Essen. Kranke Hunde, Qualzuchten, verwahrloste Katzen, vernachlässigte Kaninchen, schlecht gehaltene Bartagamen: Das Leid im Tierheim Essen wächst.
„Unser Hund kann seit drei Tagen nicht mehr aufstehen“, so lautete der Anruf im Tierheim Essen, hinter dem ein Drama steckte. Wie es so manche Dramen in diesem Jahr gab. Von grausamen Momenten und doch auch schönen Augenblicken berichtet Jeanette Gudd. Vor allem weist die Tierheimleiterin nun darauf hin, dass Tiere keine Weihnachtsgeschenke sind und eine Anschaffung gut überlegt sein will - das gilt allerdings immer und würde wohl manches Leid ersparen.
- Das Tierheim Essen hat 2023 viele kranke, verwahrloste und schwer verletzte Tiere aufgenommen
- Die Pfleger wünschen sich mehr Verantwortung und überlegte Anschaffung, um den Tieren Leid zu ersparen
- Derzeit bereiten viele Perserkatzen in sehr schlechtem Zustand Sorgen im Essener Tierheim, drei Tiere sind schon gestorben
Wie das der Perserkatzen. Seit Monaten schon kümmern sich die Tierpfleger um die Tiere, die völlig verwahrlost und krank an der Grillostraße ankamen. Ihr Fell verfilzt und voller Kot, die Ohren entzündet, die Katzen völlig unterernährt („manche wogen nur noch ein Kilogramm“) und krank. Zehn brachte eine Züchterin selbst („von meinem Bruder“), 13 weitere beschlagnahmte das Veterinäramt, als die Pfleger wegen der Geschichte stutzig wurden.
Vier Perserkatzen im Essener Tierheim kämpfen weiterhin um ihr Leben
Zunächst sei eine der Katzen gestorben, „inzwischen haben zwei weitere nicht überlebt“, berichtet Jeanette Gudd traurig. Dabei fressen die Katzen gut. „Wir bekommen aber ihren Durchfall nicht in den Griff, da ihr Darm zerstört ist.“ Hinzu käme nun ein Pilz sowie Luftnot wegen der zurückgezüchteten Nasen und Probleme mit den Wimpern, die an der Hornhaut kratzten. Die Folgen dieser Qualzuchten erleben die Tierheimmitarbeiter regelmäßig auch bei Faltohrkatzen, Möpsen und Französischen Bulldoggen wie zuletzt bei Hoppe und Lona immer wieder, da die Tiere starke Schmerzen haben und mitunter kaum frei atmen können.
Insgesamt leben derzeit rund 50 Hunde („wir haben ganz gut vermittelt“), etwa 100 Katzen und rund 100 Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Echsen, Mäuse, Ratten und Schlangen im Tierheim. Besonders die Vermittlung von Tigerpython Nemo bereitet den Pflegern Kopfzerbrechen, da diese bis zu drei Meter groß werden könne, während es für die Mitarbeiter im Hundehaus durchaus ein Kraftakt ist, bis mancher Vierbeiner überhaupt erst wieder sozialisiert ist. Einige tun sich schwer mit Artgenossen, andere mit Menschen, mitunter gab es in der Vergangenheit bereits Beißvorfälle. Diese Hunde zu vermitteln, erfordert zuvor viel Arbeit und Einsatz sowie große Verantwortung.
Verantwortungslos zeigte sich etwa der Halter der 156 Chihuahuas am Bodensee, die erst beschlagnahmt und dann von mehreren Tierheimen deutschlandweit aufgenommen worden sind. 20 kamen nach Essen. „Wir konnten helfen, da wir gerade Platz hatten.“ In drei Zimmern lebten die kleinen Vierbeiner, die noch nichts kennengelernt hatten, keine Umweltgeräusche, keine Spaziergänge. Ihr Zustand sei für die schlechte Haltung jedoch nicht allzu schlecht gewesen, 19 von ihnen haben bereits wieder ausziehen können.
Lani wartet noch. Schüchtern und völlig verängstigt reagiert der kleine weiße Chihuahua-Mix auf Menschen. Gleichzeitig fasst sie ganz langsam Vertrauen zu dem Ehrenamtlichen, der sich liebevoll um die Hündin kümmert. An seiner Hand kommt sie zur Ruhe, lässt sich streicheln und wartet auf ein Zuhause, in dem ihr genauso viel Geduld geschenkt wird. Bei Spaziergängen werden ihre neuen Halter nicht vergessen dürfen, ihr das Sicherheitsgeschirr anzulegen, damit Lani nicht weglaufen kann, falls sie panisch reagiert.
Für Stella-Ani gab es bereits ein glückliches Ende, nach dem es lange Zeit nicht aussah. Überlegten die Pfleger doch sogar, die Hündin von ihrem Leid zu erlösen. „Verkommen, das Fell verschimmelt und nicht in der Lage zu laufen“, beschreibt Jeanette Gudd den Zustand des Dackelmischlings, als dieser bei ihnen ankam. Stella-Ani ist blind und hört auch nichts. Als der ganze Filz herunter war, haben die Pfleger erst entdeckt, was für eine hübsche Hündin darunter steckt - und die gewann immer mehr an Lebensfreude. Ihre Behinderung nach einer Staupe-Erkrankung wird zwar bleiben, die aber schreckte ihre neuen Halter nicht ab: „Stella-Ani hat ein gutes Zuhause gefunden.“
Essener Tierschützer sehen immer weniger Mitgefühl und immer mehr Gedankenlosigkeit
Mit Blick auf ihre Geschichte schüttelt Jeanette Gudd allerdings nach wie vor fassungslos und erschüttert den Kopf, vermisst die Fürsorge der Halter und kritisiert die Gedankenlosigkeit vieler Tierbesitzer. Das Mitgefühl habe immer mehr abgenommen, sagt sie. Hinzu kommen extrem gestiegene Tierarztkosten, die sich mancher schlichtweg nicht mehr leisten könne. So sehen und erleben die Pfleger und Pflegerinnen zunehmend, wie Tiere vernachlässigt und krank ihrem Leid überlassen oder gar misshandelt und dann entsorgt werden.
