Essen-Werden. Der Pfarreientwicklungsprozess in der Propsteigemeinde St. Ludgerus Werden geht alles andere als geräuschlos über die Bühne. Das sagt das Bistum.
Weil es in der katholischen Propsteipfarrei St. Ludgerus in Essen-Werden über Jahre hinweg zu teils heftigen Auseinandersetzungen und Beschwerden über den Pfarreientwicklungsprozess und den Propst gekommen war, hat Bischof Franz-Josef Overbeck vor genau einem Jahr eine außerordentliche Visitation angeordnet. Jetzt haben der Weihbischof und zwei Kirchenrechtler die Ergebnisse ihrer aufwendigen Überprüfung veröffentlicht. Der Abschlussbericht stellt fest, dass der „Pfarreientwicklungsprozess in der Propsteipfarrei aus kirchenrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist“. Wohl noch wichtiger ist die zweite Kernaussage. Sie lautet: „Auch eine Amtspflichtverletzung durch Propst Jürgen Schmidt liegt nicht vor.“
„Eine Amtspflichtverletzung durch Propst Jürgen Schmidt liegt nicht vor“
Gleichwohl legen die Visitatoren den Leitungsgremien der Propsteipfarrei nahe, die Kommunikation zu verbessern. Wörtlich heißt es: „Es wird empfohlen, dass sowohl der Kirchenvorstand als auch der Pfarrgemeinderat einmal im Quartal zum Abschluss ihrer ordentlichen Sitzungen als letzten Tagesordnungspunkt zeitlich begrenzt in öffentlicher Sitzung für Fragen, Anregungen und Austausch zur Verfügung stehen.“ Indem sich die Gremien für Diskussionen zur Verfügung stellen, so die Visitatoren, könne der Eindruck der „Kommunikationsverweigerung“ entzerrt werden.
Die außerordentliche Visitation der Propsteipfarrei lag in den Händen von drei Personen: Weihbischof Ludger Schepers, Herbert Hölsbeck, Kanzler der Kurie und Leiter der Abteilung Kirchenrecht im Bischöflichen Generalvikariat sowie Dr. Anna Meiers, Referentin für Kirchenrecht und Diözesanrichterin in Münster. Allein schon der prall gefüllte Korrespondenzordner, über den sich die Visitatoren zu beugen hatten, verrät das Ausmaß des Zanks in St. Ludgerus. Er umfasst nicht weniger als 1196 Seiten – von E-Mails bis hin zu Offenen Briefen.
Verfasst wurden die Beschwerdebriefe von einer übersichtlichen Anzahl an Beschwerdeführern, doch ihre Vorwürfe und Attacken haben es in sich. Es handelt sich durchweg um Akademiker, die rhetorisch eloquent und mit spitzer Feder zu Felde ziehen. Und es sind Kirchenkenner, die selbst in Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen aktiv waren oder sind.
Vorwürfe der Kritiker lauten: Intransparenz, Manipulation, Machtmissbrauch
Ihre Vorwürfe reichen von „Intransparenz“ und „mangelnder Beteiligung“ bis hin zu „Manipulationen“ und „Machtmissbrauch“. Kein gutes Haar lassen Wortführer wie Bernd Grotegut, Manfred Gunkel, Ulrich Wiesweg und Arno Schmitt besonders an einer Person: Propst Jürgen Schmidt. Gegenüber dieser Zeitung bezeichnen sie ihn als „eitel, narzisstisch, machtbesessen und manipulativ“.
Damit nicht genug: Arno Schmitt hat die seit 2017 andauernden Querelen um den Pfarreientwicklungsprozess in Werden obendrein in einem fiktiven Kurz-Roman (Taschenbuch, 72 Seiten, 8 Euro) mit dem Titel „Abrechnung“ verarbeitet und darin seitenweise Briefe aus dem Pfarreientwicklungsprozess von St. Ludgerus veröffentlicht. Der Inhalt des Kriminalromans: Bei der Fronleichnamsprozession in Werden fällt ein Gewehrschuss, der den Tragestock des Baldachins trifft. Der Kommissar der Essener Polizei stuft diesen Schuss als Mordanschlag auf den fiktiven Propst Jörg Schmitz ein. Dieser weist bis hin zum beruflichen Werdegang eindeutige Ähnlichkeiten mit dem realen Propst Jürgen Schmidt auf. Es ist ein verstörendes Büchlein, das in Werden ein zwiespältiges Echo fand und vielfaches Kopfschütteln hervorrief.
