Essen-Kettwig. Bürokratiehürden gehören zum Alltag in der Familie Laatz aus Essen-Kettwig. Jetzt geht es um die Schulanmeldung für die schwerbehinderte Tochter.

Yvonne und André Laatz haben eine schwerst behinderte Tochter. Alina leidet an dem seltenen Gen-Defekt CDKL 5, der u.a. zu Epilepsie, schweren Entwicklungsverzögerungen und Sehbehinderungen führt. Mit jetzt fünf Jahren soll sie eingeschult werden. Für die Eltern ist klar, dass sie nie eine reguläre Grundschule besuchen kann, doch zum Anmeldetermin in einer Kettwiger Grundschule muss Yvonne Laatz dennoch erscheinen. So ist das Prozedere der Stadt.

„Alina ist auf den Rollstuhl angewiesen, sie kann nicht sehen, nicht sprechen, nicht laufen, nicht mal alleine sitzen“, sagt Yvonne Laatz. 100 Prozent Schwerbehinderung, Pflegestufe 5. Das ist nichts, was sich Eltern freiwillig aussuchen. Und doch meistert die Familie den Alltag, seitdem durch eine Gen-Sequenzierung die Krankheit der Tochter im Alter von eineinhalb Jahren festgestellt worden war.

Zu diesem Alltag gehören Bürokratiehürden. Sie alle aufzuzählen, sei anstrengend, sagt die 41-jährige Pharmareferentin. Immer wieder sei da das Hickhack mit der Krankenkasse um Kostenübernahme von Hilfsmitteln. Viel Schriftverkehr, viel Telefoniererei. Sich um Fördermittel kümmern, Spendenaufrufe im Internet für Bewegungstherapien anleiern, eine Online-Petition gegen Krankenkassen-Willkür ins Leben rufen – die Kettwigerin engagiert sich, wo sie kann.

Antrag für eine sonderpädagogische Förderung

Die Anmeldung zu einer Förderschule sollte da eigentlich das geringste Problem sein, „denn Alinas Behinderung ist so klar und offensichtlich“. Doch auch das ist wieder mit Aufwand verbunden, der sich nach Ansicht der zweifachen Mutter (Tochter Celina kam 2020 gesund zur Welt), reduzieren ließe.

Vor dem Gebäude des Deutschen Bundestages in Berlin: Yvonne Laatz aus Essen machte im Mai 2021 mit Plakaten auf Missstände in der Behandlung von behinderten Kindern durch die Krankenkassen aufmerksam.
Vor dem Gebäude des Deutschen Bundestages in Berlin: Yvonne Laatz aus Essen machte im Mai 2021 mit Plakaten auf Missstände in der Behandlung von behinderten Kindern durch die Krankenkassen aufmerksam. © Laatz

„Denn zunächst einmal nimmt die Schulbehörde an, dass jedes Kind auf eine normale Grundschule gehen kann. Zumal wir ja alle von Inklusion reden und sie leben sollen“, erklärt Yvonne Laatz. Sollte eine Förderschule in Betracht kommen, wird das sogenannte AO-SF-Verfahren (Ausbildungsordnung Sonderpädagogischer Förderung) eingeleitet. Dabei werde überprüft, ob das Kind eine besondere Förderung und Unterstützung erhalten kann, wenn es körperlich-motorisch oder in der geistigen Entwicklung eingeschränkt sei.

Keine Abkürzung in der Bürokratie zulässig

Laatz: „Da bei unserer Tochter ja alles an Unterlagen vorliegt, sollte es möglich sein, das Verfahren abzukürzen und die Unterlagen online direkt der Behörde zu schicken.“ Aber damit sei sie gar nicht gut angekommen bei der Stadtverwaltung. Zunächst müsse eine formale Anmeldung an einer wohnortnahen Grundschule erfolgen, hieß es.

Vater André muss Alina im Sessel des Lifters anschnallen, alleine sitzen kann sie nämlich nicht.
Vater André muss Alina im Sessel des Lifters anschnallen, alleine sitzen kann sie nämlich nicht. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Zum Vorstellungstermin sollte ich Alina mitbringen.“ Für die Kettwigerin eine absurde Vorstellung, „zumal die in Frage kommende Schmachtenbergschule überhaupt nicht barrierefrei ist, ich den Rollstuhl in die erste Etage hätte hieven müssen.“ Glücklicherweise sei die Schulleiterin kooperativ, den Termin werde sie allein wahrnehmen.

Laatz’ Freundin Steffi Krieger, deren achtjähriger Sohn Frieder das Kleefstra-Syndrom hat, bei dem eine genetische Störung zu geistiger Behinderung, Muskelhypotonie und einer stark verzögerten Entwicklung führt, nickt zustimmend. Auch sie habe das Verfahren so durchlaufen müssen, berichtet die Kettwigerin. „Letztlich war für meinen Sohn eine normale Grundschule nicht geeignet, das war schon klar. Es hat gedauert, aber jetzt geht er auf eine Waldorfschule.“

Eltern haben die Helen-Keller-Schule Essen ausgewählt

Alina, um deren Leben sie und ihr Mann bei einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt im Frühjahr noch sehr gebangt haben, soll eine bestmögliche Förderung erhalten, so Yvonne Laatz. Ausgeguckt haben sich die Eltern die Helen-Keller-Schule Essen, eine Einrichtung des Landesverbandes Rheinland. Sie hat den Förderschwerpunkt „Körperliche und motorische Entwicklung“. Ein Vorgespräch mit der Schulleitung hat die Mutter sehr positiv gestimmt: „Logo- und Ergotherapie, ganz kleine Gruppen, dazu viele Betreuungskräfte und sogar Krankenschwestern und Physiotherapeuten vor Ort, das klingt toll.“

Doch zunächst müsse Alina das AO-SF-Verfahren durchlaufen – auf Antrag der Schmachtenbergschule. Laatz: „Das heißt, die Schulleitung wird unsere Unterlagen ans Schulamt schicken. Online. So wie ich es auch hätte tun können.“