Da war die Französische Bulldogge Bella, deren Zustand so schlecht war, dass sie ein Ohr und ein Auge verloren hat. Labradorhündin Lilly war gerade einmal vier Jahre alt, als ihre Besitzer sie wegen ihrer Allergie haben einschläfern lassen wollen. „Staffordshire-Bullterrier Freydis wurde angebunden und von ihrem Besitzer mit einem Messer verletzt“, berichtet Jeanette Gudd von dem Tötungsversuch. Der Angriff habe nichts daran ändern können, dass Freydis nach wie vor ein freundlicher und umgänglicher Vierbeiner geblieben ist, der auf Besitzer wartet, die besser zu ihm sein werden. Jeanette Gudd wiederum hofft auf ein besseres 2024. Nach 21 Jahren im Tierheim sagt sie bedrückt: „Das war eines der schlimmsten Jahre, die ich hier erlebt habe.“
Vor der Anschaffung eines Haustieres sollte jeder seine Pläne für kommende Jahre überdenken
Vor Weihnachten würden nun keine Tiere mehr an neue Interessenten vermittelt, um unüberlegte Anschaffungen zu vermeiden. Denn genau diese haben schlimme Konsequenzen, wie etwa Kangals im Tierheim zeigen, deren Halter hoffnungslos überfordert seien mit einer Rasse, die nun einmal in einer Großstadt kaum artgerecht gehalten werden könne. Das birgt dann auch Gefahren für Menschen. Gefährlich wurde es ebenso für die Halterin von Leonberger-Mix Tommy (60 cm, 34 Kg), der sie angegriffen hat. Der Rüde hatte bis dahin gelernt, wenn er zubeißt, hat er seine Ruhe. Nun wartet Tommy seit fast vier Jahren auf eine neue Chance und Menschen, die mit ihm umgehen können.
Als unüberlegt stufen die Tierheimmitarbeiter derzeit auch Anrufe ein, wenn ein Vater gestresst anfragt („Ich brauche noch ein Weihnachtsgeschenk für meine Tochter“). Überhaupt sollte jeder intensiv darüber nachdenken und sich vor einer Anschaffung damit auseinandersetzen, ob ein Haustier zehn Jahre oder länger in seinen Alltag passe. Das betreffe Zeit und finanzielle Möglichkeiten - und ist ein großer Weihnachtswunsch der Tierpfleger und Tierpflegerinnen. „Wir möchten nicht mehr so schlimme Fälle erleben müssen“, sagt Jeanette Gudd in dem Wissen, wie sehr die Tiere leiden, aber auch, wie nah den Pflegern die Arbeit geht und wie viel sie ertragen müssen.
Ein weiterer Wunsch wird sich mit der neuen Hundekrankenstation erfüllen, die sich im Bau befindet. Zudem gebe die Waschmaschine, die rund um die Uhr mit den Decken laufe, gerade den Geist auf. Das wiederum ist eine eher kleinere Sorge, verglichen mit dem Kummer um die Perserkatzen. Vier von ihnen befinden sich noch in einem kritischen Zustand. Alle an der Grillostraße hoffen, dass auch sie überleben. „Es ist immer unser Wunsch, dass kein Tier hier stirbt“, sagt Jeanette Gudd und weiß gleichzeitig genau, dass sich dieser nicht immer erfüllen wird.
Wie nach dem Anruf der Halter vor etwa zwei Wochen, die angaben, ihr Hund liege seit drei Tagen nur noch auf dem Boden. An Geld für den Tierarzt fehlte es offenbar. Der Fahrer des Tierheims eilte los. „Ein ganz ruhiger Kollege, der anschließend fix und fertig war“, sagt Jeanette Gudd zur Belastung.
Denn die Hündin habe ihre Erkrankung und Verwahrlosung offenbar schon so viel länger als lediglich drei Tage ertragen müssen. „Ihre Beine waren durch das verfilzte Fell und den Kot darin regelrecht verknotet“, beschreibt die Tierheimleiterin. Das Tier sei voller eitriger Geschwüre gewesen, der Gestank beinahe unerträglich. „Wie können Menschen so leben“, fragt sie, da dieser Zustand nicht von heute auf morgen gekommen sei.
Dabei hatten ihre Halter die Hündin aus Rumänien einst wahrscheinlich aufgenommen, um sich und ihr gemeinsam ein schönes Leben zu machen. Die Hündin ist nun tot. „Wir haben alles versucht, das tun wir immer“, sagt Jeanette Gudd. Vergebens. In der Klinik musste die Hündin eingeschläfert werden, da es ihr immer schlechter ging. Ihr Anblick sei nicht schön gewesen, ihr Wesen aber bis zuletzt einfach lieb. Bis zum letzten Augenblick habe sie die Streicheleinheiten genossen, die sie zuvor möglicherweise nie erhalten habe, sagt Jeanette Gudd. „Wir haben sie Amanda genannt.“
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