Essen. Kaputte Haustüren, Berge von Sperrmüll, Ratten: Im Essener Ostviertel hat sich ein Wohnbereich in ein Problemquartier verwandelt. Ein Ortsbesuch.
An einigen Tagen bietet das Häuserdreieck im Essener Ostviertel ein verstörendes Bild: Dann türmen sich Müllberge auf dem großen Hinterhof und Sperrmüll liegt herum. Die Häuser an der Frillendorfer Straße und zur Vorrathstraße hin sind heruntergekommen.
Schrottimmobilien, die vom Niedergang eines ehedem intakten Arbeiterquartiers erzählen und zugleich von der Ohnmacht der Behörden, Eigentümer und Hausverwaltungen. „Ein Teufelskreis“, klagt Mike Zabel vom gleichnamigen Immobilienservice.
Demolierte Haustür: Frillendorfer Straße 48 kann rund um die Uhr betreten werden

Beim Ortstermin an diesem Oktobermorgen hält sich die Vermüllung in Grenzen. „Harmlos, heute geht’s noch“, sagt Hausmeister Ralf Schenk, der hier seit 2005 tätig ist und vom Abstieg des Wohnblocks ein Buch schreiben könnte.
Schon beim Betreten des Hauses Frillendorfer Straße 48 fällt auf, dass hier etwas nicht stimmt. Weil nur noch die halbe Haustür in den Angeln hängt, können Bewohner und Besucher das Problemhaus mühelos betreten. Und das rund um die Uhr. Zwar gibt es ein Klingelschild mit lauter Namen drauf, doch das Anklingeln würde nichts bringen, denn der elektrische Türöffner ist schon lange mutwillig abgerissen worden. Diese Probleme gibt es nicht erst seit gestern, sie bestehen schon seit Monaten.
Folgt man der Darstellung der Hausverwaltung, werden die Problemhäuser größtenteils von Armutszuwanderern aus dem EU-Land Rumänien bewohnt, die, so nimmt man an, häufig miteinander verwandt seien. Es seien kinderreiche Familien, wobei ein Teil der Kinder weiterhin in der Heimat lebe. In der Regel bezögen sie Leistungen vom Sozialamt.
In den Problemhäusern leben überwiegend Armutszuwanderer aus Rumänien


„Mittlerweile fühlen sich die Bewohner sehr wohl dort und kümmern sich nicht um deutsche Standards“, schreibt die Hausverwaltung. Und ergänzt: „Haustüren werden in der Regel so demoliert, dass möglichst sämtliche Familienmitglieder 24 Stunden am Tag Zutritt haben. Gleiches gilt auch für die Wohnungstüren, die offen stehen.“
Ursprünglich befanden sich die zwischen 1930 und 1950 errichteten Häuser im Besitz eines Ruhrkonzerns. Auch Bergleute wohnten einst hier, in den Jahren 2004 und 2005 kam es jedoch zu einer folgenschweren Zäsur: Die Werkswohnungen wurden in Eigentumswohnungen verwandelt – der langsame Abstieg nahm seinen Lauf. „Als ich hier anfing, waren die Sandkästen noch sauber und die Anlagen gepflegt“, erinnert sich Hausmeister Schenk. Doch nach und nach seien Mieter, die mitunter schon 40 Jahre und länger hier gewohnt hatten, fortgezogen. Von den ursprünglichen Mietern seien nur noch drei Einheimische übriggeblieben, darunter zwei ältere Damen.
Der Hausmeister bleibt an den demolierten Parkbänken stehen und sagt über die fehlenden Sitzbohlen: „Die sind schon vor Jahren beim Grillen verfeuert worden.“ Dass nahezu alle Kellerfenster weit offen stehen, sei ebenfalls die Regel. „Da fliegt der Müll dann einfacher rein.“
„Seit Monaten gehen dem Ordnungsamt immer wieder Beschwerden zu“