Pfarreientwicklungsprozesse sind nicht nur in St. Ludgerus Anlass zu Debatte und Streit. Der Kirche laufen die Gläubigen in Scharen davon und die Zahl der Gottesdienstbesucher nimmt seit Jahren rapide ab. Weil die Kirchensteuereinnahmen ebenso dramatisch sinken, müssen Gotteshäuser und Pfarrheime aufgegeben werden. Ehedem stolze Gemeinden verlieren ihre Selbstständigkeit, Kirchen werden abgerissen und immer seltener finden sich junge Männer bereit, den Priesterberuf zu ergreifen.
Propsteipfarrei in Werden will sich entwickeln unter dem Motto „Zusammen wachsen“
Heftig gerungen wird in Zeiten des Schrumpfens auch in der Werdener Propsteipfarrerei: Mal geht es um die Zukunft der Werdener Domstuben, mal um den Abriss der Haarzopfer Kirche. In Bredeney gibt es Pläne für ein Campus St. Markus, auf dem eine neue Kirche, eine neue Kita und ein neuer Gemeindesaal sowie Wohnhäuser entstehen könnten. Doch der Kreis um Grotegut empfindet dieses Neubauprojekt als „großkotzig“ und lehnt es ab. In der Propsteipfarrei ist vieles im Fluss und das meiste nicht entschieden. Das offizielle Konzept trägt den Titel „Zusammen wachsen“.
Die Gruppe der Beschwerdeführer erweckt gerne den Eindruck, als sei sie in der Gemeinde die Speerspitze einer Bewegung des Vertrauensverlustes: also die rechtschaffene Basis, die gegen Machtmissbrauch und ein mutmaßlich mafiöses Kirchen-Establishments rebelliert.
Mit dem Geist der Unversöhnlichkeit und dem Mittel der Skandalisierung treffen sie nicht nur den Propst, sondern auch die Männer und Frauen in den Gremien von St. Ludgerus. Dabei befinden sich unter ihnen lauter integre Leute mit viel Sachverstand. Dem Kirchenvorstand etwa gehören Spitzenkräfte der Essener Stadtverwaltung an wie Ordnungsdezernent Christian Kromberg oder der frühere Stadtkämmerer Lars Martin Klieve, der seit 2017 Vorstand der Stadtwerke Essen ist. Doch die Visitatoren stellen in ihrem Abschlussbericht ernüchternd fest, dass „offensichtlich zwischen den Beschwerdeführern und Propst Schmidt im Besonderen sowie zwischen den Beschwerdeführern und den Mitgliedern in den Gremien ein zunehmend gestörtes und in einigen Fällen zerrüttetes Vertrauensverhältnis zu konstatieren ist“.
Bischof Overbeck hofft nach der Visitation auf ein „konstruktives Miteinander“
Wie das Bistum Essen mitteilt, hat Bischof Franz-Josef Overbeck den Abschlussbericht der außerordentlichen Visitation zur Kenntnis genommen und den im Bericht aufgeführten Empfehlungen der Visitatoren zugestimmt. Ferner ist der 39 Seiten umfassende Bericht den Gremien in der Pfarrei in einer öffentlichen Sitzung im Gemeindezentrum St. Kamillus vorgestellt und übergeben worden. Schließlich haben die Visitatoren empfohlen, den Visitationsbericht auf der Internetseite der Propsteipfarrei öffentlich zugänglich zu machen. Damit, so Overbeck, sei die Visitation offiziell abgeschlossen.
Bis spätestens Ende Oktober 2023 soll eine Prioritätenliste für künftige Projekte erstellt werden. Außerdem soll die gesamte Pfarrei in einer öffentlichen Veranstaltung über die konkrete Umsetzungsschritte im Pfarreientwicklungsprozess informiert werden.
Ob damit Frieden einkehrt bei St. Ludgerus? In einem Schreiben an Propst Jürgen Schmidt äußert Bischof Overbeck jedenfalls diesen frommen Wunsch: „Ich hoffe, dass die Visitation über die Klärung kirchenrechtlicher Fragen hinaus dazu behilflich sein kann, den Pfarrentwicklungsprozess in einem konstruktiven Miteinander voran zu bringen.“
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