Essen. Heckel-Kunst fürs Schienbein: Außergewöhnliche Aktion im Essener Museum findet viel Medieninteresse. Tattoo-Motive stammen aus der Sammlung.
Ein letzter filigraner Nadelstich ins Schienbein und dann kann das geheimnisvolle Antlitz des „Jungen Mädchens“ auch schon in Frischhaltefolie gewickelt werden. „Gut kühlen“, bekommt Robert Schulz noch mit auf den Weg. Und dann hat der 27-Jährige auch schon einen Heckel am Bein. Genau genommen ist das meisterliche Bild natürlich ein Heckel-Black. Denn Tattoo-Künstlerin Myriam Black hat sich bei der Umsetzung der Vorlage wie immer auch kreative Freiheit geleistet. Im Museum Folkwang geht es an diesem Tag schließlich nicht um die Frage von Original und Nachahmung, sondern um eine der außergewöhnlichsten Aktionen, die das Folkwang in seiner 101-jährigen Geschichte wohl erlebt hat. Das Museum wird zum Tattoo-Studio.
Dass die Aktion alles andere als gewöhnlich ist, zeigt schon das riesige Medieninteresse. Gleich mehrere Kamerateams stehen Schlange vor der wabenförmigen Kunst-Wunderkammer der Künstlergruppe „Los Carpinteros“, um zu erleben, wie Kunst live vor Ort mit der Tätowiernadel entsteht.
Dass Tätowieren kein Handwerk, sondern Kunst ist und als solche auch anerkannt werden soll, steht nicht nur für Heiko Gantenberg außer Frage. In weiten Teilen der Gesellschaft sei die Erkenntnis längst angekommen. Nur an entscheidenden Stellen von Verwaltung und Justiz werde man immer noch „als Dienstleister“ angesehen. Mit Nachteilen: Tätowierer hätten beispielsweise kaum Zugang zur Künstlersozialkasse, kritisiert Gantenberg. Der Marler tätowiert seit über 30 Jahren im Ruhrgebiet und hat auch den Verein Tätowierkunst in Münster mitbegründet. „Die älteste Kunst der Menschheit braucht Anerkennung, keine Regulierung“, steht auf dem Flyer des Vereins, der mittlerweile fast 600 Mitglieder zählt. Auch Tattoo-Künstlerin Myriam Black gehört dazu, die als versierte Dürer-Tätowiererin schon oft ein Händchen für die Bearbeitung klassischer Vorlagen bewiesen hat und in Essen nun Heckel unter die Haut bringt.
Live-Tattoo-Aktion im Museum ist eine Fortsetzung von „Folkwang und die Stadt“
Black, die mit ihrer Arbeit international unterwegs ist, aber auch ein familiäres Standbein in Essen hat, war bereits im vergangenen Jahr bei der großen Jubiläumsaktion „Folkwang und die Stadt“ in der Nordcity mit einer Ausstellung zur Geschichte des Tattoos beteiligt. In Zusammenarbeit mit dem britischen Künstler Jeremy Deller entstand damals auch der Plan, Tattoos nach Werken aus der Sammlung des Museum Folkwang an Interessenten zu verlosen. Freilich nicht irgendwelche, sondern Motive nach vier expressionistischen Holzschnitten von Erich Heckel.
Die finden nicht nur bei Turner-Prize-Träger Deller besonderen Gefallen: „Das Folkwang verfügt über eine der umfangreichsten Heckel-Grafiksammlungen weltweit“, berichtet Museumschef Peter Gorschlüter, der das Live-Tattoo-Projekt auch als gelungene Fortsetzung des Folkwang-und-die-Stadt-Programms aus dem Vorjahr versteht. „Die Aktion zeigt, dass die Kontakte nachhaltig sind. Wir versuchen das, was wir angestoßen haben, fortzuführen.“ Rund drei Dutzend Bewerber hatten sich im Vorjahr auf die Tattoo-Aktion hin gemeldet. Vier Gewinner wurden ausgelost und am Donnerstag 13. April, nun mit dem Heckel-Motiv nach Wahl bedacht. Der „Schädel“, der bewegliche „Handstand“, der „Sitzende Akt. Fränzi“ und das „Mädchengesicht“ waren von Jeremy Deller vorab zur Auswahl gestellt worden.
Die Aktion passt für die Akteure gut ins Museum und zur Folkwang-Idee
Für Robert Schulz ist das „Junge Mädchen“ auf dem Schienbein nun vor allem verbunden mit einer einzigartigen Aktion an einem Ort mit besonderem Ambiente. Dem Mitglied der Jungen Freunde Kunstring Folkwang geht es gar nicht so sehr darum, was man persönlich mit dem Motiv verbindet, „die Narration dahinter ist wichtiger“, findet Schulz. Auch er ist dafür, Tattoos als Kunst anzuerkennen. Und deshalb passe die Aktion einfach gut ins Museum und zur Offenheit des Kunstbegriffs, wie ihn die Folkwang-Idee vertrete.
Für Tattoo-Künstlerin Myriam Black ist die Folkwang-Aktion vor allem „superspannend und eine ganz große Ehre und Freude. Das werde ich nie vergessen.“ Nicht nur für sie ist das Tätowieren dabei eine Technik mit großer kunsthistorischer Tradition. Dass Holzschnitt-Künstler ihre Werkzeuge nicht nur auf Holz, sondern auch auf der Haut anwandten, liegt schließlich schon Jahrtausende zurück. Nur mit Frischhaltefolie konnte das frisch gestochene Kunstwerk damals noch nicht geschützt werden.