Essen. Traumjob und harte Arbeit: Zwei Auszubildende aus dem Tierheim Essen berichten – von Leid und Freude, von anstrengenden und spannenden Einsätzen.
Ihre Arbeit ist hart und Traumjob zugleich: Lynn Grevesmühl putzt Gehege, füttert Kaninchen und Vögel, versorgt kranke Hunde und vernachlässigte Katzen. Dabei wusste die 24-Jährige lange Zeit gar nicht, dass das Tierheim feste Arbeitsplätze bietet. Jetzt ist sie Auszubildende und hat gute Chancen übernommen zu werden. Denn das Team an der Grillostraße wiederum muss dem Fachkräftemangel entgegenwirken, der viele Tierheime trifft. Mit einem Irrglauben mancher Bewerber und Bewerberinnen möchten sie jedoch aufräumen.
„Der Job im Tierheim bedeutet nicht, Katzen zu streicheln“, sagt Leiterin Jeanette Gudd deutlich. Mit den romantischen Vorstellungen mancher, habe der Alltag wenig gemein, zumal immer mehr Hunde, Katzen und Kleintiere verwahrlost oder schwer krank abgegeben oder ausgesetzt würden. „Das wird noch schlimmer“, fürchtet sie, da in der wirtschaftlichen Lage die finanziellen Sorgen vieler Halter und Halterinnen größer werden, Tierarztkosten zudem kürzlich gestiegen sind.
Auch Tierheime in Gelsenkirchen, Herne und Duisburg suchen Tierpfleger
Umso mehr werden Tierpfleger und Tierpflegerinnen benötigt – nicht nur im Essener Tierheim. „Auch in Gelsenkirchen, Herne oder Duisburg“, weiß Jeanette Gudd. Die Suche nach einer Fachkraft für den Hundebereich verlief an der Grillostraße zuletzt erfolglos. Daher lautet die Strategie: bis zu vier Auszubildende je Lehrjahr. Das Ziel: diese nach Abschluss einzustellen. Sie zu finden, das sei nicht immer einfach. So mancher gibt bereits beim Probearbeiten auf, da er allein den Anblick eines Hundes im Zwinger nicht erträgt. Für dieses Lehrjahr sieht es besser aus, Jeanette Gudd führt noch Gespräche. Dann steht für einige noch die Testphase an.
Lynn Grevesmühl ist inzwischen im zweiten Lehrjahr, fängt ihren Arbeitsalltag morgens mit der Frühbesprechung im Team um acht Uhr an, bevor sie im Kleintierhaus die Einstreu wechselt, Näpfe reinigt und Frischfutter wie Möhren oder Salat schneidet. Dabei gilt: „Wir sollten jedes Tier mindestens einmal am Tag gesehen haben“. Gar nicht so einfach bei den 20 Mäusen, die alle klein, weiß und zudem wuselig sind.
Die Tierpfleger-Ausbildung
Derzeit gibt es acht Auszubildende im Essener Tierheim, die Stationen wie Hunde-, Katzen und Kleintierabteilung sowie Büro und Arztzimmer durchlaufen. Zudem fahren sie mit, wenn Nachkontrollen anstehen oder Tiere sichergestellt werden müssen. Eine Ausbilderin kümmert sich um die acht Azubis, die auch zum IHK-Prüfungsausschuss zählt.
Auszubildende zum Tierpfleger haben eine 40-Stunden-Woche, abwechselnd sind sie 48 oder 32 Stunden im Einsatz. Sie arbeiten auch an jeden zweiten Wochenende, es sind samstags sechs Stunden, sonntags drei.
Nach zwei Wochen im Tierheim schließt sich je eine Woche an der Berufsschule an. Dort gibt es Blockunterricht und Fächer wie Haltung und Pflege, Pflanzenbestimmung, Zucht und Erziehung, Mathe, Deutsch, Wirtschaft und Organisationslehre.
Die Bezahlung liegt im ersten Lehrjahr bei 800 Euro brutto, im dritten sind es 1000 Euro. Dazu kommen 100 Euro Fahrtkostenpauschale. Ein Tierpfleger im Tierheim Essen verdient 2300 Euro brutto.
Ihre Lieblinge sind derzeit 50 Ratten. Die Tiere seien in einem erbärmlichen Zustand gekommen, viele hätten Bissverletzungen gehabt, einige hätten eingeschläfert werden müssen. Ihren Artgenossen verabreicht sie weiterhin Antibiotikum über das Trinkwasser. „Von Tag zu Tag geht es ihnen besser“, berichtet die Auszubildende von den beiden Seiten im Tierheim, von Leid und Freude und der praktischen Arbeit, die ihr in ihrem Biologiestudium gefehlt habe.
