Essen. Verwahrloste und schwer vermittelbare Hunde, steigende Kosten für den Neubau und der illegale Welpenhandel: Diese Sorgen hat das Tierheim Essen.
Ukraine-Krieg, Energiekrise oder allgemeine Kostensteigerung: Die Probleme und Folgen kommen auch im Essener Tierheim an. Während die Spendenbereitschaft zurückgeht, steigt weiterhin die Zahl der Tiere, die verwahrlost oder schwer vermittelbar ankommen, die Kosten für das geplante Hundehaus wachsen ebenfalls. Bei den vielfältigen Sorgen und Nöten lautet nicht nur bei den Leitern, Jeanette Gudd und Jürgen Wetzel, ein Wunsch für 2023: „Es soll nicht noch schlimmer werden.“
Unangenehm findet derzeit Mira ihre Unterkunft. Die Katze wurde Anfang Dezember in Bredeney gefunden, vermisst hat sie bislang niemand. „Sie ist eigentlich verträglich, aber der Alltag mit den vielen anderen Katzen ist ihr einfach zu viel“, beschreibt Nicole Kleinhans, Pflegerin auf der Katzenstation. Dort leben derzeit auch drei Katzen aus ukrainischen Familien, fünf Hunde sind es zudem - bis bei ihren Haltern alle Fragen geklärt sind und sie eine Wohnung gefunden haben.
Derweil laufen im Tierheim in den ehemaligen Zwingern die Umbauarbeiten weiter, sie werden zu Zimmern für Hunde. Für sie ist auch ein Neubau als Kranken- und Quarantänestation gedacht. „Wir hoffen, dass die Arbeiten Anfang März starten können“, sagt Jürgen Wetzel. Vermessen sei das Gelände, der Bauantrag eingereicht. Nun gibt es noch rechtliche Dinge zu klären, da nun nicht wie angenommen ein Gestattungsvertrag mit der Stadt, sondern ein Erbbaurechtsvertrag notwendig sei. Schließlich sei der Rat im Februar gefragt.
Dann bleibt die Frage nach den Kosten. Denn die erste Schätzung von 2021 habe bei rund 800.000 Euro gelegen. „Im Vorjahr waren es bereits 1,25 Millionen Euro“, sagt Jürgen Wetzel, wohlwissend, dass sie damit wohl nicht mehr auskommen werden. Ans ebenfalls geplante Katzenhaus denken sie derzeit gar nicht mehr. Für die Finanzierung des Hundehauses werden sie einen Kredit aufnehmen und weiter Spenden sammeln müssen. Gleichwohl sei das in dieser Zeit natürlich schwierig, sagt Jeanette Gudd mit Blick auf die finanziellen Sorgen der Menschen.
Derzeit sind es mehr als 50 Hunde und über 80 Katzen im Essener Tierheim
An der Grillostraße kommen die menschlichen und tierischen Dramen hinzu, die auch die Mitarbeiter zunehmend psychisch belasten. Es sind die Geschichten hinter den Tieren, die abgegeben oder gefunden werden, wenn Menschen sicht nicht mehr kümmern wollen oder können, weil sie alt oder krank sind.
Derzeit sind es mehr als 50 Hunde und über 80 Katzen. Hinzu kommen etwa 100 Kleintiere, wie Hilde mit ihren acht Nachkommen, die im Oktober im Kleintierhaus geboren worden sind und als Problemkaninchen gelten. Da einige eine übertragbare Krankheit (Enzephalitozoonose) haben, sollen sie nur zu Artgenossen mit eben dieser vermittelt werden. „Ob diese ausbricht, ist völlig unklar, aber es erschwert ihre Vermittlung erheblich“, erklärt Jeanette Gudd.
Manche Halter legten einfach keinen Wert auf Erziehung
Kompliziert nennen die Tierheimmitarbeiter die Vermittlung bei Hunden vor allem, wenn es „Vorfälle“ gegeben hat. Heißt: „Der Hund hat bereits Menschen attackiert oder sogar zugebissen“, sagt die Leiterin. Sie weiß, dass manche Halter es schon als Problem ansehen, wenn ein Hund nicht mal allein bleiben kann oder sich nicht mit Artgenossen versteht. Auch mit diesen Vierbeinern arbeiten die Trainer im Tierheim. Wenn ein Hund jedoch gelernt habe, seine Zähne einzusetzen, könne das eben auch gefährlich sein.
