Essen/Mülheim. Andreas Stüve spricht wenige Tage nach seiner Amtseinführung über seinen neuen Job, Vorgaben aus Düsseldorf, den eigenen Antrieb und Fußball.

Als langjähriger Fußballer des ehrwürdigen TuS Recke 1927 weiß Essens neuer Polizeipräsident, worauf es ankommt, um Gegner besiegen zu können. Wie auf dem Spielfeld gilt für Andreas Stüve bei Ermittlungen im Milieu der Organisierten wie der Clan-Kriminalität: Wo ein schneller Erfolg so oft gefordert wird, wie er selten gelingt, braucht es Geduld, Beharrlichkeit, getragen von einer ausgefeilten Taktik, umgesetzt von einem geschlossenen Team mit möglichst viel Idealismus, dem vor einer Verlängerung nicht bange ist.

Die Mannschaftsleistung ist am Ende entscheidend, um sich wirksam gegen die Machenschaften der Clans, der Mafia, der Rocker und Geldautomatensprenger verteidigen zu können, machte der 53-Jährige, der am Montag in sein neues Amt eingeführt worden ist, in seinem ersten Gespräch mit dieser Zeitung deutlich.

„Das ist nichts für Einzelkämpfer“, sagt der frühere Chef der Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten in NRW, kurz ZeOS, die zuletzt verantwortlich zeichnete für den aufsehenerregenden Schlag der Düsseldorfer Spezialabteilung gegen den Al-Zein-Clan in Leverkusen. Das Verfahren gilt als Beleg: Man kann also doch rankommen an die „dicken Fische“ im türkisch-arabischen Milieu.

Leugnen erschien den Beschuldigten sinnlos

Schnell wurde den dortigen Beschuldigten klar: Stüve und sein Ermittlertrupp hatten nach intensiver Arbeit so viel gegen sie in der Hand, dass Leugnen sinnlos erschien. Der anschließenden erstinstanzlichen Einziehung einer Millionenvilla „lag ein Geständnis zugrunde“, weiß der Jurist, der als junger Staatsanwalt schon die Ermittlungen in der Flyer-Affäre des damaligen Chefs der nordrhein-westfälischen FDP und Vorsitzenden der Düsseldorfer Landtagsfraktion, Jürgen Möllemann, führte.

Im September des vergangenen Jahres gelang der ZeOS unter Oberstaatsanwalt Andreas Stüve ein Schlag gegen die Clan-Kriminalität. Polizisten durchsuchten eine Villa in Leverkusen.
Im September des vergangenen Jahres gelang der ZeOS unter Oberstaatsanwalt Andreas Stüve ein Schlag gegen die Clan-Kriminalität. Polizisten durchsuchten eine Villa in Leverkusen. © dpa | A4691 Marcel Kusch

Doch es waren die jüngsten Erfolge der ZeOS nicht zuletzt bei der Vermögensabschöpfung krimineller Werte, die den blonden Niedersachsen auf den Radar des NRW-Innenministers befördert haben dürften. Herbert Reul hatte seinen Wunschkandidaten für das Amt des Polizeipräsidenten in einer der größten Behörden des Landes mit einer Sicherheitsverantwortung nicht nur für Essen und Mülheim, sondern für mehr als zwei Millionen Menschen, schnell gefunden. Als er Stüve einen „neuen und herausfordernden“ Job andiente, ließ die Entscheidung nicht lange auf sich warten.

Der Familienrat tagte, fragte sich und die beiden 15 und 17 Jahre alten Töchter, wie es wohl sei, wenn der sonst eher im Hintergrund ermittelnde Vater in einer neuen, sehr öffentlichen Position künftig in den Medien auftauche. Es gab keine Bedenken, sagt Stüve, der weiß: Der Innenminister hat mit seiner Ernennung als „Pragmatiker, der die Maschen krimineller Clan-Mitglieder genauestens kennt“, auch ein deutliches Zeichen in Richtung der Grünen gesetzt.

Ernennung als Ansage an den Koalitionspartner

Seine Ernennung war eine Ansage an den Koalitionspartner nach dem irritierenden Streit über das Lagebild Clan-Kriminalität und die Diskussion darüber, wie man das Phänomen krimineller Großfamilienstrukturen neu definieren müsse, um empfundene Stigmatisierung zu vermeiden.

Dass Stüve parteilos ist, dürfte seiner Beweglichkeit auf dem politischen Parkett kaum schaden. Auch wenn er ausdrücklich als ausgewiesener Experte der Organisierten Kriminalität eingeführt worden ist, stellt er klar: „Ich bin nicht auf Clans reduziert.“ Zwar gehe das Essener Präsidium diese Kriminalitätsformen mit einer Intensität und einer eigenen Besonderen Aufbauorganisation (BAO) wie kein anderes in NRW an. Jedoch gebe es auch andere Felder intensiv zu beackern.

