Essen. Er hat mit Mitte 40 einen Neustart hingelegt, sie war schon mit 15 in den Beruf verliebt: Zwei Krankenpflegekräfte aus Essen erzählen.

Zwischen Laura Hünselar (26) und Michael Burghardt (45) liegen fast zwei Jahrzehnte Altersunterschied – und doch waren die beiden bis vor kurzem Klassenkameraden: An der Katholischen Schule für Pflegeberufe in Essen haben sie ihre Ausbildung gemacht. Zum Tag der Pflege am 12. Mai stellen wir die beiden vor, die jetzt als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte am Elisabeth-Krankenhaus in Huttrop in ihr neues Berufsleben starteten.

Eine Karriere hat Michael Burghardt schon hinter sich gelassen: 15 Jahre lang hat er als Diplom-Produktdesigner gearbeitet. „Dann ging es meiner Firma schlecht. Ich wurde entlassen und musste feststellen, dass es nicht so leicht ist, etwas Neues zu finden.“ Zumal er mit seiner Frau und der damals zwölfjährigen Tochter gern in Essen bleiben wollte.

Als Arbeitsloser bekommt er doppelt so viel Geld wie als Azubi

Burghardt erinnerte sich an seinen Zivildienst in der Psychiatrie und die Nachtwachen, die er während seines Studiums gemacht hatte. Während er an die Freude dachte, die ihm der Job bereitet hatte, war seine Frau skeptisch: Sie ist selbst Krankenschwester und sagt: „Ich kann mir Dich nicht so vorstellen auf einer Station.“ Auch einige seiner Freunde finden seine Idee, Gesundheits- und Krankenpfleger zu werden, „ziemlich bescheuert“: Er habe doch studiert.

Das Herz ist für ihn das spannendste Organ: Gesundheits- und Krankenpfleger Michael Burghardt (45) war früher Produktdesigner, nun arbeitet er im Herz-Katheter-Labor am Elisabeth-Krankenhaus. Den Mundschutz hat er nur fürs Foto und fern von Kollegen und Patienten kurz zur Seite gelegt.
Das Herz ist für ihn das spannendste Organ: Gesundheits- und Krankenpfleger Michael Burghardt (45) war früher Produktdesigner, nun arbeitet er im Herz-Katheter-Labor am Elisabeth-Krankenhaus. Den Mundschutz hat er nur fürs Foto und fern von Kollegen und Patienten kurz zur Seite gelegt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Selbst die Agentur für Arbeit ermunterte Burghardt, in seinem ursprünglichen Beruf zu bleiben, vielleicht finde sich was in Frankfurt. Und obwohl Pflegekräfte gesucht werden, gab es auch keine Unterstützung für die Ausbildung: „Ich habe als Auszubildender halb so viel bekommen wie an Arbeitslosengeld. Meine Frau hat eine halbe Stelle, das war finanziell schon hart für uns.“ Ohne seine kleine Abfindung hätte er sich den Berufswechsel kaum leisten können.

Trotzdem schrieb Burghardt eines Abends seine Bewerbung – und wurde am nächsten Morgen angerufen und zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Nach nur wenigen Wochen verschwand er aus der Arbeitslosenstatistik, als er im April 2017 seine Ausbildung an der Pflegeschule und am Elisabeth-Krankenhaus begann. „Mit einem meiner besten Kumpel, der Jura studiert und 20 Jahre bei einer Versicherung gearbeitet hatte.“

„Egal wie alt Du bist, bei den Einsätzen bist Du der Schüler“

In ihrer Klasse saßen die beiden unter frischen Schulabgängern, Flüchtlingen aus Afrika und Zuwandern aus Argentinien und waren mit Anfang 40 keineswegs die Ältesten: Zwei Mitschülerinnen hatten schon die 50 überschritten. „Egal wie alt Du bist, bei den Einsätzen bist Du der Schüler“, sagt Burghardt. „Du machst Betten, entsorgst alle möglichen Körperflüssigkeiten – das komplette Programm.“

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Ein Programm, das er viel anspruchsvoller erlebte als zuvor gedacht. Vom Minutentakt in der ambulanten Pflege über Bedrohungen in der Psychiatrie bis zum Hospizeinsatz, „an dem man zu knabbern hat“. Den aktuellen Applaus für Pflegekräfte sehe er zwiespältig: „Ich fürchte, dass der Hype für uns nach der Corona-Krise schnell vorbei ist.“ Dringender als ein höheres Gehalt wünsche er sich übrigens bessere Arbeitsbedingungen: „Wir arbeiten hart getaktet, das geht schon mal in Richtung Fließbandarbeit.“ Ohne Leidenschaft für den Beruf sei das nicht zu meistern.