Tierarztbesuche finden dank der angestellten Veterinärin im Tierheim Essen selbst statt
Hunde, Katzen, Kaninchen, Vögel, Meerschweinchen, Pferde gehörten früh zu ihrem Leben, kommt Lynn Grevesmühl doch aus einer ländlichen Gegend in Schleswig-Holstein. Nach dem Abitur hat sie sich bei einem Affenschutzprojekt in Südafrika eingesetzt, wollte gern Tierärztin werden, „das wurde mit der Abinote knapp“. Sie schrieb sich für Biologie ein und brach das Studium nach drei Semestern schließlich ab. Auf einem Tierschutzhof in Bochum half sie ehrenamtlich, ahnte nicht, dass in Tierheimen auch Hauptamtliche arbeiten.
Ihr Kollege Maximilian Groß-Isselmann kam ebenfalls über Umwege an die Grillostraße. Der 26-Jährige absolvierte nach dem Fachabi seinen Bundesfreiwilligendienst in der Suchthilfe und hegte den Plan, Soziale Arbeit zu studieren, scheiterte aber am NC. Er jobbte in der Eventbranche, studierte Energietechnik und entschied sich dann für die Ausbildung zum Tierpfleger. Weil er Tierfreund ist, selbst Katzen hatte - und „beruflich etwas zu tun wollte, das mich erfüllt“.
Überrascht hat ihn nicht das viele Putzen der Räume und Waschen der Decken („ich wusste, dass Hygiene einen großen Stellenwert hat“), sondern, dass die Tierarztbesuche dank der angestellten Veterinärin im Haus stattfinden. Ansonsten ist das Säubern der Katzenklos etwas, das er nicht gern macht. Weil es unhandlich ist, nicht, weil er es als unangenehm empfindet.
Die Auszubildenden im Tierheim Essen haben selbst Lieblingstiere
Maximilian Groß-Isselmann freut sich jedes Mal, wenn er seine derzeitige Station betritt, ein Katzenzimmer öffnet und die Tiere ihn begrüßen. Ja, es gebe auch die Phasen, wenn es mal nicht ganz so voll ist, in denen er sich mit einer Katze beschäftigen könne. Gleichwohl gibt es immer etwas zu tun: „Irgendwas muss immer aufgeräumt oder gereinigt werden“. Was es für die Auszubildenden auch stets gibt: ein Lieblingstier. Für den 26-Jährigen ist das derzeit Dobermann Sher, der ihm manchmal vor Freude ein Shirt zerreißt, der gleichzeitig sehr sanft, aber auch frustriert reagieren könne.
Der Auszubildende muss daher wachsam sein, um gefährliche Situationen zu vermeiden. Schließlich wisse oftmals niemand, was jedes einzelne Tier bislang erlebt und welche Erfahrungen es gemacht habe. Überhaupt bedeute die Arbeit im Tierheim, auf das zu reagieren, was gerade erforderlich ist. „Wenn das Licht angeht, kann alles passiert sein.“ Die Katze kann sich die frische OP-Wunde aufgekratzt haben, ein Hund kann vor der Tür angebunden worden sein, die Ratten können sich erneut gestritten haben. „Es bleibt eine körperlich belastende Arbeit – psychisch auch“, sagt Maximilian Groß-Isselmann ehrlich.
Es gibt Momente im Tierheim Essen, in denen die ganze Abteilung weint
Dazu gehören unvergessene Ereignisse, wie der Spaziergang mit dem schwerkranken Rüden, der kaum noch Fell und einen riesigen Tumor hatte. „Ich führte ihn seine letzte Runde Gassi, bevor wir ihn haben erlösen lassen“, sagt Lynn Grevesmühl immer noch traurig. „Wenn das niemand anders machen möchte, sind wir da.“ Und manchmal weint die ganze Abteilung, weil ein Tier gestorben ist.
„Das sind die Momente, in denen wir stark sein müssen“, sagt die Auszubildende. Aber daran gewöhne man sich eben nicht, gesteht sie und zweifelt dennoch keine Sekunde daran, dass das ihr Traumjob bleibt. Denn sie kennt die Augenblicke, in denen ängstliche Hunde Vertrauen gewinnen, schwer kranke Katzen gesund werden, Langzeitinsassen endlich ausziehen – oder die Auszubildenden sich sofort verlieben.
So passierte es Lynn Grevesmühl, als ein kleiner Welpe sie morgens aus dem Zwinger anguckte. Die Polizei hatte ihn sichergestellt, als er im Kofferraum eines Autos mit ausländischem Kennzeichen saß. Aus dem Fall von illegalem Welpenhandel wurde „Ravioli“, der jetzt bei ihr und ihrem Podenco-Mischling lebt. Für alle anderen Tierheimbewohner freut sie sich mit, wenn diese ebenfalls ein neues Zuhause finden. Bis dahin kümmert sie sich: „Wir machen das, weil es sich lohnt. Für jedes einzelne Tier.“