Essen. Wer Sandsäcke für sein Privathaus braucht, müsse sich selbst helfen, betont die Stadt Essen. Selbst städtische Gebäude waren wieder schutzlos.
Als im Juli 2021 die große Flut über den Essener Süden hereinbrach, gab es viel Kritik an der Stadtverwaltung: Informationen zu spät, Sandsäcke zu wenig, die Ansprache der Bürger verbesserungsbedürftig. Auch wenn sich die Ereignisse nicht eins zu eins vergleichen lassen, zieht Ordnungsdezernent Christian Kromberg zum Weihnachtshochwasser 2023 nun eine positive Zwischenbilanz. „Unsere Informationsarbeit hat gut funktioniert, wir haben viele positive Rückmeldungen von den Bürgern bekommen.“ Eines allerdings konnte die Stadt erneut nicht liefern: Sandsäcke.
Anders als 2021, kam die Flut diesmal nicht Knall auf Fall nach einem Starkregen, sie kündigte sich spätestens am 22. Dezember wegen des bis 25. Dezember sicher prognostizierten Dauerregens an. Genug Zeit also, um sich ein Bild zu verschaffen, die wahrscheinlichen Folgen des Hochwassers durchzukalkulieren, neuralgische Punkte in der Stadt für Kontrollfahrten zu definieren, die Essener Medien zu informieren und einen Krisenstab zu bilden.
All das, so Kromberg, habe man umgesetzt – immer mit Blick darauf, dass bei aller Vorsicht verständlicherweise auch nicht unnötig viele Einsatzkräfte über Weihnachten von ihren Familien ferngehalten werden sollten. „Wir waren auf alles vorbereitet, bis hin zu Massenevakuierungen“, so Kromberg. Denn obwohl sich früh andeutete, dass die höchste Kategorie „ausgeprägtes Hochwasser“ anders als 2021 wahrscheinlich nicht erreicht werden würde, gab es doch ein schwer abschätzbares Restrisiko. Deshalb hätten Feuerwehrleute, die Heiligabend unterm Weihnachtsbaum weilten, im Notfall innerhalb einer halben Stunde wieder einsatzbereit sein müssen.
Das extra eingerichtete Bürgertelefon verzeichnete ganze 25 Anrufe, hingegen wurde die Feuerwehrleute bei ihren Kontrollfahrten häufig angesprochen und um Rat gefragt. Einen Missklang räumt Kromberg ein: Viele Bürger aus den bei Hochwasser gefährdeten Straßen und Stadtteilen, aber auch engagierte Kommunalpolitiker wie der Kupferdreher CDU-Ratsherr Dirk Kalweit forderten als Vorsichtsmaßnahme die Ausgabe von Sandsäcken und waren enttäuscht, als dies verweigert wurde.
Sandsäcke hält die Stadt nur für kritische Infrastruktur vor
Wieso war die Stadt so geizig? „Sandsäcke sind eine begrenzte Ressource, die die Stadt braucht, um die kritische Infrastruktur zu schützen“, betont Kromberg. Dazu zählten etwa Trinkwasserpumpen, Kläranlagen oder Trafo-Gebäude, auch Deiche. Letztere gibt es im Essener Ruhrtal kaum, in einigen Nachbarstädten aber reichlich. Bei Bedarf hätte man dort geholfen.
„Was wir nicht schaffen: jedes möglicherweise gefährdete Privathaus zu schützen“, stellt der Ordnungsdezernent klar. „Katastrophenschutz kommt ohne private Vorsorge einfach nicht aus.“ Viele Hausbesitzer haben sich dies erkennbar zu eigen gemacht, in Werden und Kettwig etwa waren vor mancher Haustür die Säcke gestapelt, andere hatten sie mutmaßlich im Hintergrund bereit liegen.
Doch nicht nur Privathäuser nimmt Kromberg von der städtischen Schutzgarantie aus, auch die stadteigenen Gebäude, etwa in Werden: „So wichtig ein Schulgebäude oder ein Hallenbad auch sind, Sandsäcke kann ich dafür nicht garantieren.“ Diese Aussage kann befremden angesichts eines Millionenschadens, der gerade an diesen Gebäuden beim Hochwasser 2021 entstand und der mit ausreichend Schutzvorkehrungen womöglich hätte vermieden werden können.
Logistik und Lagerung sind bei Sandsäcken das Problem
Was ist so kompliziert an Sandsäcken? „Das Material ist nicht das Problem, sehr wohl aber Lagerung und Logistik“, sagt Kromberg. Noch immer fehle in Essen ein großes Lagergebäude, wie es der nach 2021 von Grund auf neu erarbeitete Katastrophenschutzbedarfsplan eigentlich vorsieht. Es ist aber schwer zu finden und noch schwerer zu finanzieren.
Der Sand müsse aber knochentrocken gehalten werden, sonst nütze ein Sandsack wenig. Zwar lagert die Feuerwehr in der Dienststelle Eiserne Hand Sand für den Katastrophenfall ein, bei einem Unternehmen habe die Stadt zudem Zugriff auf weitere 150 Tonnen gelagertes Material. Doch ist auch das allenfalls die halbe Miete, denn Transport und Anhäufen der Säcke seien extrem personalintensiv und mit dem jetzigen Personalstamm im großen Stil einfach nicht machbar. „Wir kommen da an logistische Grenzen“, so Kromberg.
Ordnungsdezernent regt dezentrale Lagerstätten für Sandsäcke an
Schon wegen der räumlichen Nähe zum potenziellen Einsatzort sei es sinnvoller, wenn in den hochwassergefährdeten Stadtteilen wie Kupferdreh oder Kettwig dezentrale Lagerstätten existierten und wenn Bürgerschaften dort selbst Verantwortung übernähmen, so Kromberg. Derzeit ist das eine so unrealistisch wie das andere. Kromberg zufolge werde man sich deshalb dem Sandsack-Thema noch einmal zuwenden, „selbstkritisch“, wie er betont. Das Grunddilemma sei indes nicht zu lösen: „Katastrophenschutz ist immer nur eine Annäherung an absolute Sicherheit.“
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