Essen. An Essens Schulen fehlen 215 Lehrer und Lehrerinnen. Besonders trifft es Grund- und Förderschulen. Dennoch hat das Grundschulstudium einen NC.

An den Essener Schulen sind aktuell 215 Lehrerstellen nicht besetzt, das geht aus den Zahlen der Bezirksregierung Düsseldorf von dieser Woche hervor. Stadtweit entspricht das einem Anteil von rund vier Prozent unbesetzter Stellen, doch der Mangel fällt je nach Schulform sehr unterschiedlich aus. Besonders heikel ist die Situation wie schon in den Vorjahren an den Grund- und Förderschulen. Gleichzeitig ist der Zugang zum Grundschulstudium noch immer beschränkt.

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Gerade die Situation an den Förderschulen, wo 73 Stellen (10 Prozent) offen sind, sei „nicht zufriedenstellend“, räumt eine Sprecherin der Bezirksregierung ein. Es fehle an ausgebildeten Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen; ein Mangel, der kurzfristig wohl nicht behoben werden kann. Grundsätzlich handele es sich bei den jetzt gelieferten Zahlen aber um eine Momentaufnahme, und es gebe in diesem Schuljahr noch drei Einstellungstermine. Im übrigen könne „die Unterrichtsversorgung unter Umständen beispielsweise auch durch Vertretungsregelungen gewährleistet werden“. So stehe landesweit Zusatzpersonal zur Verfügung, etwa die „Vertretungsreserve Grundschule“.

Viele Grundschulen in Essen werden kommissarisch geleitet

Gerade die Schulen im Essener Norden dürfte das wenig trösten. Sie hatten sich schon 2017 mit einem Hilferuf ans Land gewendet, weil sie viele Kinder mit sozialen und sprachlichen Defiziten betreuen und auf mehr Personal gehofft hatten. Tatsächlich haben sie auch jetzt sechs Prozent offener Stellen. Auch sind an den 84 Grundschulen elf Leitungs- und 31 Stellvertreterstellen offen. Was auch daran liegt, dass neuerdings auch Grundschulen mit weniger als 180 Schülern einen Anspruch auf einen Konrektor oder eine Konrektorin haben. Theoretisch, in der Praxis werden viele kommissarisch geleitet.

Zum Wintersemester 2018/19 hatte die Landesregierung 339 zusätzliche Studienplätze für angehende Grundschullehrer geschaffen – doch die sind natürlich noch nicht an den Schulen angekommen. Also setzt die Bezirksregierung weiter auf Seiteneinsteiger und verweist darauf, „das aktuell nicht ausreichend Lehrkräfte für eine Einstellung in einigen Schulformen zur Verfügung stehen“.

„Wir haben keinen Mangel an Bewerbern für das Grundschullehramt, sondern einen Mangel an Studienplätzen: Der NC sorgt dafür, dass wir Hunderte junge Menschen vor den Türen der Unis warten lassen“, sagt Bildungsforscher Klaus Klemm.
„Wir haben keinen Mangel an Bewerbern für das Grundschullehramt, sondern einen Mangel an Studienplätzen: Der NC sorgt dafür, dass wir Hunderte junge Menschen vor den Türen der Unis warten lassen“, sagt Bildungsforscher Klaus Klemm. © dpa

Gleichzeitig können längst nicht alle Interessenten ein Studium auf Grundschullehramt aufnehmen: Für ihre 295 Plätze im laufenden Semester hatte die Uni Duisburg Essen (UDE) 2958 Bewerber. Der Numerus clausus (NC) – also der für ein Studium nötige Abischnitt – liegt an der UDE für Grundschullehramt bei 2,2. Andernorts brauche man sogar ein Einser-Abi, sagt der emeritierte Essener Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm. „Wir haben keinen Mangel an Bewerbern für das Grundschullehramt, sondern einen Mangel an Studienplätzen: Der NC sorgt dafür, dass wir Hunderte junge Menschen vor den Türen der Unis warten lassen.“

Brauchen Grundschullehrer ein Leistungsspektrum wie Mediziner?

Der NC spiegele lediglich wider, welche Möglichkeiten die Hochschulen haben, um Studienplätze zu schaffen, sagt Klemm. „Es ist allerdings fraglich, ob man das gleiche Leistungsspektrum wie ein angehender Mediziner braucht, um an einer Grundschule zu unterrichten. Es gäbe vermutlich geeignetere Auswahlinstrumente, die jedoch mit erheblichem Aufwand für die Unis verbunden sind. Da das Auswahlverfahren zudem immer gerichtsfest sein muss, fällt den Hochschulen meist doch nur der NC ein.“ Zwar müsse man hier mit mit schnellen Lösungsvorschlägen vorsichtig sein. Dennoch hielte er es für wünschenswert, wenn berücksichtigt würde, ob ein Bewerber sich ehrenamtlich engagiert hat oder zu einer Gruppe gehört, die an den Grundschulen unterrepräsentiert ist: also etwa männliche Lehrkräfte oder solche mit Migrationshintergrund.

Klemm mahnt aber auch, dass man die Versäumnisse der Vergangenheit nun nur bedingt korrigieren könne, da sich alle Anstrengungen erst verzögert auf die Schullandlandschaft auswirken: „Laut Lehrereinstellungsbedarf vom Dezember 2020 haben wir bis 2025 einen großen Mangel an Lehrkräften – ab 2030 produzieren wir dann schon einen Überschuss.“

Zusätzliche Stellen für Talentschulen

Laut Bezirksregierung Düsseldorf gibt es in Essen zwei Schulen, die am „Schulversuch Talentschule“ teilnehmen: An der Gustav-Heinemann-Gesamtschule habe es im August vier Einstellungen gegeben, an der Gertrud-Bäumer-Realschule seien es zwei Einstellungen gewesen.

Die unterschiedliche Besoldung etwa von Grund- und Gymnasiallehrern hält Bildungsforscher Klaus Klemm für überholt und ungerecht, seit die Lehramtskandidaten gleich lang studieren. Er glaube aber nicht, dass eine höhere Bezahlung den aktuellen Lehrermangel beheben könne: „Es gibt ja genügend Kandidaten, die den Beruf ergreifen wollen.“

Das gilt zumindest an den Grundschulen, an den Gymnasien, die derzeit gut ausgestattet sind, würden wegen der Wiedereinführung von G9 ab dem Schuljahr 2026/27 dagegen „in erheblichem Umfang zusätzliche Lehrkräfte benötigt“, sagt die Sprecherin der Bezirksregierung. Darum stelle man Gymnasiallehrkräfte nun vorzeitig unbefristet ein: Geparkt werde die Reserve „grundsätzlich an Schulformen, an denen der Personalbedarf besonders groß ist“.