Essen. Premiere für das Snowdance Independent Festival in Essen: Macher Tom Bohn will unabhängige Filmemacher ins Ruhrgebiet holen. Das sind die Pläne.
Das Ruhrgebiet bekommt ein neues Filmfestival. Vom 28. Januar bis zum 5. Februar findet in Essen zum ersten Mal das Snowdance Independent Film Festival statt. Das Treffen für unabhängige Filmemacher präsentiert Kurz- und Langfilmproduktionen aus aller Welt. Für den gebürtigen Wuppertaler und Veranstalter Tom Bohn, der das Festival 2014 zusammen mit Schauspieler Heiner Lauterbach im bayerischen Landsberg am Lech gegründet hat, ist der Umzug ins Ruhrgebiet auch ein berufliches Nachhausekommen.
„Hier gilt es noch, eine Filmprinzessin wachzuküssen“, sagt der 64-Jährige, der unter anderem als Tatort-Regisseur bekanntgeworden ist. Im Gespräch mit Martina Schürmann erklärt Bohn, warum das wichtige deutsche Festival frei denkender Filmschaffender ins Ruhrgebiet gehört und was Essen demnächst mit dem von Hollywood-Star Robert Redford gegründeten Filmfest in der US-amerikanischen Mormonen-Stadt Salt Lake City gemeinsam hat.
Herr Bohn, wenn Ende Januar in Salt Lake City das Sundance Filmfestival zu Ende geht, startet in Essen erstmals das Snowdance Festival. Was verbindet die beiden Kinofeste?
Tom Bohn: Der Wunsch nach unabhängig produzierten Filmen, die gleichzeitig professionelle Kriterien erfüllen. Snowdance zeigt Filme, die beides verbinden.
Das Festival hat in der Vergangenheit im bayerischen Landsberg stattgefunden. Warum sind Sie ins Ruhrgebiet gezogen?
Weil das Ruhrgebiet meiner Meinung nach ein unglaublich großes Potenzial hat. Ich habe das Gefühl, hier kann man noch etwas in Gang setzen. In Landsberg wurde es uns einfach zu eng. Irgendwann hat sich die Frage gestellt: Bleiben wir ein kleines Festival oder wollen wir wachsen? Und wenn es nach mir geht, zählt das Snowdance in fünf Jahren zu den Top-3-Festivals in Deutschland.
Sie zeigen Filme, die unabhängig von Fernsehsendern, Filmförderungen oder großen Studios produziert wurden. Was ist gegen deren Förderung zu sagen?
Da geben die Filme, die gefördert werden und im Fernsehen laufen, eigentlich schon die Antwort. Die sind ja nicht schlecht gemacht, aber das Spektrum der Themen ist enorm eng: Wann hat man den letzten, gut gemachten deutschen Horrorfilm gesehen? Wann hat man einen politisch-kritischen Film gesehen, wie ihn früher Fassbinder und Schlöndorff gemacht haben? Was in diesem Segment passiert, wird frei produziert.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das hängt damit zusammen, dass Filmförderungen und öffentlich-rechtliche Sender ein Monopol gebildet haben und entsprechend Einfluss auf die Themen nehmen. Deshalb fallen viele Möglichkeiten des Filmemachens unter den Tisch. Aber das Bedürfnis, Geschichten jenseits des Mainstreams zu erzählen, ist groß. Als wir vor zehn Jahren angefangen haben, gab es wenige Independent-Filmer. Inzwischen ist das ein Boom. Weil die Technik es erlaubt und die Themen den Menschen auf den Nägeln brennen.
Kinoerfolge werden sonst gern an Millionenbudgets festgemacht. Alles Quatsch?
Es braucht keine Millionenetats. Was es braucht, ist eine gute Technik. Kameraverleih, Beleuchtung, Kopierwerke – das waren früher die Hauptkosten. Das hat sich durch die Digitaltechnik aber erledigt. Man dreht heute mit LED. Und Kameras, die man für 1800 Euro bei Amazon kaufen kann, machen kinofähige Bilder. Was immer noch teuer ist, sind die Personalkosten. Aber ich brauche kein großes Team, um einen großen Film zu machen. Ich brauche ein gutes Drehbuch und ein paar gute Leute.
Wer ist beim Festival dabei?
Die Filmemacher kommen aus der ganzen Welt. Aber die meisten Einreichungen gab’s in diesem Jahr aus Deutschland, was mich sehr freut. Vor allem viele hochwertige Independent-Produktionen kamen zuletzt aus Amerika. Gezeigt werden Krimis, Polit-Thriller, Herzergreifendes, Dramatisches, gerade auch bei den Kurzfilmen. Das Publikum sieht vor allem sehr unterhaltende Filme, mit Herzblut gemacht.
Die deutsche Filmfestival-Landschaft deckt schon viele Genres ab, von Dokumentar- bis Fantasyfilm. Welches Profil hat das Snowdance?
Wir sind nicht festgelegt auf bestimmte Genres, Themen oder Personengruppen. Wir sind ein international aufgestelltes Festival und geben einen Überblick über den Independent-Film weltweit; mit Themen, die am Puls der Zeit sind. Bei uns kann man sehen, auf welchem Niveau mittlerweile gearbeitet wird. Die Filme halten mit jeder deutschen Kinoproduktion mit.
Sie versprechen ein Kinofest ohne VIP-Lounge und Roten Teppich. Braucht es nicht auch Glamour?
Snowdance ist das Festival der Begegnungen. Man kann Leute treffen, die man sonst auf keinem Filmfest trifft. Man kann Fragen stellen, Kritik äußern und vor allem Spaß haben. Uns geht es um den Austausch zwischen Zuschauern, Filmemachern und Stars. Manche Teilnehmer kommen sogar auf eigene Kosten aus Australien angereist, nur um dabei zu sein. Und natürlich haben wir auch Stars dabei wie Peter Lohmeyer oder Harald Krassnitzer, der das Festival eröffnet. Aber wir sind nicht promigeil, uns geht es um die Sache.
Kinos klagen nach Corona über drastische Besucherrückgänge. Können Independent-Filme eine Rettung sein, weil sie nicht nach kurzer Zeit schon auf Netflix oder Amazon laufen?
Die Filme, die wir haben, wird man in der Regel nicht streamen können, die sieht man nur bei uns. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Man muss zu uns kommen, um dabei zu sein und die Filme auf der großen Leinwand zu erleben.
>>> Das Snowdance-Festival: Vom Drama bis zum Scientce-Fiction-Thriller <<<
- Das Snowdance Independent Film Festival wird am 28. Januar in der Essener Lichtburg mit dem österreichischen Thriller „Taktik“ von Marion Mitterhammer und Hans-Günther Bücking eröffnet. Hauptdarsteller Harald Krassnitzer kommt zur Premiere.
- Bis zum 5. Februar werden 35 Kurz- und 20 Spielfilme aus aller Welt gezeigt. Die Auswahl reicht von Beziehungsdramen („Stumm vor Schreck“ mit Annette Frier) und Naturthrillern („Island of Lost Girls“) bis zu Science-Fiction („The Alien Report“) und Musikdokus („Cuba on my Mind“). Ebenfalls im Programm ist eine Fassbinder-Werkschau.
- Die Filme laufen in den Innenstadt-Kinos Lichtburg (mit Sabu) und Astra-Theater (mit Luna). Zum Rahmenprogramm gehören ein Schauspielworkshop und die „Snowdance-Academy“.
- Der von dieser Zeitung erstmals ausgelobte „Ruhr Film Award“ wird am 1. Februar im Essener Sabu-Kino vergeben.
- Das komplette Programm gibt es unter www.snowdance.net