Essen. Wer möchte schon 12 Tage aufs Wochenende warten? Viele Pflegekräfte müssen das. In Essen testet ein Träger jetzt ein völlig neues Arbeitsmodell.

Wenn in ihrem Familien- und Freundeskreis ein runder Geburtstag ansteht oder eine Hochzeitsfeier, schreibt Andrea Klostermann das in ein Wunschbuch an ihrem Arbeitsplatz: „Diesen Samstag im Sommer und jenen Sonntag im Herbst hätte ich gern frei.“ Denn ein dienstfreies Wochenende ist für die Altenpflegerin keine Selbstverständlichkeit. Mit einem neuen Arbeitszeitmodell will ihr Arbeitgeber der 56-Jährigen und ihren Kollegen nun zumindest mehr freie Tage im Monat einräumen.

Zwölf Tage arbeiten – erst dann ist Wochenende

Andrea Klostermann arbeitet in der ambulanten Pflege im Pflegezentrum Borbeck, wo der Träger CSE (gemeinsame Gesellschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen) erstmals testet, ob sich die oft als belastend empfundenen Schichten nicht besser organisieren lassen.

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Pflege ist eine Dienstleistung, die weder in Randzeiten noch am Wochenende ruhen kann. Darum haben die Mitarbeiter bei der CSE – wie bei anderen Trägern auch – eine Sechs-Tage-Woche. „Bisher arbeiten sie zwölf Tage am Stück und haben dann ein freies Wochenende“, erklärt Marcus Reuß, der das Pflegezentrum Borbeck leitet. Je nach Wochenstundenzahl sind sie täglich vielleicht nur drei, vier Stunden im Einsatz. „Aber mehr als vier völlig freie Tage im Monat waren eben nicht möglich.“

Altenpflegerin Andrea Klostermann
Altenpflegerin Andrea Klostermann © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Reuß weiß aus Erfahrung, wie anstrengend das ist: Der 40-Jährige hat 17 Jahre lang als Pflegekraft gearbeitet, bevor er auf eine Leitungsfunktion wechselte. Als die CSE jetzt überlegte, wie man von der Sechs- auf eine Fünf-Tage-Woche umstellen kann, habe er sich sofort für das Pilotprojekt gemeldet.

Die Fünf-Tage-Woche als neue Erfahrung

Anfang Mai sind acht der rund 30 Pflegekräfte in Borbeck in die Fünf-Tage-Woche gewechselt: Sie haben ihre tägliche Arbeitszeit etwas erhöht und bekommen dafür einen zusätzlichen Tag pro Woche frei. „Wenn ich schon da bin, arbeite ich doch lieber eine halbe Stunde länger – und spare mir dafür einmal in der Woche, um vier Uhr aufzustehen.“ Nur Vollzeitkräften könne er die Fünf-Tage-Woche nicht anbieten, weil sich ihre tägliche Arbeitszeit nicht weiter verlängern lasse.

Andrea Klostermann kommt das neue Modell entgegen: „Meine Eltern sind beide über 80, da fahre ich täglich hin, oft gleich nach der Arbeit.“ Sie hatte ihre Arbeitszeit daher von 30 auf 20 Wochenstunden reduziert und ist froh, dass sie die nun nicht auf sechs Tage verteilen muss. Sie hat den Freitag als festen freien Tag angemeldet und freut sich schon, wenn sie Samstag und Sonntag auch dienstfrei hat: „Dann habe ich ein superlanges Wochenende.“ Den freien Tag könne sie für Arzttermine nutzen, eine Freundin treffen – oder einfach mal für sich sein.

Mitarbeiter sollen nicht an ihre Belastungsgrenzen geraten

„Die meisten unserer Mitarbeiterinnen sind zwischen 50 und 62 Jahre alt, die haben alte Eltern, halbwüchsige Kinder oder schon Enkel, da warten nach Feierabend noch weitere Herausforderungen. Ich möchte nicht, dass sie an ihre Belastungsgrenzen kommen“, sagt Reuß. Darum hat er auf sich genommen, einen neuen Dienstplan auszutüfteln, die Pflegetouren umzubauen und eine neue Mitarbeiterin einstellen. So könne er weiter sicherstellen, dass die alten Menschen in der Regel von einer festen, vertrauten Pflegekraft betreut werden. „Nur wenn Frau Klostermann jetzt freitags frei hat, müssen sie für einen Tag mit einem neuen Gesicht klarkommen.“