Essen. Während die Zahl der Delikte insgesamt leicht zulegte, stieg die Zahl der jüngsten Verdächtigen stark an. Körperverletzungen legten ebenfalls zu.
Dass die Zahl der Straftaten in Essen binnen eines Jahres um 6,2 Prozentpunkte auf 49.277 Fälle und damit auf den höchsten Wert seit 2018 stieg, ist für Polizeipräsident Andreas Stüve zwar eine „negative Entwicklung“. Wirklich Sorge jedoch macht dem Behördenleiter ein anderer Trend. „Beunruhigend“ sei, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter den mutmaßlichen Straftätern „stark angestiegen ist“. Nach der Corona-Delle in 2020 ist die Kriminalität in der Stadt nicht nur mehr, sie ist vor allem deutlich jünger geworden.
Bei den Kindern (jünger als 14 Jahre) registrierten die Ermittler der Essener Behörde binnen eines Jahres eine Zunahme der Verdächtigen um satte 55 Prozentpunkte. Die Jugendlichen legten um ein Drittel zu, während die Zahl der Erwachsenen über 21 Jahren, die der Polizei auffielen, lediglich um rund acht Prozentpunkte stieg.
Wie aus der am Dienstag vorgestellten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das vergangene Jahr hervorgeht, wurden damit 936 Kinder straffällig. Das waren 334 mehr als in 2021. Die Gruppe der Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, zählte 2151 Köpfe, was einem Plus von etwa einem Drittel entspricht. Addiert man die Heranwachsenden dazu, stehen unterm Strich 4658 mutmaßliche Straftäter unter 21 Jahren und denen gegenüber 17.738 Erwachsene.
Konzepte gegen die Kinder- und Jugendkriminalität entwickeln
Mag sein, dass diese Entwicklung ein Post-Corona-Effekt ist, weil die Pandemie den Jüngsten den Raum für den Umgang miteinander nahm, sich mangels Schule und Freizeitangebote soziale Defekte einstellten. Mag sein, dass die Fähigkeit gelitten hat, Konflikte auch ohne Gewalt zu lösen. Das Phänomen aber als ein rein temporäres hinzunehmen, dass sich schon von selbst erledigen wird, wollen Stüve und Kripo-Chef Ralf Wagener nicht.
Weil das Problem zunehmender Kinder- und Jugendkriminalität zwar behördlich erkannt, jedoch kein rein polizeiliches, vielmehr ein gesellschaftliches sei, müsse es im Verbund mit der Ermittlungsgruppe Jugend, den Jugendkontaktbeamten, der Staatsanwaltschaft, den Schulen und der Jugendhilfe angegangen werden. Was die feste Absicht des Präsidiums sei. Konzepte seien noch zu entwickeln.
Ein besonderes Augenmerk legte die Polizei einmal mehr auf die Bekämpfung der Kinder- und Jugendpornografie und des sexuellen Missbrauchs - eine Daueraufgabe für die BAO Herkules und ein Thema, das dem Polizeipräsidenten nach eigenem Bekunden „sehr am Herzen liegt“.
Kinderpornografie: Nahezu täglich eine Wohnungsdurchsuchung
„Das hört nie auf“, machte Wagener mit Blick auf 166,6 Terabyte sichergestellte Daten deutlich, die von den Ermittlern auszuwerten sind. „Nahezu täglich“ werde in Essen eine Wohnung unter dem Verdacht der Kinderpornografie oder des Missbrauchs durchsucht, „weil wir soviel ermitteln und mehr Straftaten erkennen“.
259 Minderjährige kamen zu Schaden, 486 von 558 Taten wurden aufgeklärt, 483 Verdächtige ermittelt.
Doch nicht nur den jüngsten, sondern auch den ältesten Opfern gilt eine besondere Aufmerksamkeit. Bei den sogenannten Straftaten zum Nachteil älterer Menschen durch falsche Polizisten, vermeintliche Enkel oder Schockanrufer seien die Delikte zwar rückläufig, die Schadenssummen aber nach wie vor immens: Fast 2,7 Millionen Euro erbeuteten die Trickbetrüger allein Essen in nur zwölf Monaten.
Den höchsten Anstieg aller Fallzahlen registrierte die Polizei unter den sogenannten 7823 Rohheitsdelikten bei den Körperverletzungen mit 4145 Fällen, was einem Plus von 922 entspricht. Es ist die höchste Zahl bei diesen Straftaten in zehn Jahren. Zudem wurden den Ermittlern 275 Messerangriffe bekannt. Das waren 68 mehr als im Jahr zuvor. „Es werden unwahrscheinlich viele Messer mitgeführt“, weiß Wagener, der Einsatz bei einer Straftat werde häufiger.
Die Polizei hat Waffenverbotszonen geprüft
Eine Erkenntnis, die der Grund dafür war, Waffenverbotszonen in der Stadt zu prüfen. Das Ergebnis mag nicht überraschen: Kleinräumige Hotspots, für die eine solche Regelung in Frage kämen wie in der Düsseldorfer Altstadt oder Kölner Quartieren, gebe es nicht. Ganz Essen zu einer Verbotszone zu erklären, sei weder verhältnismäßig noch zu kontrollieren, sagt Stüve. Man bewerte die Situation aber ständig neu.
Die Straßenkriminalität, die knapp ein Fünftel der Gesamtkriminalität ausmacht, sei leicht um 213 auf insgesamt 9839 gestiegen. Die bekanntgewordenen Rauschgiftdelikte legten aufgrund verstärkter Aufklärung in der Innenstadt um 648 auf 2233 zu. Bemerkenswerte Zuwachsraten sind bei den Straftaten Geldwäsche (+81 Prozent) und Computerbetrug (+64 Prozent) festzustellen.
Aber auch „klassische“ Delikte hatten Konjunktur: Durch 17.145 Diebstähle (+785) etwa ist ein Schaden in Höhe von 17,9 Millionen Euro entstanden. In diese Kategorie fallen unter anderem die 900 Wohnungseinbrüche (+101), bei denen es knapp zur Hälfte bei Versuchen blieb.
Eine weitere Steigerung hingegen ist eine erfreuliche: Die Aufklärungsquote bei allen Straftaten ist nach ihrem Zehnjahrestief von 47,35 in 2021 wieder auf 49,15 Prozent geklettert.