Essen. Ein Jahr nach der Flut gibt sich die Stadt entschlossen, das Krisenmanagement zu verbessern. Allerdings sei auch Eigenverantwortung gefragt.

Die Stadt Essen hat ein Jahr nach dem Jahrhunderthochwasser an der Ruhr einige Fehler und kommunikationstechnische Lücken beim Umgang mit der Flut eingeräumt, fordert allerdings auch die Bürger auf, mehr Gefahrenbewusstsein im Fall einer Katastrophe zu entwickeln. Durch die Überflutung sind materielle Schäden im Essener Süden entstanden, die vermutlich teilweise hätten vermieden werden können, wenn alle Beteiligten schneller agiert hätten und weniger sorglos gewesen wären.

Warnsirenen standen vor einem Jahr noch nicht zur Verfügung

Als Beispiel für fehlende Technik nannte Ordnungsdezernent Christian Kromberg die Tatsache, dass die mittlerweile installierten Warnsirenen vor einem Jahr noch nicht zu Verfügung standen. Diese nützten allerdings auch nur dann etwas, wenn der Sirenenton ernst genommen werde und als Aufforderung dient, sich umgehend über Medien oder die Katastrophen-Warnapp „Nina“ Informationen zu besorgen – und das persönliche Verhalten danach auszurichten. Das genau geschehe aber nicht in ausreichendem Maß. „Nur ein Bruchteil der Bevölkerung hat diese App auf dem Handy installiert“, so Kromberg.

Die gröbsten Schäden sind behoben, aber es blieb noch viel zu tun: Schulleiterin Felicitas Schönau am 18. August 2021 in einem der überfluteten Räume des Gymnasiums Essen-Werden. Allein in diesem Gebäude waren 2,7 Millionen Euro für die Sanierung prognostiziert. Wäre dies zu verhindern gewesen?
Die gröbsten Schäden sind behoben, aber es blieb noch viel zu tun: Schulleiterin Felicitas Schönau am 18. August 2021 in einem der überfluteten Räume des Gymnasiums Essen-Werden. Allein in diesem Gebäude waren 2,7 Millionen Euro für die Sanierung prognostiziert. Wäre dies zu verhindern gewesen? © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„Es geht mir nicht um Bürgerbeschimpfung“, betont Kromberg, „aber ich glaube, viele haben über Jahrzehnte einfach verlernt, Gefahren ernst zu nehmen“. Als er neue Warnsirenen anschaffen wollte, habe er auch in der Politik teilweise in überraschte Gesichter geschaut. Und selbst in den Flut-Tagen hätten Feuerwehrleute erlebt, dass Menschen nicht ihre Wohnungen verlassen wollten, weil sie die Gefahr unterschätzten. „Hier stehen alle in der Pflicht, die Sensibilität zu erhöhen.“ Das gelte neben den Institutionen des Katastrophenschutzes eben auch für jeden einzelnen Bürger.

Stadt: Gefahrenhinweise sind auch eine Holschuld

Es werde auch künftig nicht möglich sein, jeden persönlich an die Hand zu nehmen, Eigeninitiative sei unabdingbar. „Natürlich wird es Betroffene geben, die im Nachgang betonen werden, dass sie keiner gewarnt habe. Hier muss man deutlich darauf hinweisen, dass Gefahrenhinweise nicht nur eine Bringschuld, sondern auch eine Holschuld sind“, bekräftigt Kromberg. So hätten es die Mitglieder von Campingvereinen an der Ruhr geschafft, ihr Eigentum rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, während andere darauf vertrauten, es werde schon nicht so schlimm kommen – und tragisch irrten.

Oberbürgermeister Thomas Kufen räumt allerdings ein, dass das Krisenmanagement der Stadtverwaltung künftig besser und koordinierter ablaufen müsse. „Da haben wir uns zu sehr auf andere verlassen, dass die das übernehmen.“ Dabei gehe es nicht nur um akute Krisenkommunikation. Als Beispiel nannte Kufen die zunächst eher routinierte Arbeitsauffassung, mit der die Entsorgungsbetriebe nach der Flut die Straßen von Sperrmüll räumten. Dabei sei klar gewesen, dass die Menschen als Erstes ihre überfluteten Keller ausräumen würden und dabei viel Müll anfiel.

