Essen. Die Essener Allbau GmbH hat die 100. Wohnung an ukrainische Flüchtlinge vermietet. Der Bedarf sei weiter groß, doch es gebe kaum freien Wohnraum.

Vor einem halben Jahr sind Olga Borysova und ihre Tochter Bohdana Babenko (14) aus Kiew nach Essen gekommen: mit ein wenig Gepäck und der Hoffnung auf Sicherheit. Nun ziehen die beiden in ein eigenes Zuhause im Nordviertel: Es ist die 100. Wohnung, die die Allbau GmbH an ukrainische Flüchtlinge vermietet. „Und es gibt noch immer Ukrainer, die eine Wohnung suchen. Aber wir haben nur einen Leerstand von 1,5 Prozent – das ist fast nichts“, bedauert Allbau-Prokurist Samuel Serifi.

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Olga Borysova hat Glück gehabt: Zum Oktober bezieht sie zweieinhalb Zimmer auf gut 60 Quadratmetern. „Mit einer großen Wohnküche“, wie sie betont. Für ihre 14-jährige Tochter dürfte noch entscheidender sein, dass sie nun ein eigenes Zimmer und mehr Privatsphäre hat. Bis jetzt teilten sich die beiden eine Allbau-Wohnung in Borbeck mit einer weiteren ukrainischen Familie. Ihre bisherigen Mitbewohner dürfen sich also auch über mehr Platz freuen.

Sie möchte nicht viele Möbel kaufen – sie will ja bald zurück in die Heimat

Sie wolle noch ein paar Teppiche in die neue Wohnung legen, um sie gemütlich zu machen, denke aber nicht an große Neuanschaffungen: „Wir wollen so bald wie möglich nach Hause zurück.“ Auch wenn sie nicht damit rechne, dass das noch in diesem Jahr geschieht. Ihr Mann ist in der Ukraine geblieben: Mit 51 Jahren sei er zwar nicht zum Militär eingezogen worden, müsse sich jedoch bereithalten, erzählt Olga Borysova. Auch ihre Eltern sind in der Ukraine geblieben. Seit Monaten haben sie sich nicht gesehen, halten nur per Telefon Kontakt. Die Sehnsucht nach der Familie plagt auch Tochter Bohdana: „Wenn sie herkommen würden, könnte ich auch länger in Deutschland bleiben.“

Auf die Flucht im März hatten sie fast nichts mitgenommen: „Wir hatten nur zwei Rucksäcke dabei: In einem war Essen, in dem anderen Unterwäsche, Zahnpasta...“, erzählt die Mutter. Dass sie vor allem Proviant eingepackt hatten, sollte sich als klug erweisen. Fünf Tage brauchten sie, um von Kiew nach Essen zukommen. Schon die erste Etappe im Zug habe fünf statt der üblichen zweieinhalb Stunden gedauert; ein Bordbistro habe es ebenso wenig gegeben wie Toiletten, das Licht war abgeschaltet.

Allbau profitiert von den Erfahrungen im Jahr 2015

Schon im April 2022 hat die Allbau GmbH die erste von inzwischen hundert Wohnungen an ukrainische Flüchtlinge vermietet. Man habe dabei von den Erfahrungen aus dem Jahr 2015 profitiert, als zahlreiche syrische Flüchtlinge nach Essen kamen, sagt Allbau-Prokurist Samuel Serifi.

Wichtig sei, den Aufenthaltsstatus der neuen Mieter zu prüfen. Sie müssten die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen und eine sogenannte Fiktionsbescheinigung vorlegen. Diese Bescheinigung wird ausgestellt, wenn über den Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis noch nicht entschieden ist: Damit gilt der Aufenthalt bis zu der Entscheidung erstmal als rechtmäßig.

Immerhin hatten Olga Borysova und ihre Tochter ein festes Ziel: von Warschau nach Berlin ging es weiter nach Essen. Die Familie, mit der sie später die erste Wohnung in Essen teilen sollten, kannte die Essener Ärztin Dr. Anna Weegen, die Direktorin der Firma Deutsch Medic ist und viele Neuankömmlinge aus der Ukraine unterstützt. Auch Olga Borysova und ihre Tochter nahm sie erstmal bei sich auf, unterstützte sie bei Anmeldung, Papierkram, besorgte Kleidung: „Es war die erste Person, die uns hier half. Wir sind ihr sehr dankbar!“

2000 Syrer leben in Allbau-Wohnungen – so viel freien Wohnraum gibt es diesmal nicht

Seit Mai besucht die Tochter eine Integrationsklasse im Mädchengymnasium Borbeck (und nimmt parallel am Online-Unterricht in der Ukraine teil), die Mutter macht einen Deutschkurs. Näheren Kontakt zu Deutschen haben sie bisher noch nicht, dafür sei die ukrainische Community gut vernetzt. Das hat auch Allbau-Prokurist Serifi beobachtet: „Die Leute sind sehr gut strukturiert und organisiert, helfen sich zum Beispiel bei der Suche nach Möbeln. Da ist ein sehr großer Zusammenhalt – das ist für uns als Allbau beeindruckend.“

Es laufe womöglich noch reibungsloser als mit den Kriegsflüchtlingen, die seit 2015 aus Syrien nach Essen kämen; auch weil viele Ukrainer gut Englisch sprächen. Doch auch wenn es diesmal eine größere kulturelle Nähe gebe, betont Serifi: „Wir hatten auch ganz wenige Probleme mit den syrischen Flüchtlingen – und wir haben 2000 Syrer aufgenommen.“ Ein Engagement in ähnlicher Größenordnung wäre aktuell undenkbar: Die Leerstandsquote geht gegen null und der Markt an kleinen, preisgünstigen Wohnungen sei insgesamt fast leer gefegt.

Ihre Dankbarkeit ist groß, ein besonderes Lob bekommt der Hausmeister

Trotzdem seien etwa 20 Prozent der Wohnungsangebote für Ukrainer abgesagt worden, sagt Serifi. „Das lag allerdings fast immer daran, dass die Menschen in die Ukraine zurückgegangen sind.“ Viele hätten die lange Trennung von ihrer Familie nicht ausgehalten. Diejenigen, die in Essen blieben, seien bei der Wohnungssuche nicht kompliziert gewesen. „Keiner hat gesagt, ich ziehe nur in den und den Stadtteil.“

So zieht Olga Borysova nun ins Nordviertel, obwohl ihre Tochter in Borbeck zur Schule geht. „Der Umzug ist leicht, wir haben kaum mehr als unsere Kleidung und zwei Betten.“ Sie sei sehr dankbar für alles, was die Stadt Essen, ihre Einwohner und der Allbau für sie und ihre Landsleute tun. „Wir sind froh, dass wir hier leben können, lernen können, dass wir eine Krankenversicherung haben und gut aufgenommen wurden.“ Einen Essener hebt sie besonders hervor: „Ich habe großen Respekt vor unserem Hausmeister: Wenn man ihn anspricht, kommt er immer sofort und hilft.“