Essen. Die Essener Innenstadt bekommt von den eigenen Bürgern schlechte Noten. Die Stadt ist entschlossen, auf verschiedenen Feldern gegenzusteuern.

Das Ergebnis der großen Innenstadt-Umfrage unserer Redaktion war niederschmetternd: Mit Müh und Not erreichte die Essener City im Urteil von rund 10.000 Bürgern die Schulnote ausreichend minus, bei den Themen Aufenthaltsqualität und Sicherheit geht es in Richtung mangelhaft. Ein Alarmsignal, offenbar auch für Oberbürgermeister Thomas Kufen und den Verwaltungsvorstand, die am Dienstag (11. 10.) zusammenfassend berichteten, was sich demnächst in der Innenstadt tut, jedenfalls sofern die Stadt dies beeinflussen kann.

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Hoffnung schöpft Kufen aus der Tatsache, dass sich überhaupt so viele an der Umfrage beteiligten. „Die Innenstadt ist den Essenerinnen und Essenern nicht egal, sonst hätten sie sich nicht so stark an der Umfrage beteiligt“, meint der OB und mag damit richtig liegen. „Die Bürger haben die Innenstadt nicht aufgegeben“, ergänzt Kufen. Diese These dürfte schon weniger belastbar sein. Denn viele geben immer wieder an, die Innenstadt zu meiden. Sei’s drum, die Stadt will gegensteuern, im Großen wie im Kleinen.

Gastronomisches Angebot:

Die Umfrage-Rückmeldungen waren eindeutig: Beim gastronomischen Angebot ist noch Luft nach oben. Demnach ist vor allem die Häufung von Kettengastronomie in der Innenstadt den Menschen ein Dorn im Auge. Ein Jahr vor der Umfrage hatte die Essen Marketing GmbH mitgeteilt: „Die Ansiedlung von gastronomischen Betrieben ist aktuell nicht strategisch gesteuert.“ Ein Gastronomie-Konzept, das nun realisiert werden soll, soll Abhilfe schaffen. Die Idee: Die Innenstadt soll in Cluster und Zielgruppen eingeteilt werden. Dadurch soll es möglich werden, Ansiedlungen gezielt und thematisch aufeinander abgestimmt zu steuern, wie es bereits vor einem Jahr hieß.

Gilt manchem nicht als großer Wurf: Die geplante Aufstockung des Eick-Hauses soll ab Mitte des Jahrzehnts umgesetzt werden.
Gilt manchem nicht als großer Wurf: Die geplante Aufstockung des Eick-Hauses soll ab Mitte des Jahrzehnts umgesetzt werden. © DWI Gruppe, Architekturbüro Brüning Rein

Es wird abzuwarten sein, wie fruchtbar der Austausch zwischen Immobilienbesitzern, EMG, Verwaltung an Interessenten am Ende sein wird. Gemeinsam mit Projektentwickler Progacon – laut EMG ein Experte für „gastronomische Projektentwicklung und Standortrevitalisierung“ – soll die gastronomische Entwicklung der City vorangetrieben werden. Innenstadtmanagerin Svenja Krämer (EMG) sagt etwa: „Der Viehofer Platz bietet mit der Nähe zur Uni unglaubliches studentisches Potenzial.“ Dort könne es bunter und experimenteller zugehen. Der Flachsmarkt sei ein „ganz wichtiges Scharnier“ zum Einkaufsbereich der Innenstadt. Dort könne man sich gastronomische Pop-up-Nutzung vorstellen.

Allerdings lässt sich eine lebendige Gastronomie-Szene erfahrungsgemäß selten am Reißbrett entwickeln. Schon in den 1990er Jahren gab der Allbau für ein Gutachten viel Geld aus, in der eine Kneipen-Meile in der Nord-City herbeigeplant werden sollte, wobei das Bermudadreieck in Bochum als Vorbild galt. Es blieb bei bescheidenen Anfängen.

