Essen-Altenessen. Seit März wohnen im Marienhospital in Essen-Altenessen Flüchtlinge aus der Ukraine. Darum fühlen sich manche dort sehr wohl und andere nicht.
Riesenbausteine und Puppen im Spielzimmer, Deutsch- und Sportkurse, eine Kleiderkammer und eine Koch-AG: Das Leben für die geflüchteten Ukrainerinnen hat sich im Altenessener Marienhospital sechs Monate nach Kriegsbeginn eingespielt. Mitte März wurde aus dem geschlossenen Krankenhaus in Windeseile ein Übergangs-Wohnheim. Damals bauten Ehrenamtliche fast über Nacht Bettgestelle und Kommoden auf, um jene, die vor den Bomben, vor Putins Angriffskrieg geflohen waren ein Zuhause einzurichten. Viele hoffen, dass es ein Zuhause auf Zeit ist, wie sich bei einem Ortsbesuch zeigt.
Viele Geflüchtete wollen schnell zurück in die Ukraine
„Viele sind hier eingezogen und wollen möglichst schnell zurück in die Ukraine“, erklärt Einrichtungsleiterin Stefanie Horstmann von der CSE (Caritas-SkF-Essen gGmbh). Sie würden sich gar nicht nach einer Wohnung umschauen, sie warten einfach ab und hoffen. Für derzeit 171 Bewohner und Bewohnerinnen ist die einzige und größte Hoffnung, das der Krieg endet. Platz ist im Marienhospital für 209 Geflüchtete. „Im Mai waren wir komplett belegt“, erinnert sich Horstmann. Jetzt würden nur noch vereinzelt Menschen einziehen. Wöchentlich seien es bis zu drei Notfälle, die am Bahnhof gestrandet sind. „Das waren mal 20 bis 30 pro Woche.“
Und dann seien da noch jene, die aus Privatfamilien kommen. Wohngemeinschaften mit Essenern, die vor einigen Monaten Gästezimmer zur Verfügung gestellt hatten, funktionieren nicht mehr, unlösbare Konflikte machen ein Zusammenleben schwierig. Im Marienhospital ist Platz.
Ansprechpartner für Geflüchtete im Essener Marienhospital
Besonders ältere Geflüchtete fühlen sich sehr wohl in der Einrichtung, weiß auch Sozialarbeiterin Marghalei Nayebkhail-Popal. Sie schätzen, dass sie nicht einkaufen und kochen müssen, sondern vom Team der Krankenhaus-Kantine versorgt werden. Sie genießen die Barrierefreiheit des ehemaligen Krankenhauses und sie schätzen, dass es Ansprechpartner gibt, die nicht nur bei der Bürokratie helfen, sondern auch ein offenes Ohr für Sorgen und Probleme haben.
Popal spricht regelmäßig mit den Geflüchteten – meistens sind es Frauen, die mit ihren Kindern aus der Ukraine nach Essen gekommen sind. Zum Teil seien sie traumatisiert und verzweifelt. Wie sich das äußert? „Sie sind unentspannt, gereizt, schwer zu motivieren und konsumieren manchmal zu viel Alkohol.“ Letzteres ist in der Einrichtung verboten: „Manche fühlen sich dadurch eingeengt“, weiß Stefanie Horstmann. Besonders Jüngere wünschten sich mehr Privatsphäre, wollen auch im Zimmer rauchen (was ebenfalls verboten ist), laute Musik hören oder einfach ein eigenes Kinderzimmer haben. Diese Freiheiten bietet eine eigene Wohnung.
Alleinerziehenden Geflüchteten fällt Neuanfang leichter
„Rund 40 Geflüchtete sind tatsächlich in eine eigene Wohnung umgezogen“, erklärt Horstmann. Besonders jenen, die mit ihren Männern in Essen angekommen sind, und Alleinerziehenden falle ein Neuanfang in Deutschland einfacher. Jene, die Großeltern oder Ehemänner zurücklassen mussten, halten es zum Teil nicht aus. Rund 20 Geflüchtete sind nach Angaben von Horstmann bereits zurück in die Ukraine gereist. Und dann gibt es noch jene, die einfach verschwinden ohne sich abzumelden. Sie spazieren aus dem Marienhospital heraus und kommen nicht zurück.
So kann gespendet werden
Um bedarfsgerechte Spenden entgegen zu nehmen, hat die Caritas-SkF-Essen gGmbh eine Internetseite eingerichtet. Dort steht ganz genau, was für die Geflüchteten in den verschiedenen Einrichtungen gerade gebraucht wird oder worüber sie sich freuen würden. Überwiegend handelt es sich um Hygieneartikel und Snacks. Der Bedarf sei nach Angaben von Stefanie Horstmann nach wie vor gegeben: www.cse.ruhr/sachspenden
Bisher haben sich laut Stadt insgesamt über 6500 Personen aus der Ukraine in der Servicestelle Flüchtlinge beim Amt für Soziales und Wohnen gemeldet. Über 4600 haben einen Wohnsitz in Essen angemeldet. Die Geflüchteten im Marienhospital sind überwiegend Mütter mit ihren Kindern. Die Altersspanne reicht von 0 bis 70 Jahren.
Allen, die bleiben, versucht das elfköpfige CSE-Team eine möglichst angenehme Zeit zu schenken. „Es gibt keine Frist, sie dürfen bleiben, solange sie wollen, solange es die Einrichtung gibt“, erklärt Stefanie Horstmann. Sie ist froh, dass sich die Abläufe eingespielt haben, dass sich die Bewohnerinnen in dem großen Gebäude jetzt auskennen, dass sie sich untereinander kennen und, dass sie an den Angeboten teilnehmen, die sich mit der Zeit etabliert haben.
Viele ukrainische Kinder haben noch keinen Schul- oder Kindergartenplatz
Bewährt habe sich vor allem, dass einige Teammitglieder selbst 2015 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind. „Aufgrund ihrer eigenen Fluchterfahrung können sie sehr empathisch mit den Bewohnerinnen agieren“, so Horstmann, die außerdem dankbar für die vielen Ehrenamtlichen ist, die weiterhin täglich im Marienhospital ein- und ausgehen. Darunter auch eine studierte Psychologin, die selbst aus der Ukraine geflohen ist und jetzt regelmäßige Gespräche mit den Bewohnerinnen anbietet. Ein absoluter Glücksfall. Niemand könnte die Sorge um die Familie in der Heimat besser verstehen als jemand, der selbst von dort geflohen ist, glaubt Horstmann. „Es entlastet die Bewohnerinnen, dass sie eine Ansprechpartnerin haben, mit der sie in ihrer Muttersprache ihre Sorgen teilen können.“
Eine Sorge ist oft die Schulbildung der Kinder, die mitgekommen sind. 30 Schulpflichtige leben derzeit an der Hospitalstraße. „Ein Viertel davon besucht Essener Schulen und Kindergärten“, erklärt Sozialarbeiterin Marghalei Nayebkhail-Popal. Sie hilft bei den Formularen, spricht mit Schulamt und Schulleitern und hört so oft: „Wir haben keinen Platz und kein Personal, wir wissen nicht, wie wir das stemmen sollen.“