Essen/Mülheim. Das Haus des Jugendrechts legt nach vier Jahren eine Bilanz vor. Das Essener Intensivtäterprogramm wirkt, sind die örtlichen Behörden überzeugt.
Das Essener Modell zur Betreuung junger Intensivtäter zeigt weiter Wirkung – wenn auch zuletzt etwas weniger deutlich: Rund 43 Prozent der Jugendlichen sind im vergangenen Jahr straffrei geblieben, heißt es. Man könnte aber auch sagen: Mehr als jeder zweite Nachwuchskriminelle wurde trotz aller Anstrengungen wieder rückfällig. Zum Vergleich: Im Jahr davor lag die Erfolgsquote noch bei rund 50, 2019 jedoch bei 40 Prozent.
Betrachtet man allerdings die Gruppe junger Menschen, die bei einem Rückfall in die Kriminalität gleich wieder drei oder mehr Straftaten begangen haben, so ist erkennbar, dass deren Zahl deutlich rückläufig ist. Lag die Quote im Jahr 2020 noch bei 22,7 Prozent, so ging sie im Vergangenen auf neun Prozent zurück.
Dies geht aus der deshalb unterm Strich einmal mehr positiven Bilanz des „Haus des Jugendrechts“ an der Alfredstraße hervor, in dem die Ermittlungsgruppe Jugend des Polizeipräsidiums Essen, Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie die Jugendgerichtshilfe der Stadt Essen seit vier Jahren unter einem Dach zusammenarbeiten, um sich abzeichnende kriminelle Karrieren möglichst früh gemeinsam zu beenden.
Sechs der Jugendlichen befanden sich in Haft
Von den 20.149 im vergangenen Jahr durch die Polizei Essen identifizierten Tatverdächtigen waren 602 Kinder. Damit stieg die Zahl mutmaßlicher Straftäter unter 14 Jahren im Vergleich zu 2020 um fast 18 Prozent. Eine Zunahme gab es auch bei den tatverdächtigen Jugendlichen: Ihre Zahl legte um 41 auf 1652 zu, was einem Plus von 2,55 Prozent entsprach, geht aus der jüngsten Kriminalitäts-Statistik der Behörde hervor.
Zum Stichtag 31. Dezember 2021 wurden 47 Personen als junge Intensivtäterinnen oder Intensivtäter aus Essen/Mülheim in der Einrichtung geführt, davon befanden sich sechs Jugendliche in Haft, Untersuchungshaft oder U-Haftvermeidung. In diesem Jahr wurden 15 Klienten in das Programm aufgenommen und 26 entlassen. Insgesamt wurden 73 (51 aus Essen, 22 aus Mülheim) Jugendliche betreut.
Fünf Straftaten in einem Jahr sind die Eintrittskarte
Fünf Straftaten binnen eines Jahres sind die Eintrittskarte zum Intensivtäterprogramm, in dem sich Mädchen und Jungen aus Essen und Mülheim wiederfinden, die jünger als 18 Jahre sind und Delikte wie etwa Raub, Körperverletzungen oder Diebstähle begangen haben. Entlassen werden sie, wenn sie zwölf Monate lang nicht mehr unangenehm aufgefallen sind, länger als ein Jahr in Haft waren oder das 21. Lebensjahr vollendet haben.
Jede und jeder von ihnen hat im Haus des Jugendrechts einen festen Ansprechpartner bei Polizei, Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft. Diese Zuordnung wie das Wissen um die familiären und sozialen Umstände hilft, geeignete und auf den Einzelfall abgestimmte pädagogische Angebote zu finden. Zudem wird die ganze Familie von der Jugendgerichtshilfe betreut, auch um sich frühzeitig Geschwistern annehmen zu können, die ebenfalls auf die schiefe Bahn zu geraten drohen.
Nicht nur die Kinder, auch die Familien werden betreut
Zum „Haus des Jugendrechts“ gehört auch die Initiative „Kurve kriegen“, bei der seit 2016 zwei Sachbearbeiter der Ermittlungsgruppe Jugend mit drei pädagogischen Fachkräften der Arbeiterwohlfahrt Essen zusammenarbeiten und sich um noch jüngere potenzielle Straftäter kümmern. Der generelle Fokus liegt auf den Acht- bis 15-Jährigen, die bereits mindestens eine Gewalttat oder drei Eigentumsdelikte begangen haben.
Bis Dezember 2021 haben 84 Kinder und Jugendliche an dem Programm teilgenommen oder werden aktuell noch betreut. Im Jahr zuvor waren es noch 69. Sie sind im Schnitt zwischen zwölf und 13 Jahre jung und zu 87 Prozent männlich. Stand Dezember 2020 haben 29 die Initiative „Kurve kriegen“ erfolgreich durchlaufen. 19 brachen die Betreuung ab, sieben davon wurden ins Intensivtäterprogramm überführt.
Im April 2020 wurde ein Projekt zur „Prävention von Clankriminalität“ umgesetzt. Derzeit werden in diesem Rahmen in Essen neun Kinder pädagogisch betreut und deren Familien begleitet, um ihnen deutlich zu machen: Es gibt ein Leben ohne Straftaten.