dass hinter ihrem Verhalten eine Impulskontrollstörung steckt, fand sie erst später heraus. Jetzt gründet sie gemeinsam mit Maria (29), ebenfalls betroffen, eine Selbsthilfegruppe. Das erste Treffen findet am Donnerstag, 18. Januar, in der Villa Rü (Girardetstraße 21) statt.

„Skin Picking“ (auf Deutsch etwa: „Haut pflücken“) nennt sich die Erkrankung, an der die beiden jungen Frauen leiden. „Jeder kennt es ja, dass man mal einen Pickel ausdrückt oder an einem Mückenstich kratzt“, erklärt Saskia. So ungefähr könne man sich das bei ihr auch vorstellen. Nur eben viel extremer. Manchmal bearbeite sie ihre Nagelhaut durch Kratzen, Knibbeln, Quetschen oder Drücken, vor allem aber die Beine.

Essenerin über Skin Picking: Problemzonen wechseln immer wieder

Bei Maria ist es aktuell vor allem der Schulterbereich, die Problemzone wechsle aber, erzählt die 29-Jährige. Manchmal scanne sie ihre Haut regelrecht, taste sie nach kleinen Unebenheiten ab, die sich bearbeiten lassen. „Wenn sich eine Kruste bildet und ich sie abkratzen kann, ist das für mich ein Glücksgefühl“, beschreibt sie.

Kratzen, knibbeln, drücken: Betroffene von „Skin Picking“ haben dauerhaft den Drang, ihre Haut zu bearbeiten.
Kratzen, knibbeln, drücken: Betroffene von „Skin Picking“ haben dauerhaft den Drang, ihre Haut zu bearbeiten. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Für Saskia war ihre Störung vor allem im Teenageralter mit großer Scham verbunden. „Ich hatte Akne und habe viel im Gesicht geknibbelt. Als ich angefangen habe, mich zu rasieren, und dann kleine Rasierpickel oder eingewachsene Haare hatte, ist es an den Beinen auch viel stärker geworden“, erinnert sie sich. „Ich habe sehr darunter gelitten.“ Wie ein Kontrollverlust habe sich das angefühlt. „Dumm und peinlich“ sei ihr eigenes Verhalten in ihrer Wahrnehmung gewesen. Abstellen konnte sie es jedoch nicht – und schränkte sich stattdessen stark ein: „Ich habe keine kurzen Hosen getragen und bin ungerne ins Schwimmbad gegangen.“

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Skin Picking: „Wenn man an der Haut knibbelt, kann man kurz alles vergessen“

Die beiden jungen Frauen, die auch in therapeutischer Behandlung sind, würden sich wünschen, irgendwann mit dem Skin Picking aufhören zu können. Beide sind sich allerdings bewusst: Das kann sehr schwierig werden. Für Saskia steht das Überwinden der Zwangsstörung gar nicht unbedingt im Vordergrund, wichtiger ist für sie ein vernünftiger Umgang mit ihrer Erkrankung. „Ich versuche, entspannter damit zu sein, mich nicht einzuschränken und zu akzeptieren, dass ich vielleicht nicht ganz so schöne Haut habe“, sagt sie.

Vorm Spiegel stehen und die Haut absuchen: Diese Situation kennen viele Betroffene von „Skin Picking“.
Vorm Spiegel stehen und die Haut absuchen: Diese Situation kennen viele Betroffene von „Skin Picking“. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Ärgerlich sei für sie, wie viel Zeit manchmal fürs Knibbeln und Kratzen draufgehe: „Manchmal sind das ein oder zwei Stunden am Tag, an denen ich eigentlich etwas Vernünftiges tun könnte.“ Vor allem während des Studiums, wenn sie etwa für eine Klausur habe lernen müssen, sei der Drang, die Haut zu bearbeiten, groß gewesen. Die 27-Jährige hat auch mit Depressionen zu kämpfen und merkt: Wenn die Depression gerade stärker ist, ist auch der Knibbel-Drang größer: „Wenn man an der Haut knibbelt, kann man kurz alles vergessen.“

Selbsthilfegruppe in Essen soll Anlaufstelle für das Ruhrgebiet sein

Zweifel wegen des Studiums, Einsamkeit während der Corona-Zeit: In solchen Fällen sei das Skin Picking ein Ventil für sie gegeben. Auch Maria beobachtet: „Es ist ein Werkzeug, mit dem man Glücksgefühle entstehen lassen kann.“ Besonders in Phasen, in denen sie eher negativ gestimmt sei, könne sie sich damit aufheitern – allerdings nur kurzfristig, denn langfristig werde die Haut natürlich schlechter. Und dann komme wieder der Wunsch, sie durchs Knibbeln und Kratzen zu „bereinigen“. Ein Teufelskreis.

Gruppe trifft sich alle 14 Tage in Rüttenscheid

Nach dem ersten Treffen kommt die Gruppe an jedem ersten und dritten Donnerstag im Monat, jeweils von 17 bis 19 Uhr, im Bürgerzentrum Villa Rü (Girardetstraße 21) zusammen. Eine Anmeldung ist erforderlich.

Interessierte können sich per E-Mail an skinpicking.ruhrgebiet@googlemail.com anmelden. Wer mehr Updates und regelmäßige Veröffentlichungen der Termine sehen möchte, kann dem Instagram-Account @skinpicking.ruhrgebiet folgen.

Saskia und Maria lernten sich in einer Telegram-Gruppe für Betroffene kennen, besuchten außerdem beide eine Selbsthilfegruppe in Köln. Gemeinsam fassten sie den Entschluss, eine eigene Gruppe im Ruhrgebiet zu gründen. Das tun sie nun in Essen in Zusammenarbeit mit dem Selbsthilfe-Netzwerk Wiese e.V. Zweimal pro Monat wollen sie sich mit anderen Betroffenen in der Villa Rü treffen.

Treffen in der Rüttenscheider Villa Rü sollen geschützten Rahmen bieten

Neben Skin Picking sind auch Betroffene weiterer sogenannter BFRBs willkommen. Die Abkürzung steht für „body-focuse-repetetive behaviours“, also für körperbezogene, sich wiederholende Verhaltensweisen. Darunter fallen zum Beispiel auch pathologisches Haareausreißen (Fachbegriff: Trichotillomanie), Nägelkauen oder Wangen- und Lippenbeißen.

Die Gruppe soll Raum bieten, um sich gegenseitig zu unterstützen, in einem geschützten Raum Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu inspirieren und Methoden für einen besseren Umgang mit der Krankheit zu finden.

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