Essen. Problemhaus in Altenessen ist nach Razzia für unbewohnbar erklärt worden. Polizei ermittelt wegen Verdachts des massiven Sozialleistungsbetruges.
Es ist erst wenige Tage her, da sorgte die Schrottimmobilie Karlstraße 191/Ecke Heßlerstraße mit ihrer wilden Müllkippe auf dem Bürgersteig für Schlagzeilen. Bei einer gemeinsamen Razzia von Polizei und Stadt ging’s in dem Altenessener Problemhaus jetzt schon wieder rund. Ergebnis: Die Stadt macht die Schrottimmobilie dicht und die Polizei durchsuchte im Erdgeschoss eine Bau- und Gebäudeservicefirma. Dem 43 Jahre alten Inhaber wird massiver Sozialleistungsbetrug vorgeworfen. Er soll das Jobcenter Essen um einen mittleren sechsstelligen Euro-Betrag geschädigt haben, heißt es in einer Erklärung von Staatsanwaltschaft, Polizei und Stadt.
Es ist kurz vor neun, als die Wagen von Polizei und Stadtverwaltung am Donnerstagmorgen in die Karlstraße einbiegen. Diensthundeführer sind im Einsatz, uniformierte Polizisten und Zivilbeamte der Abteilung Wirtschaftskriminalität. Ein Mann vom Schlüsseldienst öffnet ihnen das Ladenlokal, aber den Inhaber suchen sie dort vergeblich. Zur selben Zeit vollstrecken Beamte einen weiteren Durchsuchungsbeschluss in seiner Frintroper Privatwohnung. Auch dort: Fehlanzeige.
Razzia in Essener Schrottimmobilie
In der Bruchbude ist Gefahr im Verzug
Ali A., einem Deutschtürken, soll nicht nur die Baufirma gehören, sondern auch die gesamte Schrottimmobilie mit insgesamt fünf Mietwohnungen. Im Grundbuch, so heißt es, seien allerdings seine Ehefrau und die minderjährigen Kinder eingetragen.
Schon nach kurzer Zeit steht für die Beamten der Bauaufsicht fest, dass in dieser Bruchbude, die ausschließlich von rumänischen Armutszuwanderern bewohnt wird, Gefahr im Verzug ist. „Allein die elektrischen Anlagen sind in einem haarsträubenden Zustand“, sagt ein Kontrolleur. Die Brandgefahr sei akut. Um kurz vor zehn meldet Stadtsprecherin Silke Lenz Vollzug: „Das Haus ist für unbewohnbar erklärt worden, die Wohnungen werden geschlossen.“
650 Euro – Wucherpreis für ein Loch
Von 33 gemeldeten Personen treffen die Inspektoren des Einwohneramtes 31 in ihren Wohnungen an. Einer von ihnen ist Mihaita P., der mit seiner Frau Elena und den drei kleinen Kindern eine heruntergekommene kleine Wohnung bewohnt. „Ich zahle dafür 650 Euro an den Türken“, berichtet er. Für ein Loch wie dieses ein Wucherpreis.
Essen sei nicht seine erste Station im EU-Ausland, erzählt der 25-Jährige, der sich selbst „Tigan“, „Zigeuner“, nennt. „Wir waren vorher vier Jahre in Valencia.“ Ins Ruhrgebiet sei er gekommen, um zu arbeiten, mittwochs und samstags verteile er jetzt Zeitungen.
Inspektorin: "Dieses Elend hier macht mich fassungslos"
Einigen städtischen Mitarbeitern geht die Kontrollaktion ziemlich nah. „Ich habe schon viel gesehen, aber dieses Elend hier macht mich fassungslos“, gesteht eine Inspektorin. Und fügt hinzu: „Die Leute können einem irgendwie Leid tun.“
Bei den Anwohnern gegenüber hält sich das Mitleid hingegen arg in Grenzen. „Ein Schandfleck ist das“, sagt eine Altenessenerin. Sie erzählt, dass eine alteingesessene Geschäftsfrau neuerdings einen Wachhund ins Ladenlokal setze. „Als die polnischen Nutten noch in dem Haus lebten, war wenigstens Ruhe“, fügt eine andere hinzu.
Wie die Sozialbetrugsmasche funktioniert
Die Schrottimmobilie und das Quartier: Frustrierte Anwohner berichten von Müllbergen auf dem Gehweg. Und von den bald 50 Matratzen, die dort gelegen hätten. Auch an den denkwürdigen Vorfall mit den offenbar gestohlenen Fahrrädern erinnern sie sich ungern. Eines Tages habe die Polizei gut 100 Stück im Keller sichergestellt. Die Angst bestohlen zu werden, sei allgegenwärtig.
Das ständige Kommen und Gehen ist typisch für Schrottimmobilien – und im Fall Karlstraße 191 sogar amtlich. „Allein in den letzten vier Jahren hat es 300 An- und Abmeldungen gegeben“, so die Stadtsprecherin. Ein klares Indiz dafür, dass das Haus Armutszuwanderer vom Balkan als Anlaufstelle und Drehscheibe diene.
Der mutmaßliche Sozialbetrug des Deutschtürken soll schon seit Jahren recht einfach funktioniert haben. Rumänen habe er einzeln oder mit Familie vorübergehend nach Essen geholt und sie dann als Minijobber in seiner Firma für Haus- und Gebäudeservice angestellt. Angeblich habe seine Firma sogar eigene Leute auf den Balkan geschickt, um dort gezielt billige Arbeitskräfte anzuwerben. „Zur Aufstockung des geringen Einkommens erhielten die angeblichen Mitarbeiter Geld vom Jobcenter“, erklären Polizei und Staatsanwaltschaft. Auch wenn seine „Angestellten“ Sozialhilfe beantragen mussten, habe der Beschuldigte geholfen. Obwohl die Minijobs schon nach wenigen Wochen endeten und die Rumänen längst wieder zurück in der Heimat waren, soll Ali A. oft noch monatelang weiter Sozialleistungen kassiert haben.
Während der Razzia fährt plötzlich ein silbernes Mercedes-Coupé vor. Der Beschuldigte? „Nein, ich bin sein Neffe“, sagt der Mann. Er telefoniert auf Türkisch, fährt dann weg. Kripobeamte schleppen derweil Kartons mit beschlagnahmter EDV und Dokumenten aus dem Büro. Und die Bewohner räumen mürrisch ihre Zimmer. Tragen Bettzeug, Decken, Porzellan, Fernseher, Möbel und andere Habseligkeiten hinaus. Zwei Sprinter sind in Windeseile beladen. Ein Teil der Bewohner soll in die leerstehende Flüchtlingsunterkunft Barkhovenallee gebracht werden – vorausgesetzt, sie nehmen das Angebot an.