Essen-Heidhausen. Erzieherin Rebecca Lang aus Essen-Heidhausen wird trotz freier Stellen nicht arbeiten gehen können: Warum es keine Kita für die Tochter gibt.
Noch ist Rebecca Lang das Lachen nicht vergangen. Der Plan der 36-jährigen Heidhauserin war es eigentlich, im Herbst eine neue Stelle anzutreten. Aber die staatlich anerkannte Erzieherin stellt inzwischen ernüchtert fest: „Ich würde gerne arbeiten, kann es aber nicht.“ Dabei würde sie angesichts des Fachkräftemangels überall mit Kusshand genommen werden: „Aber ich bekomme keine Betreuung für meine zweijährige Tochter Frida. In Heidhausen fehlen uns massiv Kitaplätze. Jetzt hänge ich völlig in der Schwebe.“
Schon beim jetzt siebenjährigen Anton sei es nicht einfach gewesen mit einem Kindergartenplatz, nun aber sei die Platzsuche eine Katastrophe: „Ich möchte aber nicht einfach nur dasitzen und warten. Als Betroffene erlebe ich die Probleme von zwei Seiten. Ich möchte für alle Kinder, Eltern und Erzieher sprechen. Wir sollten das so nicht mit uns machen lassen. Die Kinder sind doch unsere Zukunft, aber Eltern und Erzieher werden alleingelassen. Das passt doch nicht zusammen.“
Die private Einrichtung „Mäusezirkus“ schließt
Es müsse mehr öffentlicher Druck her. Auch gehe es darum, den Stellenwert ihres Berufes zu steigern: „Unser Job muss attraktiver werden. Wir stehen doch nicht nur in der Sonne und spielen ein wenig mit Kindern.“ Im Rahmen einer schulischen Ausbildung gibt es für angehende Erzieher keine Vergütung, nur wenn sie eine praxisintegrierte Ausbildung wählen: „Auch an die Gehälter müsste man rangehen.“ Denn die Folgen des Fachkräftemangels schlügen böse durch. Manche Kitas müssten ganze Gruppen schließen, weil Erzieher an allen Ecken und Kanten fehlen.
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Bald kommt noch sie als arbeitslose Erzieherin hinzu. Vier Jahre Ausbildung hat sie erfolgreich absolviert, 16 Jahre lang in der privaten Kita „Mäusezirkus“ am Frielingsdorfweg gearbeitet, zuletzt als stellvertretende Leitung. Doch die Heidhauser Einrichtung wird Ende Juni aus privaten Gründen schließen.
Rechtsanspruch kann nach einem halben Jahr eingeklagt werden
Was zu einer schwierigen Situation führe: „Ich habe Frida ganz normal über Little Bird online angemeldet, bei insgesamt sieben Kitas. Alle mussten uns absagen, denn zunächst werden Geschwisterkinder genommen.“ Inzwischen sehe sie keine Chance, irgendwo noch einen Platz aufzutreiben und habe deswegen beim Jugendamt ihren Rechtsanspruch angemeldet.
Das Amt habe nun ein halbes Jahr Zeit, irgendwie eine Betreuung für Frida „herbeizuzaubern“. Denn erst danach hat Rebecca Lang die Möglichkeit, sich einen Anwalt zu suchen und ihr gutes Recht einzuklagen. Und zwar das Recht auf einen „ehrlichen und guten“ Betreuungsplatz, wie sie betont: „Ich möchte nicht, dass mein Kind als Überbelegungsplatz in eine ohnehin volle Gruppe geschoben wird und die Kolleginnen noch mehr überfordert werden. Ich bin doch selbst Erzieherin, ich kann das einschätzen.“
Betreuungsquote im Stadtteil ist um 19 Prozent gesunken
Kinder seien doch nicht in der Kita, damit die Eltern arbeiten gehen könnten. Kein Erwachsener könne die Rollenspiele übernehmen, die Kinder untereinander spielen. Die Interaktion, die gezielten Förderangebote, das gemeinsame Tun seien wichtige Elemente der Erziehung. Es sei doch „schlimm für Kinder, wenn sie nur noch verwahrt werden und nicht betreut. Wir Erzieher begleiten Kinder ins Leben. Wir fordern und fördern. Mit Liebe, Geduld und Fachwissen“.
Im Essener Stadtteil Heidhausen mit seinen vielen Neubaugebieten und dem Zuzug junger Familien herrscht derweil weiterhin großer Bedarf an Kinderbildungs- und Betreuungsplätzen. Die Betreuungsquote im Stadtteil ist seit Sommer 2021 sogar um 19 Prozent gesunken. Grund dafür ist der Wegfall von 34 Plätzen aufgrund der Schließung der zweigruppigen VKJ-Kita am Brosweg. Hintergrund war, dass das Gebäude abgerissen werden sollte, um auf dem Grundstück das Bauprojekt „Friedo“ mit bis zu sechsgeschossigen Häusern auf einem zweistöckigen Podium zu realisieren.
Bestandteil des bereits 2018 von der Stadt öffentlich vorgestellten Konzeptes „Friedo“ war auch der Bau einer dreigruppigen Kita, die von der Awo betrieben werden sollte. Doch aus verschiedenen Gründen verzögerte sich die Realisierung und scheint nun vollends zum Erliegen gekommen zu sein.
Eine ernüchternde Nachricht von der Agentur für Arbeit
Ernüchterndes erlebt die Heidhauser Mutter auch bei der Agentur für Arbeit. Nach einem Telefonat sagte sich Rebecca Lang: „Das kann ich so nicht hinnehmen.“ Da sie nicht mindestens 15 Stunden pro Woche dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe, gebe es auch kein Arbeitslosengeld. Die Dame vom Arbeitsamt habe durchaus Mitgefühl gezeigt. Doch die Rolle der Frau als Mutter wie in den 1950er Jahren? Daheim bleiben, während der Mann die Familie versorgt? Kommt nicht in Frage. Die Erzieherin gibt sich kämpferisch: „Ich möchte, dass Frauen ihrem Beruf nachgehen können, und zwar mit einem guten Gefühl.“
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