Am Stauwehr in Werden bot das herabstürzende Ruhrwasser ein beklemmendes Schauspiel – wenige Meter weiter liefen die Keller voll.
Am Stauwehr in Werden bot das herabstürzende Ruhrwasser ein beklemmendes Schauspiel – wenige Meter weiter liefen die Keller voll. © WAZ | Frank Stenglein

Land NRW solle Katastrophenschutz personell und technisch aufrüsten

Die Stadt hat aber auch das Land NRW aufgefordert, die wichtigen überregionalen Informationsflüsse zu sichern und den Katastrophenschutz personell und technisch aufzurüsten – zum Beispiel mit Digitalfunk und modernen Vorhersagesystemen für Unwetter und Pegelstandmessern. „Als Stadt können wir die Bürgerinnen und Bürger nur so gut informieren, wie wir selbst informiert werden“, betont Stadtsprecherin Silke Lenz.

In Auftrag gegeben bei einem externen Büro hat die Stadt für ihren Verantwortungsbereich mittlerweile einen Katastrophenschutzplan, der die Möglichkeiten der Stadt Essen analysiert und im Falle künftiger Katastrophen zu standardisierten, strukturierten Abläufen rät. Auf Beschluss des Stadtrates sollen hier nun die Details erarbeitet werden.

Stadt machte nicht einmal einen Versuch, die eigenen Gebäude zu schützen

Mehr Aufmerksamkeit soll künftig auch der Prävention gelten. Bei der Flut vor einem Jahr fiel negativ auf, dass die Stadt nicht einmal minimale technische Vorsorge getroffen hatte, um das Gymnasium Werden und das benachbarte Stadtbad Werden zu schützen. In den Kellern beider städtischer Gebäude an der Ruhr richtete das Hochwasser dann schwere Schäden an, die mit Millionenaufwand saniert werden mussten. Möglicherweise hätten aber schon simple Sandsäcke dies verhindern, zumindest bremsen können.

Soforthilfe an Essener Bürger in großer Not

Mit der NRW-Soforthilfe wurden auch Essener Bürgerinnen und Bürger unterstützt, die nach dem Hochwasser von existenzieller Not betroffen waren. Insgesamt stellten laut Stadtverwaltung 531 Privatpersonen Anträge, von denen 449 bewilligt und ausgezahlt wurden – die Gesamtsumme betrug 933.000 Euro. Von Gewerbebetrieben gab es 111 Anträge, von denen 92 bewilligt und ausgezahlt wurden, mit einem Volumen von insgesamt 460.000 Euro.

Angelehnt an die Soforthilfe des Landes hat die Stadt Essen einen Fonds für betroffene Sportvereine eingerichtet. Es konnten alle 25 eingegangenen Anträge bewilligt werden, insgesamt wurden 110.000 Euro ausbezahlt. 10.900 Euro hat die Stadt ferner im Rahmen eines Härtefallfonds für einkommensschwache Haushalte an insgesamt 22 Antragsteller ausbezahlt.

Die Stadt erklärte, bei ihrem Gebäudebestand werde der Hochwasserschutz künftig stärker mitbedacht. Ordnungsdezernent Christian Kromberg weist allerdings darauf hin, dass all dies Geld koste und selbst Sand-Depots ein Preisschild hätten. Überprüft würden derzeit ferner die Deiche im Stadtgebiet und wo notwendig verbessert. Und auch beim Thema Prävention mahnt Kromberg zur Eigenverantwortung. Instrumente wie etwa die „Starkregenkarte“ der Stadt Essen sollten jedem Gebäudeeigentümer geläufig sein, um das individuelle Risiko abzuschätzen und abzusichern. Die Stadt könne hier beraten, aber nicht für jedes private Risiko die Solidargemeinschaft bemühen.

Positiv hob Oberbürgermeister Thomas Kufen in der Rückschau die große Hilfsbereitschaft der Essener hervor. „Und wir haben sehr viel Glück gehabt, dass niemand ums Leben kam oder auch nur verletzt wurde.“