Essen. Ein pensionierter Essener Lehrer will weiterarbeiten. Im April stellt seine Schule den Antrag – die Bezirksregierung reagiert monatelang nicht.
Mehr als 200 Lehrerstellen waren zum Schuljahresbeginn in Essen unbesetzt. Der frisch pensionierte Lehrer Christian Wodetzki möchte helfen und weiter an seiner alten Schule unterrichten: Das Berufskolleg Ost ist das größte in Essen und hat offene Stellen. Doch nach den Sommerferien stand Wodetzki nicht vor einer Klasse, sondern wartete zu Hause auf Post aus Düsseldorf: Die Bezirksregierung hatte noch nicht über den Antrag entschieden, den die Schule im April gestellt hatte.
Sein Schulleiter hatte beantragt, Wodetzki und zwei weitere Kollegen im Rahmen des Programms für „lebensältere Lehrkräfte“ weiterzubeschäftigen. „Ich möchte gern zwölf Stunden unterrichten, erstmal für ein Jahr“, erzählt der 65-Jährige. Doch während einer der Kollegen rechtzeitig das Okay der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf erhielt, blieben zwei Anträge offenbar unbearbeitet.
Essener Lehrer wartet monatelang auf Arbeitsvertrag
Als Wodetzki jetzt in der Zeitung von den vielen offenen Lehrerstellen und den Bemühungen der Bezirksregierung las, geeignete Bewerber zu gewinnen, wunderte er sich sehr. „Mein Kollege und ich warten noch immer auf den Arbeitsvertrag.“ Addiere man die von ihnen angebotenen Stunden, lande man fast bei einer vollen Stelle. „Gleichzeitig fallen an meinem Berufskolleg Stunden aus – das ist ein Skandal, der zu Lasten unserer Jugend geht.“
Seiteneinsteiger ersetzen fehlende Lehrkräfte
In der Regel stellt das Land NRW nur ausgebildete Lehrkräfte in den Schuldienst ein. Stehen sie nicht zur Verfügung, können Schulen auch Personen einstellen, die einen anderen Hochschulabschluss für das gesuchte Fach haben.
Die Anträge der Seiteneinsteiger/innen ohne Lehramtsstudium zu prüfen, ist laut Bezirksregierung Düsseldorf aufwändiger: „Das liegt in erster Linie daran, dass eine Prüfung der Nachweise erfolgt, ob eine Einstellung und Ausbildung nach der maßgeblichen Verordnung überhaupt möglich ist.“ Wie lange das dauere, hänge vom Einzelfall ab. Da die Seiteneinsteiger die Unterrichtsversorgung verbesserten, sei man bemüht, „eine zeitnahe Einstellung umzusetzen“.
Die Verzögerung ist umso überraschender, als eine Sprecherin der Bezirksregierung auf Anfrage erklärt, die Anträge der „lebensälteren Lehrkräfte“ sollten in der Regel binnen drei Wochen bearbeitet werden, sofern alle Unterlagen vorliegen. Wenn mehr Zeit vergehe, seien die „Ursachen sehr vielfältig“. So könne es ein noch „nicht abgeschlossenes Mitbestimmungsverfahren“ von Personalrat, Gleichstellungsstelle oder Schwerbehindertenvertretung geben, denkbar sei auch, dass „Hinweise Dritter“ geprüft werden müssten, etwa der Staatsanwaltschaft. Auch „gehäufte Erkrankungen“ oder anders bedingte Personalausfälle in der Bezirksregierung könnten eine Verzögerung erklären.
Die Bezirksregierung findet den Antrag der Schule nicht mehr
Warum der Antrag des Essener Lehrers nach mehr als drei Monaten nicht bearbeitet wurde, ist leicht zu klären: Er ist verschwunden. „Der ursprüngliche Antrag auf Weiterbeschäftigung von Herrn Wodetzki konnte im zuständigen Dezernat leider nicht aufgefunden werden“, teilt eine Sprecherin der Bezirksregierung auf unsere Anfrage mit.
Das Fehlen sei aufgefallen, als die Schule sich Anfang August nach dem Stand des Verfahrens erkundigte. Die Schule habe dann eine Kopie des Antrags geschickt. Diesmal habe das Dezernat „unmittelbar mit der Bearbeitung begonnen. Inzwischen konnte der Arbeitsvertrag übersandt werden“, schreibt die Sprecherin auf unsere Anfrage an diesem Montag (14.8.). Und siehe da, am Mittwoch (16.8.) ist der Vertrag da.
Mittwoch kommt der Vertrag, Donnerstag steht der Lehrer vor der Klasse
Nun stehe der „zeitnahen Dienstaufnahme“ ja nichts mehr im Wege, sagt die Bezirksregierung. Für Wodetzki eh keine Frage: Gleich am Donnerstag gibt er wieder Unterricht. Erstens liebe er seinen Beruf, zweitens: „Die Schüler warten doch auf mich.“ Dass es sich bei der Verzögerung, wie die Bezirksregierung sagt, „um einen bedauerlichen Einzelfall“ handelt, glaubt der Lehrer indes nicht. „Nach meiner Recherche bin nicht nur ich davon betroffen, sondern auch andere Kolleginnen und Kollegen an anderen Schulen.“
Wie viele Anträge von „lebensälteren Lehrkräften“ es für dieses Schuljahr gab und wie viele davon schon beschieden wurden, könne die Bezirksregierung nicht beantworten, sagt die Sprecherin. „Eine Ermittlung der gewünschten Informationen durch Einzelsichtung der entsprechenden Personalakten ist mit vertretbarem Arbeitsaufwand nicht möglich.“ Im zuständigen Dezernat werde stets den Vorgängen „Priorität eingeräumt, die der Sicherstellung der Unterrichtsversorgung dienen“.
Lehrer sieht Verantwortung für die Panne bei der Politik
Insgesamt betreue man dort gut 54.000 Lehrkräfte und anderes schulisches Personal. „Die rund 150 Mitarbeitenden des Dezernats haben im Jahr 2022 beispielsweise rund 11.000 arbeitsvertragliche Angelegenheiten rund um die befristete Einstellung von u. a. Vertretungslehrkräften bearbeitet.“ Lehrer Christian Wodetzki hat Verständnis, dass es in dieser Situation auch Pannen gebe: „Solche Dinge passieren, wenn in einer Behörde Arbeitsplätze gestrichen werden, verantwortlich dafür ist die Politik.“
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