Essen. 500 g wog Áron bei der Geburt – und konnte nicht allein atmen. Im Elisabeth-Krankenhaus Essen wurde seine walnussgroße Lunge erfolgreich operiert
Es grenzt an ein Wunder, dass Maria und Imre Konyari ihren Sohn Áron in den Armen halten können. Ein Wunder, das die Ärzte und Pfleger des Elisabeth-Krankenhauses möglich gemacht haben. Denn Áron kam nicht nur viel zu früh auf die Welt, er musste auch direkt nach seiner Geburt mehrfach an der Lunge operiert werden. Damals wog er kaum 500 Gramm, seine Zukunft war ungewiss.
Und heute? Ganz entspannt schmiegt sich Áron an die Brust seiner Mutter, sein großer Bruder und der Vater schauen glücklich in die Kamera. Auf dem aktuellen Foto der jungen Essener Familie ist nicht zu erkennen, welch schwere Zeit hinter ihr liegt.
Es war im November 2020, als die Ärzte feststellten, dass Áron im Mutterleib nicht mehr ausreichend versorgt wurde. Schnell spitzte sich die Situation zu, „und dann entschloss man sich, Áron am 20. November per Kaiserschnitt auf die Welt zu holen“, erzählt Maria Konyari. Das war in der 28. Schwangerschaftswoche, gerade einmal 490 Gramm wog er bei seiner frühen Geburt.
Nach der Geburt durften sie den winzigen Áron nicht in den Arm nehmen
„Wir waren zunächst einmal nur froh und erleichtert, dass er da war und lebte“, erinnern sich die Eltern, „aber in die Freude mischte sich auch schnell die Angst, ob er es schaffen wird. Er war doch nur eine Handvoll Mensch.“ In den Armen halten durften sie ihren Sohn direkt nach der Geburt nicht, ein Foto musste genügen. Denn Áron kam sofort auf die Intensivstation für Frühgeborene, die Versorgung des Kindes hat in solchen Fällen immer Vorrang. „Kinder, die so früh geboren werden, atmen nicht automatisch. Also mussten wir Áron zunächst mit einer Maske Sauerstoff zuführen und so der Lunge einen Impuls geben, damit sie ihre Arbeit aufnimmt. Gleichzeitig gaben wir ein Medikament zur Lungenentfaltung“, erklärt Dariusz Michna, Chefarzt der Klinik für Neu- und Frühgeborene.
Nur kurz funktionierte die selbstständige Atmung bei Áron, dann benötigte er immer mehr Sauerstoff, „so dass wir ihn schon an seinem ersten Lebenstag künstlich beatmen mussten“. Bei der anschließenden Röntgenuntersuchung der Lunge entdeckten die Ärzte die Ursache für das Atemproblem: Eine Luftblase im rechten Lungenlappen verhinderte den Sauerstoffaustausch. „Dieser angeborene Defekt, eine Pneumatozele, ist lebensgefährlich, also mussten wir sofort reagieren“, sagt Peter Liedgens. Der Chefarzt der Klinik für Kinderchirurgie arbeitet eng mit seinem Kollegen Dariusz Michna zusammen.
Schnell entschied man sich für einen Noteingriff: Eine Drainage, die in den Lungenlappen führt, sollte zunächst die überflüssige Luft ablassen. Fünf Tage später folgte die Operation, die den Defekt beheben sollte. „Für Áron wäre selbst ein Transport in den Operationssaal zu gefährlich geworden, also hat das Team ihn auf der Intensivstation für Frühgeborene in seinem Inkubator operiert“, erklärt Peter Liedgens. Die dafür nötigen kleinen OP-Instrumente lieh er sich teilweise von Augenärzten, „denn die Lunge eines knapp 500 Gramm schweren Kindes ist so groß wie eine Walnuss“.
Zweieinhalb Stunden lang wurde der Neugeborene operiert
Zwischen Hoffen und Bangen befanden sich die Eltern, „gerade erst war unser kleiner Áron auf der Welt und schon musste er operiert werden. Und wir konnten nichts tun, außer zu warten“, sagt Imre Konyari. „Aber wir hatten volles Vertrauen in das Ärzteteam, das uns über alles ausführlich aufgeklärt hat“, fügt Maria Konyari dankbar hinzu.
