Essen. Ob Mops, französische Bulldogge, Faltohrkatze oder Perser: Das Tierheim Essen beschreibt, was Qualzuchten für Hunde und Katzen bedeuten können.
Gismo wurde ausgesetzt, an eine Parkbank in Rüttenscheid angebunden und allein zurückgelassen. Im Tierheim stellte sich schnell heraus, dass der kleine Hund noch viel größere Probleme mitbringt. Die Nase ist zurückgezüchtet, die Maulhöhle viel zu eng, der Rücken zu lang für seine kurzen Beine. Der Shih Tzu ist ein Beispiel für das, was die Tierheimmitarbeiter Qualzucht nennen – auch Möpse, französische Bulldoggen, Faltohr- oder Perserkatzen litten mitunter extrem.
Die französische Bulldogge Luca (4) kam aus Hamburg nach Essen, wo die Halterin allerdings überfordert war. „Er macht an der Leine ein riesiges Theater“, beschreibt Tierheimleiterin Jeanette Gudd das Verhalten, des eigentlich netten Rüden. Immerhin sei er zumindest frei atmend. „Noch“, schränkt sie allerdings gleich ein. Denn im Alter könne sich das bei dieser Rasse ändern, wenn das Gaumensegel schlaff werde und die Tiere nicht richtig atmen könnten. Ist eine Operation erforderlich, landen die Kosten schnell im vierstelligen Bereich.
Mopshündin Prada kam zum Einschläfern ins Tierheim Essen
Tierarztkosten wiederum seien einer der Hauptgründe, warum die Tiere an der Grillostraße landeten: „Halter und Halterinnen können sich die medizinische Versorgung regelmäßig nicht mehr leisten.“ Zuletzt seien Tierarztkosten erheblich gestiegen. Das gilt zwar nicht nur für Qualzuchten, die aber bringen regelmäßig erhebliche gesundheitliche Einschränkungen mit. Wenn etwa der Kopf rund ist, die Nase kurz gezüchtet wird und die Augen hervortreten, wenn das Gaumensegel beim Atmen in den Kehlkopf gesogen wird – kann das viele Folgen haben.
Manche Hunde hätten oft von Geburt an Luftnot, an der sie ihr Leben lang litten. „Viele Tiere dieser Rassen müssen operiert werden“, sagt Jeanette Gudd aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Hunden und Katzen, denen die Nase so lange zurückgezüchtet worden sei, bis kaum etwas übrig geblieben sei. „Das ist immer extremer geworden“, sagt sie und verbindet das mit der dringenden Bitte, vor einer Anschaffung neben dem Herz auch den Verstand zu beteiligen.
Welpen sollten nicht im Internet oder bei Vermehrern gekauft werden. Der Weg zum Züchter könne jedoch nur dann helfen, wenn man genau hinschaue und sich zudem die Elterntiere ansehe. Denn manche Merkmale etwa beim Mops (platte Nase, fehlende Schnauze) seien gewünscht. Längst gebe es heftige Kritik und Vorstöße zum Zuchtverbot bei Möpsen – wie in den Niederlanden. „Dabei sind Qualzuchten an sich eigentlich verboten“, sagt die Leiterin fast verzweifelt, wenn sie auf Rassen wie Spitz, King Charles Spaniel oder Hunde wie Prada blickt. Durch die Korkenzieherform der Rute könnten beim Mops Wirbel gestaucht werden, was Bandscheibenvorfälle hervorrufen könne.
Viele Faltohrkatzen wurden im Tierheim Essen abgegeben
Bei Prada jedenfalls sind die Hinterbeine gelähmt. „Wir sollten sie einschläfern lassen“, erinnert sich Jeanette Gudd an die Abgabe, verbunden genau mit dieser Bitte. Doch Prada war viel zu lebensfroh, als dass sie dieser hätten folgen können. Der Mops steckt nun im Hunderollstuhl, bekommt Physiotherapie und ist vermittelt. „Als sie auszog, konnte sie schon allein stehen.“ Vielleicht wird Prada irgendwann ein paar Schritte gehen können, hoffen die Tierpfleger und Tierpflegerinnen, die sich in ihrem Alltag kümmern und Entscheidungen treffen müssen, wenn diese einfach auf sie abgewälzt werden.
