Essen. Müssen Pflegefachkräfte Betten machen und Blumen gießen? Nein, sagt ein Essener Heimbetreiber und baut seine Personal-Teams um. Das ist geplant.

In den Seniorenheimen der GSE startet in diesen Tagen eine Revolution: Das Personal soll neu bemessen, Mitarbeiter anders eingesetzt, Teams gemischter aufgestellt werden. „Blumen gießen, Betten beziehen, mit den Bewohnern einen Obstsalat machen“ – solche Aufgaben müssten nicht von examinierten Pflegekräften übernommen werden, sagt der GSE-Geschäftsführer Stefan Diederichs (50). In Zeiten des Fachkräftemangels seien neue Wege gefragt.

Fachkräfte sollen entlastet werden

Die GSE beschreitet diese Wege nicht allein: Fußend auf der „Rothgang-Studie“ hat das Land NRW im Juli 2023 ein neues Personalbemessungsverfahren eingeführt. Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Uni Bremen, hatte mit einer Forschungsgruppe den Pflegealltag in Seniorenheimen begleitet und ausgewertet. Ein Ergebnis: Die Pflege habe kein Ausbildungsproblem, sondern ein Problem, Leute zu halten. Die Forscher regten daher an, die Organisationsstruktur zu ändern, mehr Teamarbeit zu ermöglichen und klarere Rollenprofile zu erstellen.

„Im Fokus steht dabei die Frage, ob eine Fachkraft wirklich alles machen muss“, sagt Katja Seel, die bei der GSE die Abteilung „Stationäre Pflege“ leitet. Sinnvoller könne es sein, sie „kompetenzbasiert“ einzusetzen, also nach ihrer Qualifikation. Aufgaben wie Wundversorgung, Spritzen- und Medikamentengabe blieben selbstverständlich Fachkräften vorbehalten, die leichte Behandlungspflege dürften indes auch andere Kräfte übernehmen.

Sparmodell oder Zukunftschance?

Schon vor zweieinhalb Jahren hat der Gesetzgeber solche Stellen geschaffen: Zusätzliche 20.000 Pflegehilfskräfte schrieb er ins Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz, finanziert durch die Pflegeversicherung. Die Einrichtungen konnten Stellen beantragen, die nicht auf den regulären Personalschlüssel angerechnet wurden.

Sozialträger mit 1300 Beschäftigten

Die GSE gGmbH ist ein großer Anbieter sozialer Dienste im gesamten Essener Stadtgebiet: Dazu zählen Behindertenwerkstätten, Pflegeeinrichtungen für Senioren, betreutes Seniorenwohnen, Wohnheime und betreutes Wohnen für geistig und psychisch behinderte Menschen und Wohnangebote für Wohnungslose.

Mit gut 1300 Mitarbeitern betreut die GSE derzeit rund 1800 behinderte Werkstattmitarbeiter sowie etwa 1200 Bewohner in Pflegeheimen.

Gesellschafter der GSE sind die Stadt Essen sowie Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakoniewerk, DRK und der Paritätische.

Stefan Diederichs übernahm im Mai 2023 den GSE-Geschäftsführerposten. Der 50-jährige Katholik hat eine kaufmännische Ausbildung, ist studierter Sozialpädagoge war bei verschiedenen Trägern für den Pflegebereich zuständig, leitete Einrichtungen. Zuletzt hat Diederichs als Prokurist beim Caritasverband Rhein-Erft gearbeitet.

Im Juli dieses Jahres verabschiedete sich NRW mit der neuen Personalbemessung dann auch von der verpflichtenden 50-Prozent-Fachkraft-Quote. Kritiker fürchten ein Sparmodell, das zu sehr auf Hilfskräfte setze und die Pflege beschädige. Katja Seel aber spricht von einer großen Chance, „nach 40 Jahren die Strukturen in der Pflege zu ändern und individuell zuzuschneiden“. Je nach Anforderung könne die Zahl der Fachkräfte in einigen Bereichen sogar höher liegen.