Sicherheit und Sauberkeit:

Der Sicherheit haben die Umfrageteilnehmer nur mit 4,5 bewertet. Ähnlich schlecht hatten Bürgerinnen und Bürger die Innenstadt bereits schon 2018 im Rahmen unseres Stadtteil-Checks benotet. Am Dienstag (11. 10.) sagt Stephanie Schmuck, Büroleiterin von Ordnungsdezernent Christian Kromberg: „Es gibt die objektive und gefühlte Sicherheit.“ Objektiv seien Delikte wie Diebstahl und Raub rückläufig, so Schmuck. „Das subjektive Sicherheitsgefühl hat aber unglaublich gelitten.“ Das habe auch viel mit Corona zu tun. Der öffentliche Raum wird von unterschiedlichen Gruppen genutzt, in der Pandemie sei die Innenstadt leer gewesen, ein problematisches Klientel aber weiter dort – und dadurch, dass weniger los war, auch sichtbarer. „Fremdes erzeugt Abstand oder Angst“, sagt Schmuck.

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Das Thema Sauberkeit hat nur unwesentlich besser abgeschnitten als die Sicherheit. Note: 4,4. Die Innenstadt werde sieben Mal pro Woche gereinigt, Papierkörbe würden fünf Mal geleert. Es seien zudem genug solcher Abfalleimer vorhanden. Allerdings, so hieß es während einer Pressekonferenz vonseiten der Stadt, müssten diese von den Menschen auch genutzt werden: „Gerade an der Marktkirche ist die Nutzung ein Drama.“ Es gehe um Rücksichtnahme und diese sei geringer geworden. Ein gesellschaftliches Problem, das auch andernorts zu beobachten sei.

Großprojekte rund um den Willy-Brandt-Platz:

Der Willy-Brandt-Platz mit Bäumen – auch das gab es schon einmal und soll es bald vielleicht wieder geben.
Der Willy-Brandt-Platz mit Bäumen – auch das gab es schon einmal und soll es bald vielleicht wieder geben. © Frank Vinken

Wobei die geplanten Großprojekte rund um den Willy-Brandt-Platz nur teilweise auf Zustimmung stoßen. Während der grundlegende Plan des alten Kaufhof-Gebäudes allseits begrüßt wird, hat es die Aufstockung des denkmalgeschützten Eick-Hauses in der öffentlichen Debatte viel schwerer. „Historisch war das Eick-Haus als Tor zur Innenstadt gedacht, das erste Haus am Platz, mit breiter Brust“, sagt Planungsdezernent Martin Harter. Die kriegsbedingte radikale Reduzierung des Daches habe dem Eindruck dann vieles genommen. „Jetzt soll das Gebäude diese breite Brust wiederbekommen“, so Harter.

Das Bild klingt gut, ändert aber nichts daran, dass viele Bürger den mehrstöckigen Glasaufbau für unmaßstäblich halten. Ändern wird sich allerdings im Grundsatz nichts mehr, nur bei Details sei das möglich. Das vorhabenbezogene Bebauungsplanverfahren mit dem Siegerentwurf als Basis soll demnächst beginnen. „Das neue Eick-Haus wird dem Eingang zur Innenstadt guttun“, ist Martin Harter sicher und hat dabei die volle Unterstützung des OB. „Mir gefällt dieser Entwurf“ bekräftigte Kufen am Dienstag.

Gestaltung des Willy-Brandt-Platzes:

Während beim Eick-Haus ein Fachjury-Votum entscheidend war und bleiben soll, will die Stadt am Willy-Brandt-Platz eine großangelegte Bürgerbeteiligung starten, um zu ermitteln, was die Bürger gerne gestalterisch hätten – im Rahmen des technisch Möglichen. „Mehr Grün“ ist dabei eine klassische Forderung, jedoch sind größere Bäume unmöglich, weil unter der Oberfläche sehr rasch der Beton der U-Bahnröhren beginnt.