Faltohrkatzen wie Milou, Hans oder Jaimie werden sie nicht helfen können, Medikamente werden ihnen und ihren Artgenossen die Schmerzen bestenfalls eine Zeit lang nehmen können. Viele Katzen dieser Rasse sind zuletzt im Tierheim gelandet, die Jeanette Gudd eine der schlimmsten Qualzuchten nennt. Damit ihre Ohren wie gewünscht abknickten, greife man in die Gene ein. „Es bildet sich kein Knorpel im Ohr, die Knorpel fehlen allerdings auch in übrigen Gelenken.“
Faltohrkatzen würden oftmals als ruhige Wohnungskatzen angeboten. Dabei ist es nicht selten so, dass sich ihr Gesundheitszustand derart verschlechtere, dass sie sich vor Schmerzen schon im Alter von drei oder vier Jahren kaum bewegen könnten. „Diese Katzen führen nie ein normales Leben, ihr Leid können wir nur lindern, so lange die Schmerzmittel anschlagen“, sagt Jeanette Gudd.
24 Perserkatzen landeten auf einen Schlag im Essener Tierheim
Während die Faltohrkatzen nun fast alle ein neues Zuhause gefunden haben, warten viele Perser darauf. Manche sind noch stark unterernährt, inzwischen aber geschoren, gebadet, einige auch operiert, weil ihre Augen so gezüchtet wurden, dass die Wimpern an der Hornhaut kratzten. Als sie ankamen, wogen einzelne gerade einmal ein Kilogramm, obwohl Perser sonst drei bis fünf auf die Waage bringen. Sie waren verfilzt, voller Kot und hatten eitrige Ohren. Ihre Maulhöhlen sind so klein, dass sie kaum fressen können. Das sei der Preis für ein rundes Gesicht, für das gewünschte Kindchenschema.
Es sei eine Züchterin gewesen, die von „Katzen ihres verstorbenen Bruders“ sprach. Die Pfleger wurden hellhörig, informierten das Veterinäramt. Schließlich brachte die Essenerin erst zehn, dann nochmals 13 Perserkatzen. Zwei Wochen später fand sich eine weitere, da war im Tierheim bereits eine gestorben. Tierpfleger haben die Katzen schließlich drei Tage lang geschoren, gebadet und verarztet. Nach und nach können die nun noch struppigen Perser ausziehen.
Der kleine Gismo aus dem Essener Tierheim hat ein Zuhause gefunden
Auf Interessenten warten Lona und Hoppe (beide ca. vier Jahre alt) ebenfalls. Die beiden französischen Bulldoggen kamen ins Tierheim, als ihr Besitzer seine Wohnung verloren hatte. Rappeldürr seien sie gewesen, hätten Ohren voller Polypen und die gleichen Augenprobleme wie die Perserkatzen, weil sich ihre Lider rollen. Nun sind auch sie bereits operiert, atmen (noch) relativ frei.
Ihre Fellfarbe jedoch bringt weitere gesundheitliche Risiken mit sich. Damit die Hündinnen isabell- und grau-blau-farben auf die Welt kommen, wurden auch ihre Gene verändert. Dadurch aber neigen sie zu Allergien, extremem Juckreiz, Fellverlust und mancher Unverträglichkeit, etwa bei Medikamenten. Derzeit jedoch sind sie selbst in ihrem Zwinger im Tierheim vor allem fröhlich und gut gelaunt, wenn jemand diesen betritt. Ausziehen möchten sie gemeinsam, denn sie hängen sehr aneinander, beschreibt Jeanette Gudd.
Sie selbst ist zuletzt schwach geworden – wieder einmal. Bei ihr zu Hause ist kürzlich Hund Nummer fünf eingezogen. Zuvor hatte sich der kleine ausgesetzte Gismo vor allem ins Herz ihres Partners geschlichen. Wie alt der Shih Tzu ist, das wissen sie nicht. Vielleicht wird er wegen seiner gesundheitlichen Probleme auch gar nicht mehr lange leben. „Es könnten nur noch ein paar Wochen sein“, sagt die Leiterin, während Gismo um ihre Beine wuselt und sie auf ein paar Jahre hofft.
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