Essen. Hohe Tierarztkosten, niedriger Kaufpreis, geringe Wertschätzung: Immer mehr verwahrloste, kranke Hunde, Katzen und Exoten im Tierheim Essen.
Als Britta ins Tierheim kam, war sie nur noch Haut und Knochen, sah nichts, hörte nichts mehr. Pflegerin Sarah Beckermann kämpfte um das Leben der Katze. „Das ist für alle einfach nur grausam und schwer auszuhalten“, sagt sie, da Hunde, Katzen und Kleintiere in immer schlechterem Zustand an der Grillostraße ankommen, oft verwahrlost und schwer krank. Viele Halter könnten die Tierarztkosten nicht mehr zahlen und riefen verzweifelt im Tierheim an.
„Auch Ernie ist rappeldürr und ungepflegt“, beschreibt Tierheim-Mitarbeiterin Jeanette Gudd. Auf etwa zehn Jahre schätzt sie das Alter des kleinen Terrier-Mischlings, dessen Fell stellenweise völlig verdreckt und verklumpt gewesen ist. Ob Ernie ausgesetzt oder verschenkt worden ist, das weiß sie nicht. „Wir kennen den Besitzer zwar, aber er geht nicht ans Telefon.“ Also werden sie den Hund wie so viele seiner Artgenossen geduldig und liebevoll aufpäppeln („wer weiß, was für Ergebnisse nach der Blutuntersuchung uns noch erwarten“), um dann ein neues Zuhause für ihn zu suchen.
Illegaler Welpenhandel beschäftigt auch Pfleger im Essener Tierheim
„Fast kein Hund kommt gesund bei uns an“, sagt Jeanette Gudd über das, was im Tierheim früher Ausnahme war und heute Alltag ist. Täglich wird sie mit den Schicksalen und den Folgen konfrontiert, wenn Halter sich Tiere unüberlegt anschaffen oder illegal mit Welpen aus dem Ausland gehandelt wird, wie zuletzt, als junge Hunde in Altendorf aus dem Kofferraum angeboten worden sind.
Die kleine Mijo stammt mit ihrer Schwester vermutlich auch aus dem Ausland, wäre damit ein weiterer Fall von illegalem Welpenhandel. Als Fundtier landete sie im Tierheim, winzig und gerade einmal vier Wochen alt, viel zu früh getrennt von der Mutter, sollte sie hier verkauft werden. Als die jungen Hündinnen krank wurden, wollte der Händler sie wegen drohender Kosten wohl schnell loswerden – lautet die Vermutung.
Geld spielt immer wieder eine Rolle: Ein Hund sei schnell gekauft, wenn er für ein paar Euro im Internet angeboten wird. Mögliche Tierarztkosten aber erreichten ebenso rasch vierstellige Summen. Eines von zahllosen Beispielen aus dem Essener Tierheim ist Dobermann Zwiebel, den Passanten angebunden in Altendorf gefunden haben.
Halter setzte kranken Dobermann in Essen aus, statt ihm zu helfen
Dem jungen Rüden ging es sehr schlecht, er erbrach so heftig, dass er sofort in die Klinik musste. Not-Operation, vier Tage Aufenthalt und tausende Euro Kosten waren das Ergebnis, weil Zwiebel einen Fremdkörper verschluckt hatte. Dass sein Halter ihn ausgesetzt hatte, statt ihm zu helfen, das macht alle im Tierheim fassungslos und betroffen.
Die Tierpfleger wissen oft nicht, ob die Besitzer die Kosten nicht tragen wollen oder nicht können. „Wir haben langsam den Kaffee auf hier“, sagt Jeanette Gudd deutlich. Bis zu sechs Anrufe gingen inzwischen Tag für Tag ein, weil jemand bittet, das Tierheim möge Tierarztkosten übernehmen. Die extrem gestiegenen Kosten im Alltag der Menschen merken die Mitarbeiter ganz massiv.
Wütend werden sie mitunter, wenn Halter sich ein Tier leichtfertig angeschafft haben und die Konsequenzen nicht bedacht haben. Traurig macht es sie, wenn jemand sich meldet, weil die Rente plötzlich nicht mehr reicht. „Das ist sehr bitter, wenn wir gerade älteren Menschen und ihren Tieren nicht helfen können“, sagt Jeanette Gudd. Zumindest finanziell geht das nicht, kämpft doch auch das Tierheim selbst mit wachsenden Kosten für die vielen kranken und vernachlässigten Tiere. Gleichzeitig bedeuten diese einen immensen Pflegeaufwand und viel Leid.