Alte Teppiche liegen im Hof und kaputtes Kinderspielzeug, immer wieder Sperrmüll, zerlegtes Mobiliar, ausrangierte Kühlschränke, Waschmaschinen und Rattenköder. Weil im Keller anscheinend kein Platz mehr ist, steht ein Wäschetrockner draußen auf dem Weg. Trotzdem ist er in Betrieb: Rote Lampen blinken, gerade läuft ein Trocknungsprogramm. Als der Hausmeister einen kaputten Kinderwagen sieht, verdreht er die Augen und sagt: „Ich weiß nicht mehr, wie viele wir davon schon entsorgt haben, aber 40 bis 50 waren es bestimmt.“
Im Rathaus sind die gravierenden Probleme von diesem Teil der Frillendorfer Straße hinlänglich bekannt. Der Redaktion liegt ein Schreiben des Ordnungsamtes vom 31. Januar 2023 vor, in dem es heißt: „Seit Monaten gehen dem Ordnungsamt immer wieder Beschwerden zu.“ Die Eigentümergemeinschaften der Häuser Frillendorfer Straße 48, 50, 56 sowie Vorrathstraße 27 werden unter Androhung einer Ordnungsverfügung aufgefordert, die Vermüllung „unverzüglich“ zu stoppen.
Um zu verdeutlichen, wie dramatisch die Zustände damals waren, zückt einer der Hausmeister sein Handy und lässt ein ekelerregendes Video abspielen. Es zeigt Männer, die mit einem Rechen in dem Müllberg herumstochern. Als sie eine Holztafel wegziehen, gibt es einen lauten Aufschrei: Denn ein enormes Rattennest mit Dutzenden Nagetieren kommt zum Vorschein.
Beseitigung des Mega-Müllbergs kostet knapp 10.000 Euro
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Wie aufwendig und kostspielig die Beseitigung des Müllbergs war, geht aus der Rechnung hervor, die Hausverwalter Mike Zabel präsentiert. Knapp 10.000 Euro hat das Großreinemachen gekostet. Die Kosten waren so hoch, weil allein 146 Arbeitsstunden anfielen, und knapp 3000 Euro an Containerkosten.
Zur ständigen Vermüllung kommt ein weiteres Problem hinzu: der Vandalismus. Es sei keine Seltenheit, dass Toilettenschüsseln zerdeppert und Armaturen abgerissen würden. An Türen fehlten die Drückergarnituren und in den Zimmern die Lichtschalter. Mehrere Fenster zum Innenhof hin sind schon seit Monaten entglast. Aktuell stünden mehrere Mietparteien ohne Heizung da, weil ein Mieter in seiner Wohnung das Heizungsrohr demoliert und obendrein einen Wasserschaden verursacht hat. Von dem Mann fehle jede Spur.
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Mitten in diesem Elend gibt es auch positive Überraschungen. Während sich draußen vor der Tür der Müll türmt, machten etliche Wohnungen einen gepflegten Eindruck, berichtet Mike Zabel.
Unterm Strich sprechen die Leute von der Hausverwaltung von einem zermürbenden Kampf gegen Windmühlen. „Am Grundproblem ändert sich gar nichts, weil die Mieter ihr Verhalten nicht ändern“, sagt Hausmeister Bernd Zimmermann. Ordnungsverfügungen verfehlten meistens ihre Wirkung und den Hausverwaltern seien die Hände gebunden. Zimmermann deutet auf seine Ohren, zuckt die Achseln und sagt: „Unsere Appelle an die Mieter gehen hier rein und dort wieder raus.“
Bauaufsicht der Stadt Essen droht Ordnungsverfügung an
Auf die Eigentümergemeinschaften kommen immer wieder Rechnungen zu für unvorhersehbare Reparaturen und Ausbesserungsarbeiten. Mietausfälle seien an der Tagesordnung, ebenso Zahlungsklagen gegen säumige Mieter. So mancher Eigentümer hat sich verschuldet, um die Wohnung zu finanzieren. Problemmieter rauszuwerfen bedeutet Leerstand und den Verlust der Mieteinnahmen. Mietzahlungen vom Jobcenter gelten deshalb als sichere Bank und Problemmieter als kleineres Übel.
Per Ordnungsverfügung vom 6. Januar 2023 hat die Bauaufsicht der Stadt Essen der Eigentümergemeinschaft des Problemhauses Frillendorfer Straße 48 aufgegeben, gravierende Mängel abzustellen. So sollte in einer Wohnung im ersten Obergeschoss eine „dichtschließende Tür“ eingebaut, und ein Loch im Treppenpodest verschlossen werden.
Die Haustür war schon öfter repariert worden – ohne nachhaltigen Erfolg. Der Hausmeister sagt, dass Handwerker eine Platte in die Haustür gesetzt hatten, um den Eingang wieder dicht zu machen. „Aber die war nur 15 Minuten drin, da hatte jemand sie wieder rausgerissen.“