Mit Maske an seinem Arbeitsplatz: Michael Burghardt gefällt, dass die Arbeit im Herz-Katheter-Labor „hochtechnisch“ ist.
Mit Maske an seinem Arbeitsplatz: Michael Burghardt gefällt, dass die Arbeit im Herz-Katheter-Labor „hochtechnisch“ ist. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Er freue sich, dass er täglich dazu lerne und seinen Traumarbeitsplatz im Herzkatheter-Labor bekommen habe: Ein hochtechnischer Beruf sei das mit regelmäßigen Arbeitszeiten, die sich gut mit dem Schichtdienst seiner Frau kombinieren ließen. Denn in einem hatte die Recht: „Die Station ist nicht so mein Ding.“

Schon mit 15 verliebt sie sich in den Beruf

Ganz anders geht es da Laura Hünselar, die sich schon als Schülerpraktikantin auf der HNO-Station am Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid „in den Job verliebt hat“. Mit 15 Jahren. In den Herbstferien schiebt sie ein freiwilliges Praktikum nach, das ihre Begeisterung für die Arbeit so nah am Menschen verstärkt habe. Nach der zehnten Klasse verlässt sie die Gesamtschule, macht Fachabi und beginnt mit 17 Jahren die Krankenpflege-Ausbildung am Krupp-Krankenhaus.

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„Ich dachte, es läuft gut, aber leider habe ich vieles nicht so ernst genommen.“ In der Folge scheitert sie an der Theorie, entwickelt Prüfungsangst, bekommt am Ende keine Prüfungszulassung – und steht nach dreieinhalb Jahren mit nichts da. Ihre Eltern werfen ihr das Scheitern nicht vor, im Gegenteil: Als Laura Hünselar erklärt, sie werde jetzt Bäckereifachverkäuferin, erinnern sie die Tochter, wie sehr sie den Pflegeberuf liebt: „Du strahlst immer, wenn Du von der Arbeit kommst, egal wie der Tag war.“

Die Prüfungsangst legt sie ab, wird schließlich Klassenbeste

Also beginnt die junge Frau an der Katholischen Schule für Pflegeberufe eine einjährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegeassistentin und macht 2016 einen guten Abschluss. „Das hat mir Aufschwung gegeben.“ So traut sie sich im April 2017, noch einmal in die dreijährige Ausbildung zu starten und staunt am ersten Tag, als sie Michael Burghardt im Klassenraum entdeckt: „Ich dachte, warum sitzt der Dozent zwischen uns Schülern?“

Der 12. Mai ist der Tag der Pflegenden

Die Corona-Krise konnte noch niemand erahnen, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf 2020 zum weltweiten Jahr der professionell Pflegenden und Hebammen ausgerufen hat. Die Begründung war ganz allgemein; „Diese beiden Gesundheitsberufe sind unschätzbar wertvoll für die Gesundheit der Bevölkerung.“ Man müsse sich darum kümmern, dem Nachwuchsmangel in diesen Berufen zu begegnen.

Auch am Essener Elisabeth-Krankenhaus stellt deswegen man in diesem Jahr die beiden Berufe in den Mittelpunkt; besonders am „Tag der Pflegenden“. Das ist der 12. Mai, der Geburtstag von Florence Nightingale. Die Pionierin der Krankenpflege wurde vor 200 Jahren geboren.

Drei Jahre später haben sie und der vermeintliche Dozent Michael Burghardt die Ausbildung als Klassenbeste abgeschlossen. „Ich habe in den drei Jahren natürlich gemerkt, dass es viel besser läuft, aber das hat mich überwältigt“, sagt Laura Hünselar. Wie der ältere Mitschüler hat auch sie ihre Wunschstelle bekommen, arbeitet nun in der Kardiologie auf Station Klara. Der Schichtdienst störe sie nicht: „Ich bin ein Morgenmensch, komme immer gut aus dem Bett.“ Freunde besuche sie oft nach der Spätschicht.

Wer die Ausbildung abschließt, kann sich seinen Arbeitsplatz aussuchen

Für die Pflegedirektorin des Elisabeth-Krankenhauses Simone Sturm sind die beiden Klassenbesten in mancher Hinsicht exemplarisch: So seien ältere Schüler oft sehr motiviert, blieben dran. Die einjährige Ausbildung sei wiederum oft das Fangnetz für diejenigen, die an der dreijährigen Ausbildung zunächst scheitern. Für alle erfolgreichen Absolventen gelte, dass sie klare Vorstellungen hätten, in welchem Bereich sie arbeiten wollen: „Sie haben heute die Wahl und es erhöht ihre Zufriedenheit in dem Job.“

Weiterer Pluspunkt aus Burghardts Sicht: „Wir haben einen unbefristeten Vertrag ohne Probezeit bekommen.“ Neuerdings sagen auch kritische Freunde: „Du hast alles richtig gemacht.“