Essen. Türkische Herdenschutzhunde: Sie sind groß, schwer und entscheiden eigenständig. In Städten wie Essen landen Kangals oftmals im Tierheim.

  • Dieser Artikel erschien zum ersten Mal Ende 2018 in leicht abgewandelter Form
  • Die im Text vorkommenden Tiere warten zum Teil im Tierheim Essen noch immer auf ihre Vermittlung
  • Anlass für die Neuveröffentlichung: Ein Kangal ist in Essen-Werden am Mittwoch (10.2.22) auf einen Zwölfjährigen losgegangen, der leichte Verletzungen erlitt. Die Polizei ermittelt (zur aktuellen Berichterstattung).
  • In diesem Text finden Sie Informationen über Kangals

Regelmäßig warten mehrere Kangals im Tierheim Essen an der Grillostraße auf ein neues Zuhause. „Dabei gehören sie nicht in eine Großstadt“, sagt Tierpflegerin Anna Krücker mit Blick auf die Haltung.

Als Kangal wurde der türkische Herdenschutzhund gezüchtet, um Tiere wie Schafe zu bewachen. Selbstständig zu arbeiten und zu entscheiden sind Eigenschaften, die ihm bei diesem Job helfen – dem Essener Tierheim aber bescheren diese immer wieder viel Arbeit, Kosten und große Verantwortung bei der Vermittlung.

Essener Tierheim bescheren Kangals viel Arbeit, Kosten und große Verantwortung

Wenn schon keine Schafherde zum Hüten da ist, so sollten die Hunde auf einem großen Grundstück oder sogar einem Hof gehalten werden. In Städten wie Essen schwer erfüllbare Voraussetzungen.

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Im Tierheim Essen geben sich Pfleger und Trainer viel Mühe, um der Rasse gerecht zu werden und sie in ein passendes Zuhause zu vermitteln. Wie bei Toni, der mehr als die Hälfte seines Lebens im Tierheim verbracht hat: Unüberlegte Anschaffung und die Anforderung, die seine Rasse mit sich bringt, waren zwei Gründe dafür.

Wie groß die Tiere werden können, zeigt Kangal-Mix Pascha: Er ist 70 Zentimeter groß, wiegt 48 Kilogramm und wartet im Tierheim Essen auf ein neues Zuhause. 2017 kam der stattliche Rüde bereits an die Grillostraße. „Er lebt nur im Garten und passt auf alles auf“, steht in seiner Beschreibung. Die lange Zeit im Tierheim verdeutlicht, wie schwer seine Vermittlung ist.

Kangals werden oft leichtfertig aus dem Urlaub mitgebracht

Hinzu kommt, dass die türkischen Herdenschutzhunde mangels einer Herde Alternativen wie das Fährten brauchen – und zwar täglich. Stattdessen würden sie leichtfertig aus dem Urlaubmitgebracht und in der 50-Quadratmeter-Wohnung gehalten, sagt die Tierpflegerin: „Aus dem kleinen Teddy entwickelt sich rasch ein stattlicher Rüde, über den keiner mehr Herr wird.“

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Sind die Halter überfordert, landen die Hunde oftmals im Tierheim. Wie Toni, den die Polizei vor Jahren betäubt aus einer kleinen Wohnung an die Grillostraße brachte. Als der Rüde aus der Narkose erwachte, ließ er niemanden in seine Nähe – ganze vier Monate lang.

Charakterstarke, bis zu 85 Zentimeter hohe und 50 bis 70 Kilogramm schwere Tieren

„Ans Anfassen war nicht zu denken“, erinnert sich Tierpflegerin Djanah Mostowfi. Für sie und ihre Kollegen lautet die Herausforderung dann, mit den charakterstarken, bis zu 85 Zentimeter hohen und 50 bis 70 Kilogramm schweren Tieren zu arbeiten, um sie schließlich mit gutem Gefühl zu vermitteln.

Unterstützung erhalten sie dabei von externen Trainern. Diese schulen die Mitarbeiter und ehrenamtlichen Gassigänger und üben mit schwierigen Hunden. Eine wichtige Unterstützung, die viel Geld kostet.

Die Hundetrainer Morten Eichhorn, Patrick Jacquel und Dirk Fröhlich (v.l.) bei einem früheren Training im Essener Tierheim.
Die Hundetrainer Morten Eichhorn, Patrick Jacquel und Dirk Fröhlich (v.l.) bei einem früheren Training im Essener Tierheim. © FUNKE Foto Services | Klaus Micke

Die Hauptaufgabe bestehe darin, die Hunde zu sozialisieren. Toni etwa reagierte damals skeptisch auf Fremde und war nicht immer kooperativ. Nur langsam fasste der Rüde Vertrauen zu Menschen. „Es sind große Hunde, die schnell lernen, dass sie Erfolg haben, wenn sie nach vorn gehen“, erklärt Trainer Dirk Fröhlich von der Hundeschule „Hunde verstehen lernen“.

Wie gefährlich Kangals sind, zeigte ein tödlicher Angriff 2017

Ein Kangal in falschen Händen könne durchaus gefährlich werden, sagte er. Den Hund zu unterschätzen, kann tragische Folgen haben, wie ein tödlicher Angriff auf Menschen 2017 zeigte (nicht in Essen).

Die Verantwortlichen im Tierheim möchten daher über die Rasse und ihre Eigenschaften aufklären. Maulkorbpflicht besteht beim Kangal nicht, beim Training im Tierheim bietet dieser aber einen zusätzlichen Schutz für Menschen und Artgenossen. Bozo und Selma haben im Tierheim viel gelernt. Bei den beiden konnten sich die Pfleger dann sogar eine Vermittlung zu Familien mit Kindern vorstellen. Auch wenn Selma derzeit pubertiere und etwas eigensinnig sei. Beide Hunde wurden seinerzeit in Essen gefunden, vermisst hat sie niemand.

Aslan passt auf sein Territorium auf und inspiziert jede neue Person zunächst skeptisch

So wie Aslan (2), der wie Kangal-Mix Mix Pascha (5) auf ein artgerechtes Zuhause wartet. Aslan kam bereits 2018 ins Tierheim und hat viel mit den Pflegern trainiert. An seinen Eigenschaften und seinem Charakter ändert das aber nichts: Er passt auf sein Territorium auf und inspiziert jede neue Person zunächst skeptisch, haben die Pfleger in seiner Beschreibung notiert. „Es sind intelligente, sehr wachsame Hunde“, sagt Anna Krücker. Autark zu agieren, liegt in ihren Genen. Ihrem Halter zu gefallen oder sich unterzuordnen, sei nicht ihr Ding. Große Schmuser werden sie auch nicht unbedingt.

Ein Kangal akzeptiere aber seine Bezugsperson und einen engen Kreis Angehöriger. Konsequenz und Beschäftigung sind wichtige Voraussetzungen für die Vermittlung, ebenso mindestens ein Haus mit Garten. Daher stehen die Pfleger im Kontakt mit anderen Heimen und hoffen auf Interessenten aus ländlichen Regionen.

Allerdings hegten diese Hoffnung beinahe alle Tierheime im Ruhrgebiet. Denn die Zahl der Herdenschutzhunde in Heimen nehme zu. „Es werden wohl noch mehr“, befürchten die Essener Tierpfleger und appellieren an Vernunft und Verantwortung der Halter – vor der Anschaffung.