Essen. Die Fertigstellung der Villa Hügel jährt sich zum 150. Mal, Triumphe und Tragödien begleiten das Haus der Krupps. Stiftung plant größere Öffnung.
Wer sich vom Haupttor des Hügelparks erstmals der Villa Hügel in Essen nähert, ist in aller Regel überwältigt von der Wucht des Gebäudes am Ende der breiten Park-Straße. Man darf Alfred Krupp unterstellen, dass er diesen Effekt im Sinn hatte, als er den Komplex nach eigenen Basis-Plänen erbauen ließ. Was der eigentliche Gründer des Weltunternehmens reichlich untertrieben „Villa“ nannte, ist tatsächlich einem Schloss, und zwar keinem kleinen, sehr viel ähnlicher. Im Januar 1873, also vor 150 Jahren, konnte Alfred Krupp mit Frau und Sohn einziehen, ein Jubiläum, das die Krupp-Stiftung als heutige Eigentümerin mit einer Veranstaltungsreihe feiern will, die sich durch das ganze Jahr 2023 zieht.
Seit der Hügel im Jahr 1953 anlässlich der ersten Kunstausstellung erstmals für jedermann zugänglich wurde, gehören der Park und die Gebäude zum festen Besichtigungskanon von Einheimischen und auch auswärtigen Touristen. Lange hatte Essen keine Sehenswürdigkeit, die auch nur entfernt an die Villa Hügel heranreichte. Allerdings ließ das Unternehmen und später die Stiftung keinen Zweifel, dass Besucher zwar willkommen sind, sich aber einem vergleichsweise strengem Regiment zu unterwerfen haben, was man zum Beispiel daran erkennt, dass bis heute nicht einmal ein Pausenkaffee aus dem Automaten geboten wird.
Lockerungsübungen beim bisher fehlenden gastronomischen Angebot
Erst jüngst gab es beim gastronomischen Angebot erste Lockerungsübungen, als man einen kleinen Foodtruck zunächst für einen Probebetrieb verpflichtete. Nicht nur beim Gastronomischen soll es in diese Richtung weitergehen. Die personell an einigen entscheidenden Stellen verjüngte Stiftung will das Jubiläumsjahr nutzen, um sich zu öffnen, das Hüftsteife zu dämpfen und sich insgesamt zugewandter zu präsentieren.
Das genaue Programm wird erst demnächst bekannt gegeben, verraten kann man aber schon, dass beispielsweise Open-Air-Bühnenauftritte im bisher betont sakrosankten Park möglich sein sollen und dabei nicht nur klassische Musik zu hören sein wird. Poppiges und feiernde Menschenmassen im Hügelpark – eine Revolution, die Alfred Krupp gehasst hätte, dessen strenge Lebensauffassung an diesem Ort auch nach den grundlegenden Umbauten der Innenräume Anfang des 20. Jahrhunderts nie so ganz verschwand.
Wo seit gut einem Jahrhundert viel Holzverkleidung dominiert, was das Einschüchterungspotenzial der riesigen Räume etwas dämpft, ging es anfangs betont nüchtern und wenig behaglich zu. Kahle Wände, steinerne Böden, gusseiserne Stempel – Bauherr Alfred Krupp hatte panische Angst vor Bränden und versuchte deshalb so wenig Holz wie möglich zu verbauen. Wichtig war ihm zudem eine technisch komplexe Heizungs- und Lüftungsanlage, die jedoch erst nach jahrelangen kostspieligen Umbauten einigermaßen funktionierte.
Bauherr Alfred Krupp geriet rasch in Streit mit den Architekten
In der Bauphase ab 1869 gab es schnell Streit mit den Architekten, die ein Gebäude nach den üblichen Standards der Zeit errichten wollten, während Alfred Krupp eine Art „Wohnmaschine“ neuen Typs vorschwebte, ein rein technisches Produkt, das als Teil des Unternehmens gedacht war. Villa Hügel war schon auch fürs Wohnen gedacht, mehr aber noch für die Repräsentation eines Unternehmens, das sich immer mehr zu einem Staat im Staate entwickelte, basierend auf großer und wachsender wirtschaftlicher Macht. „Überwältigungsarchitektur“ schien dafür das probate Mittel. Der in seinen Proportionen nicht an jeder Stelle gelungene Neoklassizismus – die vorwiegende Architektursprache der Villa Hügel – erinnerte Kritiker allerdings an den zweifelhaften Charme eines überladenen wilhelminischen Hauptbahnhofs.
Die überspannten Erwartungen von Alfred Krupp ließen sich jedenfalls nicht realisieren, viele Pannen trieben den Bauherrn zur Verzweiflung. Als nach vier Jahren Bauzeit – was viel war für die damalige Zeit –, endlich alles fertig ist, sind alle Beteiligten erschöpft und der vorgesehene Etat vielfach überzogen. „Es wird in Deutschland vielleicht keinen Bauherrn geben, welcher so schwer zufriedenzustellen ist wie Sie“, bemerkte einer der Bauleiter in Richtung Alfred Krupp, der letztlich immer auch mit seiner Schöpfung fremdeln wird.
Die privaten Räume haben nicht entfernt die Grandezza der großen Säle
Von den drei Krupp-Generationen, die auf dem Hügel lebten, wird am ehesten noch Enkelin Bertha Krupp von Bohlen und Halbach hier glücklich, die mit Gatte Gustav und der wachsenden Kinderschar das Gebäude belebt. Die teilweise noch original erhaltenen privaten Räume haben übrigens nicht entfernt die Grandezza der großen Säle und kommen teilweise fast mickrig daher. Es wirkt ein wenig so, als wollte die Familie hier ausruhen von der Riesenhaftigkeit des Komplexes.
Als Ort der Repräsentation, als Symbol für den Mythos Krupp und die Macht und Prosperität des Unternehmens allerdings funktionierte Villa Hügel stets hervorragend: Kaiser, Könige, Diktatoren und nach 1945 auch demokratische Politiker waren hier gern und häufig zu Gast, auch Hitler spazierte mit Bertha und Gustav Krupp durch den Garten hinterm Haus. Anders als Kaiser Wilhelm II, war der NS-Führer auf dem Hügel als Übernachtungsgast aber unerwünscht, wie es hieß, weil Bertha ihn nicht ausstehen konnte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die britische Besatzungsmacht die Familie zunächst herauskomplimentiert, nachgeordnete alliierte Behörden nutzten den Hügel dann jahrelang als Hauptquartier, was der vollständigen Bewahrung des Interieurs und der Archivalien nicht gerade förderlich war. Nach der Rückgabe beschloss Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, dass die Familie hier nicht wieder einzieht, das Haus vielmehr anderen, hauptsächlich kulturellen Zwecken dienen sollte.
Später bei den großen Ausstellungen strömten dann Hunderttausende Bürger hier hin. Und wenn diese Zeitung ihre beliebte Reihe „WAZ/NRZ öffnet Pforten“ anbietet, sind die Spezialführungen in die sonst nicht öffentlich zugänglichen Räume der Villa Hügel mit Abstand die begehrtesten.
So viele Legenden, so viele Tragödien, so viele Informationen – die runderneuerte Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung will zum 150-jährigen Jubiläum den Spagat wagen zwischen einer Öffnung, wie es sie noch nie gab, und der Bewahrung des Mythos Krupp, von dem der Ort letztlich lebt. Man darf also gespannt sein.