Schmerzhaft ist das bereits bei dem kleinen Yorkshire-Terrier Dr. Acula, dem man dieses Verhalten bei seinem niedlichen Aussehen gar nicht zutrauen mag. Er kam als Welpe in eine Familie und als Dreijähriger ins Tierheim. Manche Halter legten einfach keinen Wert auf Erziehung, der Hund kenne dann keine Grenzen, sagt Jeanette Gudd. „Nach dem ersten Vorfall landen die Hunde hier.“ Oftmals sind solche darunter, die übers Internet angeboten und im Laufe eines noch jungen Lebens bereits mehrfach weiterverkauft worden sind.
Rauhaardackel Leo kam ebenfalls völlig verzogen an, es dauerte ein Jahr, bis er neue Halter fand – und erneut zugebissen hat. Aber sie wollen nicht aufgeben und an seiner Erziehung feilen. Weist jedoch ein großer Hund ein solches Verhalten auf, „kann er Schaden anrichten“, sagt Jeanette Gudd am Zwinger von Tommy. Dass der Mix-Leonberger in dem Augenblick nicht mehr aggressiv gegen die Scheibe springe, das sei nun fast ein Zeichen dafür, dass er sich langsam aufgebe.
Leicht depressiv, nennt sie den Rüden, der vor drei Jahren kam, nachdem der immerhin fast 60 Zentimeter große und 34 Kilogramm schwere Hund sein Frauchen angegriffen hatte. Und wenn Jeanette Gudd sagt, dass er nichts dafür könne, will sie nichts verharmlosen oder gar rechtfertigen, aber doch deutlich machen, dass diesem Hund beigebracht worden ist: „Wenn ich beiße, habe ich meine Ruhe.“ Nun ist Tommy sieben Jahre alt, geht zwar brav mit seinen Gassigänger spazieren, ist Menschen gegenüber aber misstrauisch geblieben und wird keinesfalls in einer Familie mit Kindern leben können.
Aus dieser kam Nala (2), dabei hat sie laut Jeanette Gudd niemandem ein Haar gekrümmt. Ganz im Gegenteil sei sie eine freundliche Hündin, deren Halter sie jedoch mit einer falschen Rasse bei der Stadt angemeldet hatten. Ein Boxer-Schäferhund-Mix sollte sie sein, tatsächlich aber steckt ein Anlagehund in ihr (Staffordshire-Terrier). Die Stadt also forderte die Besitzer auf, das Tier abzugeben, die Neuen werden manche Auflagen erfüllen (z.B. Führungszeugnis, Genehmigung des Vermieters) und höhere Hundesteuern in Kauf nehmen müssen – 852 statt 156 Euro jährlich.
Zu teuer ist manchen Haltern derzeit eine Tierarztbehandlung – ein weiteres, großes Thema an der Grillostraße. Da die Tierarztkosten gestiegen sind, bitten viele um Hilfe, andere setzen Tiere aus oder geben sie unter falschen Angaben ab. So saß ein Malinois angebunden an einer Bank, sein grantiges Verhalten klärte sich dann, als die Tierheimmitarbeiter wussten, dass er wegen gleich drei Blasensteinen erhebliche Schmerzen hatte. Bei einem Schäferhund-Mischling wiederum (Abgabe wegen Umzugs) zeigte erst ein teures MRT, dass der Grund für sein wiederholtes Umfallen ein Hirntumor war. Er musste eingeschläfert werden.
„Die Vorbesitzer wussten doch, dass er wiederholt umkippt“, nennt Jeanette Gudd deren Verhalten unfair. Man hätte der neuen Familie und dem Tier Leid ersparen können, sagt sie und wünscht daher mehr Verantwortung, wenn sich Menschen für ein Haustier entscheiden. „Sie sollten drei Mal überlegen, ob es für viele Jahre ins Leben passt.“ Und: Sie sollten die Finger vom Welpenkauf auf Internet-Plattformen lassen. Viele der jungen Hunde seien krank oder nicht sozialisiert und zu früh von der Mutter getrennt worden, manche landen für Monate in Quarantäne wegen fehlender Impfungen – schlimmstenfalls schleppen sie Tollwut aus dem Ausland ein.
Auch interessant
Bei all diesen Sorgen an der Grillostraße aber, gibt es doch auch die guten Nachrichten, die die Mitarbeiter motivieren und so sehr freuen, wie diese: Pascha wurde vermittelt. Als Kangal teilte der Rüde mit gleich mehreren Artgenossen im Tierheim ein Schicksal, denn als Herdenschutzhund ist er mit seinen Eigenschaften für ein Leben in der Großstadt nicht geeignet. So war seine Vermittlung eine besonders große Herausforderung. Fünf Jahre hat Pascha gewartet und ist nun in ein neues Zuhause gezogen.
Kontakt zum Tierheim Essen: 0201 83 72 35-0