Die zweieinhalb Stunden, in denen ihr Baby operiert wurde, schienen kein Ende zu nehmen. Doch dann kam die erleichternde Nachricht: Áron hatte alles gut überstanden. Zwei, drei Tage lang schien es, als wenn sich seine Situation stabilisieren würde, „doch dann verschlechterten sich seine Werte wieder“. Eine weitere Operation, um den betroffenen Lungenlappen zu entfernen, wurde notwendig. „Wir haben uns vorher mit vielen Kollegen aus anderen kinderchirurgischen Zentren ausgetauscht, weil dieser Eingriff bei Frühgeborenen äußerst selten vorkommt“, erklärt Peter Liedgens.
Zudem habe man sehr intensiv die Frage erörtert, ob dieser zweite Eingriff nicht die Lebensqualität des so jungen Patienten langfristig negativ beeinträchtigen würde und damit das Schicksal der ganzen Familie. „Wir haben da eine ganz besondere Verantwortung. Denn Áron hat ja noch sein ganzes Leben vor sich. Und wir möchten nicht, dass er überlebt, aber eine lebenslange schwere Behinderung davonträgt“, sagt der Kinderchirurg.
Klinik für Neu- und Frühgeborene hat 600 Patienten im Jahr
Zehn Ärzte und 35 Pflegekräfte arbeiten in der Klinik für Neu- und Frühgeborene des Elisabeth-Krankenhauses. Dort wurden im vergangenen Jahr 600 kleine Patienten behandelt, ungefähr die Hälfte waren zu früh geborene Kinder. Die Klinik umfasst 30 Betten, davon 10 Neugeborenen-Intensivplätze und 2 Kinder-Intensivplätze. Die Station verfügt über eine personelle und apparative Ausstattung, die den Einsatz aller Therapieverfahren der modernen Neugeborenenintensivmedizin ermöglicht. Wenn Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, spricht man in der Medizin von Frühgeborenen. Entscheidend ist dabei aber auch immer die Reife des Kindes und nicht das Geburtsgewicht. Die Hauptprobleme der sehr kleinen Frühgeborenen resultieren aus der Unreife von Gehirn, Lunge und Magen-Darm-Trakt. Um den fehlenden Schutz und die Versorgung durch den Mutterleib zu „ersetzen“, sind zahlreiche medizinische Maßnahmen je nach individuellen Problemen erforderlich: Inkubatorpflege, künstliche Beatmung, künstliche und Muttermilch-Ernährung, medikamentöse Behandlung und intensive Überwachung durch Kinderkrankenschwestern, Ärzte und technische Geräte. Bei frühgeborenen Kindern ist ein zurückhaltender und schonender Einsatz von Beatmungstechniken besonders wichtig.
Ausführliche Aufklärungsgespräche mit den Eltern folgten, die diese Zeit wie eine emotionale Achterbahnfahrt erlebten. Schließlich wurde Áron an seinem 19. Lebenstag erneut zweieinhalb Stunden lang operiert, dabei wurde die Luftblase komplett entfernt. „An dem Tag durften wir beide vorher noch zu ihm, ihn streicheln und mit ihm sprechen“, sagt Maria Konyari, „das hat uns sehr viel bedeutet“.„Eltern müssen vorher Körperkontakt zu ihrem Kind haben. Denn es ist nicht sicher, ob es die Operation überlebt“, sagt Dariusz Michna. Doch die Ärzte vollbrachten das kleine Wunder: Diese zweite Operation, die genauso wie die erste die leitende Oberärztin Elke Radeloff, Spezialistin für Neugeborenen-Chirurgie, durchführte, war erfolgreich. „Wir konnten Áron direkt nach dem Eingriff von der Beatmungsmaschine trennen. Seitdem benötigt er nur noch etwas Unterstützung beim Atmen“, sagt Dariusz Michna.
An Gründonnerstag durfte der kleine Patient endlich nach Hause
Die nächsten Wochen und Monate hatte Áron Zeit, sich zu erholen, zu wachsen und zu gedeihen. Im Dezember wurde er immer wacher, reagierte auf die Eltern, die sich aufgrund der Corona-Regeln mit den Besuchen abwechseln mussten. Längst trinkt er aus der Flasche, „er wiegt jetzt schon 3430 Gramm“, sagt Maria Konyari voller Stolz.
Am Gründonnerstag kam er endlich nach Hause, wo ihn sein zweijähriger Bruder, der ihn die ganze Zeit nicht besuchen durfte, sehnsüchtig erwartete. „Áron hat es geschafft. Er wird sich ganz normal entwickeln“, ist sich Dariusz Michna, der im Elisabeth-Krankenhaus seit mehr als zwei Jahrzehnten Frühgeborene beim Start in ihr Leben begleitet, sicher.