Dazu zählen insbesondere der Kampf gegen die Kinderpornografie, gegen Betrügerbanden, die das Leben wehrloser älterer Menschen mit immer skrupelloseren Maschen oftmals nicht nur finanziell ruinieren, aber auch die sogenannten Kryptoverfahren und das Knacken verschlüsselter Encrochats, über die Kriminelle kommunizieren, um Spuren zu verwischen.

„Ohne jede Vorgabe“ nach Essen gekommen

Stüve betont „ohne jede Vorgabe“ seines obersten Dienstherrn nach Essen in eine gut aufgestellte Behörde gekommen zu sein. Und wenn er sagt, „ich brauche keinen Druck“, meint er, dass er sicher ist, auf seinen eigenen Antrieb nach fast einem Vierteljahrhundert Dienst in der Strafverfolgung weiterhin vertrauen zu können: „Ich finde es einfach unerträglich, wenn Schwerkriminelle davonkommen.“

Polizisten beschlagnahmten im August 2020 Spielautomaten während einer Razzia gegen die Clan-Kriminalität in Essen.
Polizisten beschlagnahmten im August 2020 Spielautomaten während einer Razzia gegen die Clan-Kriminalität in Essen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

In der Hochburg der Clan-Kriminalität mit zuletzt 599 in einem Jahr registrierten Straftaten und 454 Verdächtigen aus türkisch-arabischstämmigen Großfamilien bedeute es sehr viel Arbeit, eben genau das zu verhindern. „Man kann die Hinterleute kriegen“, ist Stüve überzeugt, auch wenn sie „abgekapselt“ seien.

Sie auf frischer Tat zu ertappen, sei zwar „schier unmöglich, sie durch Indizien zu überführen aber schon“. Vor diesem Hintergrund seien die regelmäßigen Razzien in Essen, durch die man mehr und mehr Einblicke in die Strukturen gewinne, „keine Showveranstaltungen“. Sie seien vielmehr notwendig, um auf Sicht Erfolg zu haben und werden fortgesetzt – trotz der immer wieder beklagten zu dünnen Personaldecke im Wach- und Wechseldienst wie bei der Kripo.

„Polizisten sind Überzeugungstäter für die gute Sache“

„Dass wir mehr Polizisten brauchen, liegt auf der Hand. Ich habe nie genug Personal, doch es gibt nur eine bestimmte Menge“, sagt der Behördenleiter: Werde in der einen Behörde eine Lücke geschlossen, tue sich in einer anderen eine neue auf. Die Frage, woher die Kräfte kommen sollen, „die kann niemand beantworten“. Also gelte es, mit dem zu leben, was man habe, wissend darum, „dass Polizisten Überzeugungstäter für die gute Sache“ sind. „Die hängen sich unfassbar rein.“

Ungeachtet aller Personaldiskussionen werde er die bisherigen Bemühungen in Essen weiter unterstützen, die Sicherheits-Kooperation mit Zoll- und Steuerbehörden und auch der Stadt Essen fortführen und sie „vielleicht weiterentwickeln um den justiziellen Aspekt“, seinen persönlichen Erfahrungshorizont. Dabei allerdings zu meinen, „in einem halben Jahr das gelobte Land zu erreichen, ist illusorisch“, macht der 53-Jährige deutlich: „Aber wir halten den Fuß auf dem Gaspedal.“

Polizeipräsident Andreas Stüve (2.v.re.) lässt sich am Newsdesk die Redaktionstechnik erklären von Redakteurin Christina Wandt sowie den Redakteuren Johannes Pusch (li.) und Jörg Maibaum.
Polizeipräsident Andreas Stüve (2.v.re.) lässt sich am Newsdesk die Redaktionstechnik erklären von Redakteurin Christina Wandt sowie den Redakteuren Johannes Pusch (li.) und Jörg Maibaum. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Stüve drückt aufs Tempo, möchte „möglichst schnell viele Dienststellen abklappern“, um seine Leute kennenzulernen, was bei über 2000 Bediensteten Wochen dauern dürfte, aber auch Einsätze begleiten, „anstatt beim Kaffee um einen Tisch herumzusitzen“.

„Es gibt keinen Grund umzuziehen“

Nach der nun täglichen 20-minütigen Fahrt von seinem Wohnort Mettmann nach Essen („Es gibt keinen Grund umzuziehen“) standen in der ersten Woche Rundreisen durch die Polizeiinspektionen in Essen und Mülheim, Besuche bei den Oberbürgermeistern und Ratsmitgliedern beider Städte wie beim Kriminalpräventiven Rat an.

„Beim nächsten Heimspiel von Rot-Weiss Essen gegen den MSV Duisburg bin ich dabei – von der Einsatzbesprechung bis zum Ende“, kündigt der Polizeipräsident mit Blick auf das kommende Wochenende schon mal an. Nicht nur als früherer Fußballer von der F-Jugend bis zu den Alten Herren seines Heimatvereins scheint der einstige Libero aus Bramsche eine Überzeugung der Kicker-Ikone Adi Preißler zu teilen: Entscheidend is’ aufm Platz.