Essen. Louisa wäre beinahe als extremes Frühchen zur Welt gekommen. Im Elisabeth-Krankenhaus Essen tat man alles, um die Schwangerschaft zu verlängern.
Louisa ist heute sechs Monate alt, ein gesundes Baby, dem man nicht ansieht, wie dramatisch sein Start ins Leben war: Lange vor dem errechneten Geburtstermin am 13. Juni 2022 kam ihre Mutter Isabel Winghofer (37) mit starken Blutungen ins Essener Elisabeth-Krankenhaus. Dort rang man um jede weitere Schwangerschaftswoche, um Zeit für Louisa, sich zu entwickeln. Davon erzählen die Mutter und ihre Ärzte anlässlich des Welt-Frühgeborenen-Tages am 17. November.
Im März kommt Isabel Winghofer mit Blutungen ins Elisabeth-Krankenhaus, erst nur kurz. Doch nach ihrer Entlassung wird sie bald wieder mit Blutungen und Wehentätigkeit eingeliefert. Ab Anfang April, nun in der 27. Schwangerschaftswoche, muss sie dauerhaft im Krankenhaus bleiben. „Bis dahin hatte ich gedacht, dass alles gut läuft“, erinnert sich die 37-Jährige.
Die Frage nach einem Notkaiserschnitt war ein schlimmer Schock
Die Ärzte stellen eine „placenta praevia“ fest: Das ist eine Fehl-Lage des Mutterkuchens, die schwere Komplikationen verursachen kann: Oft muss die Geburt vorzeitig erfolgen, häufig kommt es zum Kaiserschnitt. „Da stand die Frage im Raum, ob man sofort einen Notkaiserschnitt macht oder noch warten kann.“ Das sei ein schlimmer Schock gewesen, erinnert sich die junge Mutter. „Alle Hebammen haben mich getröstet, im Arm gehalten.“
Erstmal bekommt sie Wehenhemmer und dazu Lungenreife-Spritzen: „Das sind Medikamente, die dafür sorgen sollen, dass das Baby, wenn es kommt, besser atmen kann“, erklärt Dr. Daniela Reitz, Chefärztin der Frauenklinik im Elisabeth-Krankenhaus. Den Wehenhemmer gebe man ungern über so lange Zeit, aber die Alternative wäre gewesen, Louisa sehr früh auf die Welt zu holen. „Das wäre in dieser Notsituation und bei den starken Blutungen gefährlich für das Kind.“
Klinik-Team kämpfte, um die Schwangerschaft zu verlängern
Isabel Winghofer erinnert sich: „Alle hier haben gekämpft, um die Schwangerschaft zu verlängern, darum, dass die Kleine länger bleibt.“ Das sei eine Herzensangelegenheit, sagt Daniela Reitz, die seit 20 Jahren in diesem Bereich arbeitet: „Je länger das Kind im Mutterleib ist, desto besser ist die Entwicklungschance fürs ganze Leben.“
Mit jedem zusätzlichen Tag verringere sich das Sterberisiko ebenso wie das für schwere Schädigungen, ergänzt ihr Kollege Dr. Dariusz Michna, Chefarzt der Klinik für Neu- und Frühgeborene. Honoriert werde die Verlängerung einer Risikoschwangerschaft von den Krankenkassen leider nicht, sagen die Mediziner. Im Gegenteil: „Um wie viel Zeit eine Schwangerschaft verlängert wurde, wird nicht mal statistisch erfasst. Und das Honorarsystem belohnt eher die besonders kleinen Frühgeborenen“, so Michna.
Die ARD-TV-Doku „Wie viel Geld bringt ein Frühchen?“ befasste sich jüngst mit diesen Fehlanreizen und schilderte Fälle, in denen Geburtskliniken Babys unnötig früh holten: Aus wirtschaftlichen Gründen schadet man Mutter und Kind. „Das trifft einen schon, denn wir und die allermeisten Kollegen kämpfen mit Herzblut um die Babys“, sagt Reitz.
Manchmal müssen die Babys frühzeitig geholt werden
Vom Kreißsaal bis zur Kinderintensivstation sei man in engem Austausch, schaue sich regelmäßig im Ultraschall an, wie sich die Babys bewegen. „So lerne ich die Kinder früh kennen, weiß, wie es ihnen geht.“ Denn natürlich gebe es auch Schwangerschaften, die man besser nicht zwingend verlängern sollte, betont Reitz: „Manchmal sind die Babys krank oder beeinträchtigt, dann muss man abwägen, ob man sie nicht lieber frühzeitig holt. Wir wollen immer das Allerbeste für die Kinder erreichen.“
Dazu gehöre, dass man das Wohlbefinden der Mütter im Blick habe, sagt Michna. „Es ist eine enorme Leistung der Frauen, acht, zehn, zwölf Wochen im Bett zu liegen, über sich immer dieselbe Zimmerdecke.“ Isabel Winghofer kann das bestätigen: Coronabedingt durfte täglich nur ein Besucher kommen, die Stunde nutzte ihr Mann. Sonst verlief der Tag zäh. „Wenn ich zu einer Untersuchung musste und mal den Flur sah, war das ein Highlight.“
Mutter macht Schwangeren auf Instagram Mut
Sie möchte aber nicht, dass Schwangere fürchten, im Fallpauschalen-System unter die Räder zu kommen, und macht ihnen via Instagram Mut (@wartenaufzweistriche). „Ich fand schön, dass wir hier immer im Gespräch waren, dass man mir meine Ängste genommen hat. Ärzte, Schwestern, Hebammen waren so lieb. Ich fühlte mich gut aufgehoben.“ Ihr Team habe nicht nur große Erfahrung, sagt Reitz: „Wir sind emotional dabei.“
Louisa kam am 4. Mai zur Welt, sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin und doch viel später als befürchtet. Entlassen werden konnte sie erst am 22. Mai, da war ihre Mutter schon eine Woche zu Hause, verbrachte aber die meiste Zeit auf der Neonatologie, kuschelte mit ihrer Tochter, pumpte Milch ab, weil die Kleine durchs Stillen noch nicht genug Nahrung erhielt.
Nebenbei habe sie viel gelernt: „Die Schwestern haben mir alles gezeigt: Wickeln im Inkubator, Baden… Louisa war ja so winzig, dass ich fürchtete, etwas kaputtzumachen.“ So gehe es vielen Eltern von Frühgeborenen, sagt Dariusz Michna: „Da müssen wir Berührungsängste abbauen, sagen, dass sie ihre Babys gleich anfassen dürfen.“
Baby Louisa hat sich prima entwickelt
Das Schönste sei gewesen, als sie Louisa abholte, erzählt Isabel Winghofer. Seither habe die sich prima entwickelt. Für Daniela Reitz, Dariusz Michna und die Kollegen sind solche Happy Ends Ansporn, weiter darum zu ringen, Babys wie Louisa möglichst gute Startchancen zu geben. Reitz fügt nur hinzu: „Wir würden uns wünschen, dass auch das Entgeltsystem im Sinne von Mutter und Kind gestärkt wird.“