Essen-Bochold. Die Situation in der Geburtshilfe spitzt sich deutschlandweit zu. Warum das auch die Anfragen im Essener Geburtshaus verändert.
Die Situation in der Geburtshilfe verändert sich: Kreißsäle schließen, die Zahl der Beleghebammen sinkt. Das verändert auch die Nachfrage im Essener Geburtshaus. Seit fast 25 Jahren leistet ein Team aus Hebammen dort außerklinische Geburtshilfe. In dieser Zeit hat sich vieles gewandelt. Das kann auch Hebamme Katja Stöhr nach zwei Jahrzehnten Erfahrung bestätigen. Sie beobachtet, dass sich werdende Eltern heute teils aus anderen Gründen für das Geburtshaus entscheiden – was sie freut ist, dass es mehr geworden sind.
Im vergangenen Jahr betreute das Hebammenteam 307 Frauen, es kamen 106 Babys im Geburtshaus in Bochold zur Welt. „Die Geburtshilfe ist das Herzstück unserer Arbeit“, sagt Katja Stöhr. Einige Frauen melden sich aber auch von vornherein nur zur Vorsorge und Wochenbettbetreuung an, bei einigen ergeben sich im Verlauf der Schwangerschaft Komplikationen, die gegen eine Geburt im Geburtshaus sprechen. Das können zum Beispiel Erkrankungen sein, die Beckenendlage des Kindes oder eine Mehrlingsschwangerschaft. Von den 127 Frauen, die im vergangenen Jahr zur Geburt betreut wurden, mussten 21 während der Geburt in ein Krankenhaus verlegt werden.
Lesen Sie rund um das Thema „Geburten in Essen“ auch:
- Nach Babyboom 2021: Jetzt starker Geburtenrückgang in Essen
- Essener Hebamme: Die individuelle Geburtshilfe wird zerstört
- Babynamen in Essen: Rocky und Elvis treffen Gerda und Hedwig
- Der Traum von einer schönen Geburt – ein Brief einer Mutter
„In der Regel ist der Verlegungsgrund ein Geburtsstillstand, meistens fehlen ausreichende Wehen“, erklärt Stöhr. In diesem Falle könne eine Verlegung in die Klinik auch meist ganz in Ruhe geschehen. Oft führe der Weg dann ins evangelische Krankenhaus Oberhausen, wenn die Zeit es zulasse, werde nach dem Wunsch der Eltern entschieden. Das Essener Krupp-Krankenhaus ist allerdings kein Ziel mehr – dort wurde die Frauenklinik samt Kreißsaal im Sommer 2022 geschlossen. In Essen gibt es damit nur noch zwei Geburtskliniken: die Uniklinik und das Elisabeth-Krankenhaus.
Frauen müssen sich schon zu Beginn der Schwangerschaft im Geburtshaus Essen melden
„Wir hatten eine Zeit lang vermehrt Anfragen von Frauen, die eigentlich im Krupp-Krankenhaus entbinden wollten“, berichtet Corinna Steffens aus dem Büroteam über die Zeit nach der Kreißsaalschließung. Doch auch im Geburtshaus werden Plätze selten spontan vergeben, sondern in der Regel lange vor der Geburt, meist sogar schon direkt zu Beginn der Schwangerschaft. Aufgrund des Hebammenmangels in Deutschland müssen werdende Mütter sich so früh es geht um eine Betreuung kümmern, mitunter sogar bereits eine Wahl bezüglich der Geburt treffen – etwa wenn sie sich eine Hausgeburt oder eben eine Geburt im Geburtshaus wünschen.
Auch interessant
„Leider sind Frauen heute gezwungen, solche Entscheidungen schon zu treffen, wenn sie den zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest sehen“, sagt Hebamme Katja Stöhr. „Das war früher nicht so und ist wirklich krass.“ Denn die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt ist gerade in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft am höchsten, trotzdem müssen die Frauen sich bereits um Vorsorge und Wochenbettbetreuung kümmern und können nicht monatelang abwarten.
Das steigere den Druck unter Umständen enorm, Katja Stöhr sieht aber auch einen Vorteil im frühen Kontakt zwischen werdender Mutter und Hebamme: So bleibe mehr Zeit für die gemeinsame Vorbereitung auf die Geburt. Genau dieser enge Kontakt sei für die meisten Eltern auch der Hauptgrund, sich im Geburtshaus anzumelden. „Die Eins-zu-Eins-Betreuung steht über allem“, sagt Stöhr.
Im Zweifel überweisen die Hebammen an Geburtskliniken
Während in den Anfangsjahren vor allem Frauen ihre Kinder im Geburtshaus zur Welt gebracht hätten, die damals von außen als „alternativ“ angesehen worden wären, seien es heute ganz unterschiedliche Menschen und Beweggründe. „Es kommen jetzt auch schon junge Frauen, deren Geschwister hier geboren wurden“, sagt Stöhr.
Das Team des Geburtshauses hofft, dass die außerklinische Geburtshilfe in Zukunft einen noch größeren Stellenwert bekommen wird. Was sie am meisten ärgert, ist das Vorurteil, eine Entbindung im Geburtshaus sei unsicherer als die in der Klinik. „Uns ist wichtig, dass wir bodenständig sind. Wir wissen wo die Grenze liegt, ab der klinische Medizin notwendig ist“, sagt Katja Stöhr. Darüber werde schon vor der Anmeldung und auch während der Vorsorge aufgeklärt.