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Bei Krupp wird alles groß: Die Radreifen bringen Geld, die Kanonen Ehre und Zwiespalt, das Sozialwesen schafft den „Kruppianer“ - und die Villa Hügel ist das passende Haus. Erst sind die Geschütze Ladenhüter, dann wird Essen die Rüstungsmetropole schlechthin.
Alfred Krupp ist als Unternehmer, Ideengeber und Praktiker des Stahls eine Ausnahmeerscheinung. Als genial,weil völlig neuartig aber gilt Historikern sein wacher Sinn für das, was einmal Öffentlichkeitsarbeit heißt. Fakten sind wichtig, Symbole aber manchmal sogar wichtiger. Als bei der Weltausstellung 1855 in Paris ein mehrere Tonnen schwerer Gussstahlblock aus dem Hause Krupp durch den hölzernen Hallenboden bricht, sorgt das für eine Aufmerksamkeit, die mit Geld nicht zu haben gewesen wäre.
„Das eindrucksvolle Bild einer zerstörerischen Gewalt“ - so beschreibt der amerikanische Journalist Norbert Mühlen später den Vorgang, der den Namen des immer noch bescheidenen Essener Betriebs schlagartig bekannt macht. Schon vier Jahre zuvor bei der Weltausstellung in London hatte Krupp Eindruck gemacht mit einer hübsch drapierten Gussstahlkanone. Im gesamten 19. Jahrhundert wird das Unternehmen keine Kosten scheuen, um dieses prominenteste Forum der Selbstdarstellung virtuos und mit Erfolg zu nutzen.
Die Krupp-Geschütze bleiben zunächst Ladenhüter, so sehr ihr Schöpfer auch an sie glaubt und ihre Entwicklung vorantreibt. Zur technischen Besessenheit und einem Schuss Patriotismus gesellt sich bei Alfred Krupp die klare Erkenntnis, dass eine Rüstungssparte seinem Unternehmen zur ersehnten Staatsnähe verhelfen könnte. Wäre er als Hoflieferant der preußischen Armee einmal etabliert, so würde man ihm auch auf anderen Feldern Konzessionen, Aufträge und Anerkennung nicht verweigern können. Es ist gerade dieses Verlangen nach einer Sonderstellung, das die Widerstände steigen lässt.
Die Kanonenstadt
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Alfred wirbt, reicht Eingaben ein, knüpft Kontakte - aber erst 1859 folgt der entscheidende - mancher wird sagen: verhängnisvolle - Großauftrag, der den Durchbruch bringt. Auf Intervention des Königs persönlich bestellt Preußen in Essen 300 Rohre. Ein noch größerer Auftrag aus Russland ermöglicht kurz darauf Investitionen, die Essens Weg zur deutschen Rüstungsmetropole schlechthin ebnen, zur „Kanonenstadt“, wie es auf zeitgenössischen Postkarten nicht ohne Stolz heißt.
Verlässliches Geld verdienen kann die Firma bis dahin allerdings nur mit den ganz und gar friedlichen Produkten des Eisenbahnbedarfs. Anfang der 1850er Jahre gelingt Alfred Krupp die Erfindung des nahtlos geschmiedeten Gussstahlradreifens, die ein schwerwiegendes Unfallproblem der Bahn mit einem Schlag löst. Das 1853 eingetragene Patent erweist sich ein Jahrzehnt lang als Lizenz zum Gelddrucken, die aus allen Teilen der Welt hohe Summen nach Essen spült. Kaum eine Eisenbahngesellschaft kann es sich noch leisten, die alten Räder mit der Schweißnaht zu benutzen, die dazu neigen, bei voller Fahrt zu brechen.
Anderthalb Jahrzehnte sprunghaften Wachstums stehen Krupp bevor. 1857 sind erstmals mehr als 1000 Arbeiter auf der Lohnliste, 1863 schon 4000, und im Jahr 1865 sogar 8000. Die Firma wird in dieser Phase zum Staat im Staate.
Zu den Werkswohnungen gesellen sich nun auch Sozialleistungen im Fall von Krankheit und Invalidität, das Altersruhegeld und eine eigene Lebensmittelkette, der „Konsum“, die den „Kruppianern“ günstiges Einkaufen ermöglicht. Als Gegenleistung erwartet Alfred Krupp unbedingte Loyalität und Verzicht auf jede Form des sozialdemokratischen Politisierens - und die Bereitschaft pädagogisierende Gängeleien bis in das private Leben hinein zu ertragen. Nicht jeder Arbeiter findet diesen Preis angemessen.
Hammer „Fritz“ hält Wohnung in beständiger Erschütterung
Die rasch in das agrarische Umland wachsende Fabrik, die Siedlungen und die vielen neuen Menschen beginnen das Gesicht der so kleinstädtisch-verschlafenen Stadt Essen und der umliegenden Dörfer zu verändern. Und auch Alfred Krupp, den eine Zeitung 1864 den noch schmeichelhaft gemeinten Titel „Kanonenkönig“ verleiht, will ein bauliches Zeichen setzen.
Jahrzehnte lebt er mit Frau Bertha und dem 1854 geborenen Sohn und Erben Friedrich Alfred inmitten der Fabrik - erst im ärmlichen Stammhaus, dann in einem nur wenig bequemeren Haus nebenan, schließlich im „Gartenhaus“, einer italienisch anmutenden Villa, die allerdings in unschöner Nähe zum Hammer „Fritz“ steht, dessen Schläge die Wohnung in beständiger Erschütterung hält. Für Alfred selbst kein großes Problem: „Wenn morgen meine Hämmer wieder gehen, habe ich mehr Musik, als wenn alle Geigen der Welt spielen“, soll er seiner sensiblen und kränklichen Frau beschieden haben als sie ihn bittet, doch einmal in einen Konzertbesuch einzuwilligen.
Auch Alfred hält es aber für angezeigt, seine Macht und Solvenz zu unterstreichen: Mit dem Bau der Villa Hügel entsteht ab 1869 ein Wohnhaus und ein Symbol, das den Mythos Krupp befördert - und noch bestehen wird, wenn die Fabrik unten in der Stadt längst Geschichte ist.