Noch brennen viele aus, weil sie überlastet sind

„Wir bilden auch Pflegefachassistenten aus, teils ohne Vorerfahrung“, so Seel. Ein Jahr dauert das; über eine Externenprüfung können sogar Kandidaten den Abschluss erwerben, die keinen regulären Bildungsgang gemacht haben, sondern lediglich angelernt wurden.

Die fertigen Assistenzkräfte können an der Grundversorgung beteiligt werden. Das kann auch denjenigen einen Weg in den Job ebnen, die an der dreijährigen Ausbildung zur Pflegefachkraft scheitern. Idealtypisch sollen sie die examinierten Kräfte von unbeliebteren Aufgaben entlastet werden. „Denn die Fachkräfte brennen oft aus, weil sie alles und jedes machen müssen.“

Bewohner sollen jederzeit einen Ansprechpartner haben

Wie die multiprofessionellen Teams zusammengesetzt sein müssen, will sich die GSE jetzt in Ruhe ansehen. Aktuell sind dort 650 Mitarbeiter in der Pflege beschäftigt. Sieben vollstationäre und eine teilstationäre Pflegeeinrichtung gibt es, für die nun das Basiskonzept individuell zugeschnitten werden soll, erklärt GSE-Geschäftsführer Diederichs. Ein bis anderthalb Jahre kalkuliere man für den Umgestaltungsprozess. Den Personalmehrbedarf habe man bereits verhandelt.

„Wir bauen zum Beispiel einen hauswirtschaftlichen Präsenz-Dienst auf, so dass die Bewohner immer einen Ansprechpartner haben, der vor Ort ist“, erklärt Diederichs. Aufgaben wie Blumengießen könnte dieser Dienst übernehmen.

Viele Mitarbeiter flüchten sich in die Teilzeit

Nicht für jeden klingen solche Ansätze überzeugend. So hat die Pflegekammer NRW jetzt gefordert, „übergangsweise“ an der 50-Prozent-Fachkraft-Quote festzuhalten; Rothgangs Studienergebnisse ließen sich nicht eins zu eins auf die Praxis übertragen. Die im Juli eingeführte neue Personalbemessung müsse als „ein möglicher Anreiz zum Abbau von Pflegefachpersonal angesehen werden“.

Auch unter den GSE-Pflegekräften fragen manche nun, ob sie morgen noch gebraucht werden. „Wir werden immer Fachkräfte brauchen“, versichert Katja Seel. Aktuell müsse man den Verlust von jährlich 25 bis 30 Vollzeitkräften ausgleichen, etwa weil Mitarbeiter in Elternzeit geben oder ihre Arbeitszeit reduzieren. Mit dem neuen Konzept könnte es womöglich weniger Teilzeitwünsche geben, weil die Arbeitszufriedenheit zunimmt.

Von der Pflegekraft zur Seniorenheimleitung

So sollen Mitarbeiter dann schon im Januar wissen, wie sie im Dezember arbeiten. Dienstpläne sollen verlässlicher sein und Verwaltungsaufgaben von Führungskräften besser berücksichtigen. „Wenn man Beruf und Familien besser vereinbaren kann, wird der Job attraktiver“, glaubt Seel. Schon jetzt werde der Sportkurs im Dienstplan berücksichtigt, biete sie Alleinerziehenden besondere Arbeitszeiten an. 2024 eröffnet bei der GSE eine von der Stadt betriebene Kita, die um 6.30 Uhr startet; man habe schon Plätze für Mitarbeiterkinder geblockt.

Die oft kritisierte Bezahlung sei übrigens nicht so schlecht, die seien Aufstiegschancen gut, ergänzt Diederichs: „Viele gehen über Wohnbereichsleitung, Pflegedienstleitung und Einrichtungsleitung weiter zu übergeordneten Aufgaben.“ So sei auch ihr Weg gewesen, bestätigt Katja Seel. „Mancher in Leitungsfunktion hat vor Jahrzehnten schon die Ausbildung bei der GSE gemacht.“

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