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Aber es müsse ja auch nicht immer die ganz große Lösung sein. In einem sogenannten „Reallabor“ ab etwa Mitte 2023 könne man vieles Gestalterische ausprobieren, etwa Bepflanzungen oder Sitzbänke. Klar ist für Planungsdezernent Harter, dass die Aufenthaltsqualität besser werden müsse. „Zurzeit ist der Platz ein Transitraum.“

Verschönerung des Gildehoftunnels:

Der Auto-Tunnel am Gildehofcenter, der die Hollestraße und die Gleistrasse des Hauptbahnhofs unterquert, ist seit langem ein absoluter Unort: laut, schmutzig, dunkel. Selbst manche Autofahrer finden die Röhre beklemmend, für Fußgänger ist der Tunnel trotz Gehweg im Grunde unzumutbar, weshalb die meisten andere Wege Richtung Hauptbahnhof oder zurück bevorzugen. Die Stadt will noch in diesem Jahr deshalb eine großangelegte Lichtinstallation anbringen, die dem Ort nach den Vorstellungen von Umwelt- und Baudezernentin Simone Raskob seinen schlimmsten Schrecken nehmen soll. Natürlich sollen es energiesparende LED-Lampen sein.

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Vorbild ist die blau-weiße Illumination des Tunnels zwischen Freiheit (Europaplatz) und Willy-Brandt-Platz, die tatsächlich dort einiges gebracht hat. 250.000 Euro will die Stadt am Gildehoftunnel investieren, um den Ort aufzuhellen, der Raskob an „Tatort-Filme aus den 1960er Jahren“ erinnert. Das Geld steht bereit, im Laufe des Jahres 2023 soll dann alles schöner sein.

Baumbeete und Sitzbänke:

Die neue Gestaltung einer Reihe von Baumbeeten ist nach Ansicht der Stadt ein echter Fortschritt.
Die neue Gestaltung einer Reihe von Baumbeeten ist nach Ansicht der Stadt ein echter Fortschritt. © Stadt

Baumbeete in der Innenstadt sind Dreckfänger und für die Reinigungsmaschinen der EBE manchmal nur schwer zugänglich. Der Grün und Gruga-Betrieb will nach Angaben von Abteilungsleiter Andreas Bergknecht 300 Baumstandorte in der Innenstadt gründlich vom Dreck befreien, wobei derzeit noch offen ist, ob dies eine einmalige Aktion bleibt oder verstetigt wird – Letztere wäre natürlich nötig, damit der Effekt nicht rasch verpufft. Eine Reihe von Hochbeeten mit großen Bäumen wurde zudem völlig neu gestaltet mit Mäuerchen, eisernen Umgrenzungen und Blumenbepflanzung.

Bei den neu aufgestellten 29 Bänken ist noch Nachbesserung versprochen, nämlich Lehnen für Rücken und Arme. Dabei habe man nach Angaben von Dezernentin Raskob vor allem die Komfortbedürfnisse älterer Nutzer im Blick.

Die neue Stadtbibliothek an der Marktkirche:

Viel Hoffnung verbindet sich mit dem Umzug der Zentralbibliothek vom Gildehofcenter zur Marktkirche, für OB Thomas Kufen auch ein Symbol, „das wir an eine gute Zukunft der Innenstadt glauben“. Auf mehreren Etagen will die Stadt die leerstehende Hema-Filiale nutzen, und dabei eine Bibliothek nach neuesten Kriterien schaffen: „Ein öffentliches Wohnzimmer, in dem man ohne Bestellzwang sitzen kann“, schwebt Kulturdezernent Muchtar Al-Ghusain vor. Räume für Arbeitstreffen von Bibliotheksnutzern, Spielzimmer, aber auch ein Veranstaltungssaal soll es geben, Ausleihe auch außerhalb der Dienstzeiten wird ebenfalls angedacht. Ferner ist Innen- wie Außengastronomie geplant.

Am denkbar zentralsten Ort der Innenstadt will die Stadt mehr Publikumsverkehr schaffen und so das ganze Areal rund um die Marktkirche möglichst mitreißen. Nötig wäre das, denn ungefähr hier beginnt Richtung Norden jener Teil der Innenstadt, den viele nicht oder nur ungern betreten.