Manche Halter scheuen auch Kosten für das Einschläfern
Das Leiden des Schäferhund-Mischlings haben die Pfleger noch am gleichen Abend beenden müssen. Zu groß war sein Tumor bereits. Sie haben nichts mehr für ihn tun können, außer die eine Entscheidung zu treffen, ihn gehen zu lassen. Es gibt auch Tage, da müssen sie gleich drei Tiere einschläfern lassen. Das geht an niemandem spurlos vorbei.
Wenn Halter diese Kosten scheuten und sich drückten, sei das unfair. Sie sollten vielmehr an der Seite ihres Tieres sein. „Andernfalls bedeutet das für den Hund eine unbekannte Umgebung mit fremden Menschen“, sagt sie zu dem Augenblick, in dem die Pfleger diesen letzten Weg mit ihm gehen müssen. „Manchmal rennen wir danach raus, treten vor Steine oder weinen“, beschreibt Jeanette Gudd Wut und Trauer, die für sie inzwischen zum Alltag gehören.
Schöner sind die Momente, wenn sie sehen, wie ein Tier noch einmal aufblüht. Bei Bingo war das so, der mit knapp 16 Jahren ins Tierheim musste, als sein Herrchen ihn nicht mehr behalten konnte. Der Pudel-Mix hatte einen Herzfehler, einen Tumor und noch fünf Wochen zu leben. „Aber die hat er im Garten mit meinen Hündinnen genossen“, sagt Jeanette Gudd, die den alten Rüden mit nach Hause genommen hat, damit er nicht seine letzten Tage im Zwinger lebt und im Tierheim stirbt.
Artgerechte Haltung vermissen die Pfleger oft auch bei Exoten
Und hätte sie nicht schon vier Katzen, würde wohl auch Nathan bei ihr einziehen. Der schwarze Perserkater wartet derzeit mit kurz geschorenem Fell auf ein neues Zuhause und freut sich über jede Streicheleinheit. Gefunden wurde er an der Natorpstraße, verfilzt, völlig abgemagert, mit schlechten Zähnen und einem Loch in der Zunge, das sein schiefer Reißzahn verursacht hat. So elend sein Zustand sei, so traumhaft sei sein Charakter: „Er ist einfach nur lieb, Zucker“, schwärmt Jeanette Gudd.
Deutlich zurückhaltender und auch zickiger ist da seine Zwingernachbarin, ebenfalls ein Perser, ebenfalls schwarz und geschoren. „Ein Mädchen halt“, sagt die Pflegerin augenzwinkernd über die Katze, die aus Überruhr zu ihnen gebracht wurde und nun „die Helmut“ heißt: „Wir haben nicht erkannt, dass es eine Katze ist, weil auch ihr Fell voller Filzklumpen war.“ Das passiert, wenn Perserkatzen vernachlässigt und nicht täglich gebürstet würden.
Manchmal gibt es auch ein glückliches Ende und die Halter melden sich
Artgerechte Haltung vermissen die Pfleger oft auch bei Exoten. Bei Bartagame Smaug führte die dazu, dass seine Schuppen nicht richtig ausgebildet sind. „Zudem bekam er fast nur Grillen zu fressen, obwohl Bartagame vor allem Pflanzenfresser sind“, erklärt Jeanette Gudd. Manche unterschätzten zudem den Pflegeaufwand und die Kosten, die etwa durch Wärmelampen entstehen. Wer ein Tier zum Beobachten möchte, dem rät sie: „Kornnattern sind deutlich pflegeleichter.“ Werden Exoten wie Bartagame dann lästig, fliegen sie oft raus und haben draußen keine Chance zu überleben. Smaug aber wird durchkommen.
Katze Britta auch. „Die Halter haben sie abgeholt“, verkündet Jeanette Gudd eine gute Nachricht. Brittas Zustand sei vor allem altersbedingt, sie sei bereits zuvor in tierärztlicher Behandlung gewesen, haben die Pfleger erfahren. Und dass die Katze trotz ihres hohen Alters auf Freigang bestehe, daher wurde sie in einem Kupferdreher Waldstück gefunden. 20 Jahre alt soll Britta sein, um die Sarah Breckermann sich solche Sorgen gemacht hat. Nun weiß sie, dass Britta ein Zuhause hat – und manches tierische Schicksal ein gutes Ende.
Kontakt zum Tierheim, Grillostraße 24: 0201 – 83 72 35-0